Verschwörungsideologen bekriegen sich gegenseitig: So kaputt ist die Querdenken-Bewegung
Jetzt überziehen sich die Querdenker gegenseitig mit Vorwürfen, Spott und Intrigen. Hoffnung macht ihnen nur noch ein Mann.
Zwei Tage nach der Demonstration in Berlin sitzt Querdenken-Gründer Michael Ballweg wieder zu Hause in Stuttgart vor der Videokamera und wirkt deprimiert. Es gebe Aktivisten, sagt er, die „immer viel kritisieren, aber nichts Eigenes tun“. Kritisiert wird er selbst – und zwar aus den eigenen Reihen. Ballweg habe versagt, heißt es, er sei naiv, feige, inkompetent. Weggefährten fragen, wo denn die vielen Spendengelder geblieben sind. Andere halten ihm seine Kontakte zu Reichsbürgern vor.
Michael Ballweg wehrt sich, indem er den Kritikern böse Absichten unterstellt: Es gebe halt Kräfte, die die Szene spalten wollten. Das sei „ermüdend und erschöpfend“.
Noch vor einer Woche sah es so aus, als könne der Querdenken-Bewegung ein Comeback gelingen. Tausende Anhänger zogen durch Berlin, ignorierten Demonstrationsverbote, durchbrachen Polizeiketten. Der Aufzug wirkte kraftvoll. Doch der Effekt ist schnell verpufft. Statt der eigentlich geplanten Protestwoche, mit denen die Coronaverharmloser die Bundesregierung zum Rücktritt zwingen wollten, folgte in Berlin: gar nichts mehr.
Dafür überziehen sich die Köpfe der Bewegung jetzt gegenseitig mit Unterstellungen. Funktionäre, die noch vor einem Jahr gemeinsam den Umsturz probten, sind nun erbitterte Feinde, machen den jeweils anderen für das massive Schrumpfen der Bewegung und das Nichterreichen ihrer Ziele verantwortlich. Dabei entstehen neue Verschwörungstheorien. Ein Lieblingsvorwurf lautet: Wer interne Kritik übe, wolle bloß die Bewegung sabotieren. Oder noch schlimmer: Sei gezielt von der Regierung eingeschleust, um den Protest zu ersticken.
Sie bekriegen sich auf Telegram, Youtube und anderen Plattformen. Am meisten bekommt Michael Ballweg ab. In Berlin habe er „erst den großen Max markiert und sich dann verdrückt“, klagt der Aktivist Uwe Loose. Ballweg zeige eine „Form von totalitärem Denken“, erzähle „Unsinn von A bis Z“, seine Rechtfertigungsversuche seien „armselig“. Der Anwalt Markus Haintz, früher ein enger Vertrauter Ballwegs, wirft diesem nun vor, er habe den Namen Querdenken so arg beschädigt, dass man künftige Demos unter einem neuen Namen anmelden solle.
„Ihr seid doch erwachsen!“
Haintz selbst ist in der Szene ebenfalls umstritten. Am Wochenende fiel er vor allem dadurch auf, dass er minutenlang Polizisten anbrüllte. Anhänger, die ihn fragten, wo es denn lang gehe, blaffte er an, das müssten sie selbst wissen: „Ihr seid doch erwachsen!“
Die Kontrahenten Haintz und Ballweg haben Videos veröffentlicht, in denen sie sich gegenseitig schwere Vorwürfe machen. Haintz sagt, Ballweg sei schuld, dass Querdenken inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet werde. Ballweg sagt, Haintz sei schuld, dass bei einer Kundgebung ein bekannter Rechtsextremist auf der Bühne stand. Haintz bestreitet das – und wirft Ballweg Kontakte zur Reichsbürgergruppe „Königreich Deutschland“ vor. Deren Mitglieder glauben, ihr Königreich sei durch Abspaltung von Deutschland „völkerrechtskonform geschaffen“ und erfülle alle Kriterien eines Staates.
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Tatsächlich wurde vergangene Woche eine Urkunde publik, die Michael Ballweg als „Staatszugehörigen“ des Königreichs Deutschland ausweist. Ein Vertreter der Gruppe hat die Echtheit des Dokuments mittlerweile bestätigt. Ballweg selbst behauptet, er habe lediglich ein Konto bei der „Bank“ des „Königreichs“ eröffnet – und jetzt, nach Bekanntwerden des Dokuments, sein Konto wieder gekündigt.
Auch Markus Haintz hat sich mit den Reichsbürgern getroffen. Er sagt jedoch, er habe nicht gewusst, an wen er da geraten sei. Michael Ballweg habe ihm die Identität dieser Truppe verschwiegen.
Wenn eine Verschwörungsideologin über die andere ätzt
Wer sich die Livestreams der Querdenker vom vergangenen Wochenende ansieht, dem fällt auf: Schon da begegneten sich Szenegrößen mit Missgunst. Beschuldigten sich gegenseitig der Selbstdarstellerei. Als eine Verschwörungsideologin, Vicky Richter, die andere Verschwörungsideologin, Eva Rosen, am Mikrofon sah, lästerte sie: „Also heute bekommt jeder seine Bühne, die er will, oder?“
Die Kämpfe haben wohl auch damit zu tun, dass die Wortführer der Szene lange von Spenden ihrer Anhänger profitierten. Durch das Implodieren der Bewegung nimmt die Menge potentieller Geldschenkungen ab, die Futtertröge werden kleiner. Eva Rosen brach in einem Video bereits in Tränen aus, da sie wegen zu geringer Unterstützung ihre Miete nicht mehr zahlen könne. Und rief ihre Anhänger anschließend erneut zu Spenden auf.
Als zusätzlicher Nachteil erweist sich, dass Plattformen wie Facebook, Youtube und Instagram inzwischen aktiver gegen Verschwörungslügen vorgehen. Zuletzt haben etliche Aktivisten ihre Kanäle verloren. Diese Woche erwischte es Matthäus Westfal, einen Verschwörungsideologe und Sektenanhänger, der voriges Jahr beim gescheiterten Reichstagssturm in Berlin anwesend war. Youtube löschte seine Kanäle und damit mehr als 500 Videos. „Über ein Jahr harte Arbeit“ sei futsch, beschwert sich Westfal. Zwar weichen die Gesperrten auf Nischenportale wie VeeZee aus, doch das bringt ihnen wenig: Dort erreichen sie nur die eh schon eingeschworene Gemeinde. Große Reichweite oder gar Werbeeinnahmen können sie so vergessen – und senden praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Wutausbrüche in der Partei „Die Basis“
Ein offener Machtkampf ist auch in der Querdenker-Partei „Die Basis“ ausgebrochen. Die will im September eigentlich in den Bundestag einziehen, war zwischenzeitlich so optimistisch, dass führende Parteimitglieder bereits über „Regierungsverantwortung“ fantasierten. Inzwischen nicht mehr.
Innerhalb der Partei überziehen sich die prominentesten Köpfe gegenseitig mit Vorwürfen. Besonders unangenehm fallen dabei die Verschwörungsideologen Reiner Fuellmich und Viviane Fischer, die in Berlin den selbsternannten „Corona-Ausschuss“ betreiben, sowie deren Vertrauter Wolfgang Wodarg auf. Die drei attackieren Teile des „Basis“-Bundesvorstands, bezeichnen diese als „hochgefährlich“ und „unverbesserliche Individuen“.
Fuellmich spricht von „Schwachmaten“, die die Partei unterwandert hätten und „Hinterzimmer-Terrorismus“ betrieben. Allerdings seien diese Parteifreunde ihm, Reiner Fuellmich, nicht gewachsen. Er tönt: „Das kann doch nicht sein, dass man seine eigene Bedeutungslosigkeit versucht dadurch aufzuheben, dass man sich mit Leuten anlegt, denen man nicht mal im Ansatz das Wasser reichen kann.“
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Der Pressesprecher der Partei hat Reiner Fuellmich im Gegenzug aufgefordert, Corona-Impfungen nicht mehr mit dem Holocaust zu vergleichen. Es lägen „nicht genügend Beweise vor, dass eine ,Bevölkerungsreduktion‘ das einzige erklärte Ziel“ der Impfbefürworter sei.
Man muss sich diesen Satz mehrmals durchlesen, um zu begreifen, wie der vermeintlich moderatere Flügel dieser Partei tickt.
Zudem sollten Fuellmich und Fischer ab sofort auf „ehrverletzende Verleumdungen“ verzichten, denn: „Wer Mehrheiten generieren möchte, der braucht Argumente und Überzeugung, nicht Täuschung, Lüge und Verrat.“ Die Querelen der vergangenen Wochen, sagt der Sprecher, hätten auch zu „massiven Spendeneinbrüchen“ geführt. So könne man keinen Wahlkampf betreiben.
Der angegriffene Reiner Fuellmich will sich dagegen an keine Vorgaben halten, schon gar nicht von Menschen, die seine Partei unterwandert hätten. Er sagt: „Uns soll der Mund verboten werden. Was bilden sich diese Typen eigentlich ein?“
Applaus für Julian Reichelt
Das einzige, was den Verschwörungsgläubigen aktuell Hoffnung macht, ist die „Bild“-Zeitung. Die berichte seit Wochen in ihrem Sinne, habe Kernforderungen der Bewegung übernommen, jubeln Aktivisten. Wie energisch die „Bild“ für Lockerungen der Coronamaßnahmen kämpfe, immer wieder das Robert-Koch- Institut sowie den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk angreife und sich für die Rechte Ungeimpfter einsetze, das sei vielversprechend.
Besonders freut die Szene, wie engagiert sich „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt gegen das Verbot der Querdenkendemos einsetze und Berlins Justiz politische Motive unterstelle. Und dass Reichelt endlich aussprach, was die Bewegung eh schon lange wisse: „Rechte hat, wer den Wünschen unserer Regierung folgt.“ Ein enger Vertrauter von Michael Ballweg lobt, „Bild“-Chef Reichelt sei im Grunde ein Querdenker.
Einen neuen Mobilisierungsschub erhofft sich die Szene auch durch den Tod des 48-jährigen Demonstrationsteilnehmers, der am Wochenende an einem Herzinfarkt gestorben war, nachdem er gewaltsam eine Polizeikette durchbrochen hatte. Anfänglich riefen Köpfe der Bewegung dazu auf, dessen Tod nicht für politische Zwecke zu instrumentalisieren.
Inzwischen sind alle Hemmungen über Bord geworfen: Die Polizei wird auf Telegram als „Mörderbande“ beschimpft, der Verstorbene gilt als „Mordopfer“. Dem Aufruf zu einem Trauermarsch kamen am Sonnabend laut Polizeiangaben nur 300 Aktivisten nach. Bei einer Kranzniederlegung sprach eine Rednerin davon, der Tote werde „sicher im Himmel weiterkämpfen“.