„Das Buch ist krisensicher“: So erleben Berliner Buchhändler die Corona-Zeit
Viele Buchhandlungen strukturieren sich in der Coronavirus-Krise neu. Sie richten Lieferdienste oder Verkaufstresen ein - mit Erfolg.
Für das, was ihren Beruf als Buchhändlerin ausmacht, bleibt Nina Wehner gerade wenig Zeit. „Zum Lesen komme ich kaum“, sagt sie.
Seit der Senat entschieden hat, dass in Berlin Buchhandlungen auch während der Corona-Beschränkungen öffnen dürfen, hat sich der Geschäftsalltag in der „Buchkönigin“ im Neuköllner Reuterkiez komplett verändert.
„Erst habe ich den Laden zwei Tage geschlossen“, sagt Nina Wehner. Sie brauchte die Zeit, um das Geschäft für die neuen Strukturen vorzubereiten, damit sie ihre Mitarbeiterinnen, sich selbst und die Kunden schützen kann – und um sich auf den Ansturm vorzubereiten.
Am 20. März öffnete Wehner ihren Laden wieder. Die Kunden kommen weiterhin und bestellen fleißig. Das Geschäft läuft – nur anders.
Bücher gibt's jetzt über eine Durchreiche
Betreten kann man „Die Buchkönigin“ als Kunde nicht mehr. Das war Wehner wichtig: „Ich kann ja nicht nach jedem Kunden desinfizieren und muss mich den ganzen Tag im Laden aufhalten.“ Aber sie hat eine Lösung gefunden, wie die Kunden weiterhin Bücher aus dem Sortiment wählen können.
In den zwei Schaufenstern in der Hobrechtstraße werden die Kunden von einer kleinen Bücher-Ausstellung empfangen. Links, im kleineren, stehen die Titel für Erwachsene, darunter sind einige lokale Autoren.
Rechts, im größeren Fenster, sind reihenweise bunte Kinder- und Jugendbücher ausgestellt. Dazwischen kleine „Monster“, Plastiktierfiguren, nach denen die Kinder suchen können, während die Eltern ihre Bestellung durchgeben.
Die Tür zum Laden wurde als Durchreiche umgebaut. Hinter einem Pult auf Hüfthöhe steht eine Mitarbeiterin und kann so mit der nötigen Distanz Buchbestellungen entgegennehmen und rausgeben.
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Viel Zeit zum Plaudern bleibt nicht. „Es wäre schön, länger zu quatschen“, sagt Wehner – zumal die Kundschaft aus dem Kiez gerade große Solidarität zeigt. Aber das geht momentan nicht.
Die meisten Kunden senden konkrete Wünsche per Mail oder rufen an. Dann kann am nächsten oder übernächsten Tag abgeholt werden.
Die jetzige Zeit lockt zum Lesen an
Die „Buchkönigin“ hat auch einen spontanen Lieferdienst eingerichtet. Eine Studentin hilft dem Laden ehrenamtlich dabei und fährt Bücher mit dem Rad aus. Wehner sagt, ihr kamen die Tränen, als sie von dem Hilfsangebot hörte.
Mit einer Mitarbeiterin und einer Aushilfe ist das Personal begrenzt. Und die Arbeit wird durch die vielen Bestellungen und die Versandarbeit trotz begrenzter Öffnungszeiten nicht weniger.
„Das Buch ist krisensicher“, sagt Johanna Hahn, Geschäftsführerin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Berlin und Brandenburg. Aus Gesprächen mit Buchhändlern weiß sie, dass es Kunden sehr begrüßen, dass die Läden weiter aufhaben dürfen, und dafür Einschränkungen in Kauf nehmen.
„Ich gehe davon aus, dass die jetzige Zeit dazu anlockt, mehr Bücher zu lesen.“ Und Bücher eignen sich gerade besonders gut zur Kinderbespaßung.
30 Prozent weniger Umsatz bundesweit
Allerdings nur in Berlin und Sachsen-Anhalt dürfen Buchhandlungen weiter physisch öffnen, in den anderen Bundesländern sind viele Geschäfte auf Lieferdienste umgestiegen.
Bundesweit meldet das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels Umsatzeinbußen von 30 Prozent im März im Vergleich zum Vorjahr und bezieht sich damit auf Zahlen der Marktforschungsfirma Media Control. Zu Anfang April sei nach Analysen der Media Control aber „ein Minimum erreicht“, das Verkaufsvolumen sinke nicht mehr weiter.
Auch in Berlin haben viele Buchhandlungen Lieferdienste gestartet oder – wie bei der Buchkönigin – den Kundenkontakt neu organisiert. Das kostet Geld, betont Hahn, wenn auch die Branche besser dastünde als etwa die Hotellerie oder Gastronomie. Zudem verdienen Buchhandlungen über den Direktverkauf besser als über Bestellungen, bei denen immer ein Anteil an den Zwischenhändler geht.
Um Buchhandlungen in Berlin und Brandenburg zu stärken, bietet der Börsenverein jetzt kostenfreie Online-Seminare an, die Besitzern Tipps für den Social-Media-Auftritt oder Newsletter-Marketing geben. Gerade für Brandenburgische Buchhandlungen, die für den Kundenverkehr nun schließen müssen, sei das wichtig.
Dort sei die Ladenmiete „ein unheimlich großes Problem“, sagt Hahn. Mietschulden und Kredite werden sich noch weiter addieren, bei den überschaubaren Margen des Buchhandels sieht Hahn es als sehr schwierig, das über den Umsatz wieder hereinzubekommen.
[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden]
Lesende Wohnkieze zeigen Solidarität
In Berlin dagegen profitieren Buchhändler vom Lockdown und der gestiegenen Lesezeit. Friederike Zöllner lässt weiterhin Kunden in ihr Pankower „Buchlokal“, natürlich mit den notwendigen Vorsichtsmaßnahmen.
Kunden dürfen den Laden nur einzeln oder in Kleinfamilien betreten. Der Laden werde „vorschriftsmäßig desinfiziert“, und die Mitarbeiter können sich direkt im Tresenbereich die Hände waschen, sagt Zöllner.
Bis auf einen berenteten Kollegen arbeiten sie und ihr kleines Team – ein Mitarbeiter und eine Aushilfe – weiter wie gehabt, die Arbeitstage sind lang. Die Ladentür wird von Mitarbeitern geöffnet und geschlossen, was für die Kunden zusätzliches Vertrauen schafft.
„Wir sind inmitten eines viel lesenden Wohnkiezes“, erklärt sich Zöllner den Erfolg ihres Geschäfts, das aktuell bis zu 50 Prozent Mehrumsatz macht. Dazu kommt das Online-Versandgeschäft.
„Wir haben jetzt gut 14 Tage Ausnahmezustand bestritten, in unserem Fall vom Umsatz her sehr positiv“, sagt Zöllner. Neben den Stammkunden würden jetzt auch „auffällig viele unbekannte Gesichter“ in den Laden kommen.
Berlinweit stellt der Börsenverein eine starke Kundenbindung fest, die sich in den vergangenen Wochen entwickelt hat. „Die Kunden sind ausgesprochen reizend“, sagt Johanna Hahn vom Börsenverein.
Viele entdeckten jetzt, dass man die Bücher nicht nur bei Amazon, sondern auch in der Kiezbuchhandlung bestellen könne. „Kunden lernen ihren Buchhändler neu als Dienstleister kennen, der ihnen die Bücher auch liefert.“
Diese große Solidarität wiederum motiviere Buchhändler und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, jeden Tag im Laden zu stehen und ihr Bestes zu geben.
Kein Algorithmus ersetzt das Stöbern
Eines fehlt aber sowohl den Buchhändlern als auch ihren Kunden: das Gefühl, im Laden zu stöbern und per Zufall ein Buch zu finden, das bald zum neuen Liebling wird. „Finden, was man gar nicht gesucht hat“, sagt Johanna Hahn, „kann kein Algorithmus ersetzen.“
Nina Wehner freut sich darauf, irgendwann in der „Buchkönigin“ wieder Kunden zu empfangen und mit ihnen über Bücher zu diskutieren. Jetzt ist eigentlich auch die Zeit, in der Buchhändlerinnen wie Wehner viele neue Bücher lesen, um sie dann auswählen und empfehlen zu können. Doch mit dem Ausfall der Leipziger Buchmesse werden wenig Neuerscheinungen bestellt, das stellt auch der Börsenverein fest.
Statt Neuentdeckungen halten sich viele Lesende an bekannte Autoren und Romane, mit möglichst vielen Seiten. „Bald gehen uns die dicken Bücher aus“, sagt Buchhändlerin Wehner.
Puschkin und Dostojewski sind im Trend. Und natürlich typische Pandemieliteratur: Albert Camus’ „Die Pest“, „Walden“ von Henry David Thoreau. Bücher, die das Exil, die Isolation, die Einsamkeit thematisieren. Wenn sie Zeit hätte, sagt Wehner, würde sie auch mal wieder Klassiker lesen.