Wegen Wohnungsnot und "Entmietung": So entstand die Hausbesetzerszene in Berlin
Die Hausbesetzerszene entstand in den 1970ern aus Wohnungsnot und „Entmietung“ von Altbaukiezen.
Die Besetzung eines leer stehenden Hauses im Frankfurter Westend im September 1970 gilt als erste Hausbesetzung in Deutschland. Zwei weitere Gebäude folgten wenig später – und im Jahr darauf die ersten auch in Berlin. Hier hatte der Senat Mitte der 1960er Jahre mit der sogenannten Flächensanierung begonnen: Ganze Kieze wurden nach und nach „entmietet“, damit die Altbauten später großflächig abgerissen und durch Neubauten im Stil des Märkischen Viertels oder des Neuen Kreuzberger Zentrums am Kottbusser Tor ersetzt werden konnten. So ließ sich auch der Ausbau der autogerechten Stadt vorantreiben.
Durch den nur allmählichen Leerzug der teils noch von Kriegsschäden gezeichneten Altbauten verödeten allerdings zunächst die Kieze, ohne dass rechtzeitig genug neuer Wohnraum entstand – obwohl der im ummauerten West-Berlin dringend benötigt wurde.
Im Dezember 1971 richtet sich ein Besetzerkollektiv im ehemaligen Schwesternwohnheim des Bethanien-Krankenhauses in Kreuzberg ein. Bald darauf werden weitere Häuser besetzt – in der Oranienstraße, der Wilhelmstraße, der Potsdamer Straße. Doch erst 1980 mit der „Schlacht am Fraenkelufer“ eskaliert die Lage. Militante Hausbesetzer und eine brutal agierende Polizei liefern sich Straßenschlachten. Zugleich wächst die Zahl der besetzten Häuser stetig; im Sommer 1981 sind mehr als 160 Gebäude besetzt. Unter diesem Eindruck entwickelt der Senat von Hans-Jochen Vogel (SPD) die „Berliner Linie“.
Ein Todesfall ändert die Lage
Im Sommer 1981 eskaliert die Lage erneut, als Innensenator Heinrich Lummer (CDU) die Polizei wieder brutal gegen Hausbesetzer einschreiten lässt. Trauriger Höhepunkt ist der Tod des 18-jährigen Klaus-Jürgen Rattay, der während eines mutmaßlich überzogenen Polizeieinsatzes in der Potsdamer Straße von einem BVG-Bus überfahren wird. Der Schock über Rattays Tod ändert die Lage: Die Welle der Neubesetzungen ebbt ab, rund die Hälfte der Besetzungen werden durch Verträge legalisiert, die anderen Häuser geräumt. Altbaukieze überall in West-Berlin, die zum Abriss vorgesehen waren, werden nun saniert; auch ehemalige Besetzer erhalten Fördermittel.
Der Fall der Mauer lockt auch West-Besetzer in die heruntergekommenen Altbaukieze von Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg. Mehr als 100 Häuser werden besetzt; Zentrum ist die Mainzer Straße in Friedrichshain. Deren Räumung Ende 1990 artet in tagelange Straßenschlachten aus.
Seitdem sind Besetzungen Einzelfälle: Unterstützer der 2005 geräumten Yorckstraße 59 entern einen Flügel des Bethanien. Die Räumung der Liebigstraße 14 verläuft 2011 – mit riesigem Polizeiaufgebot – ohne großen Krawall. Ein vom Land an die Wohnungsgesellschaft GSW verkauftes Haus in der Schlesischen Straße wird mehrfach besetzt und geräumt. Und viele Ex-Besetzer sind heute engagierte Hausbesitzer.