Berlin-Schöneberg: Die Hausbesetzer sind bürgerlich geworden
In Schöneberg setzen die Bewohner eines einst besetzten Hauses seit 1981 ihre Ideale in die Tat um. Doch nicht alle Träume haben die Jahre überlebt.
Die Rebellion verkünden sie direkt am Hauseingang. Auch heute noch, nach fast 37 Jahren. So lange ist es her, dass die einstigen Studenten und Lehrlinge die beiden Häuser in der Potsdamer Straße 157 und 159 in Schöneberg für sich erobert haben. Über der Haustür prangt stolz ein Blechschild: „BESETZT. 24. März 1981“.
Ein junges Pärchen mit einem Kinderwagen kommt an und betritt das Haus. Heute ist der jüngste Bewohner gerade erst geboren, die Ältesten sind in ihren 60ern. Seit 1983 ist die Besetzung durch einen Pachtvertrag legalisiert. Spätestens in 20 Jahren müssen die Bewohner deswegen die Gebäude dem Eigentümer zurückgeben, der Wohnungsbaugesellschaft „Gewobag“, deren Aktionär das Land Berlin ist. Die Häuser sollen öffentliches Eigentum bleiben, das ist ihnen wichtig. Wie man Idealismus in die Tat umsetzt, kann man hier lernen. Und auch, welche Ideale manchmal im Alltag nach vielen Jahren auf der Strecke bleiben.
Vor dem Abriss gerettet
Einer von denjenigen Bewohnern, die hier am längsten wohnen, führt durch das Haus. Er möchte nicht namentlich genannt werden. Früher, in den 80ern, durfte jeder Besetzer nur ein Zimmer bewohnen. Gezahlt hat damals – ganz und gar solidarisch – jeder gleich viel, unabhängig von der Zimmergröße. Aber das hat sich nicht durchgesetzt.
1981 bewahrten die Besetzer den vierstöckigen Altbau mit der Nummer 157 und das Nachbargebäude, die 159, vor dem Abriss. Da waren die Bagger bereits angerückt und hatten das oberste Stockwerk im Seitenflügel heruntergerissen. Die Treppe führt an dieser Stelle heute einfach in die Decke. Im Treppenhaus schmücken Kritzeleien und bunte Bilder die nackten Wände. „Wenn du über Punk reden willst, lass uns in die Küche gehen“, steht über dem Treppengeländer.
Die Badezimmer werden gemeinschaftlich genutzt
Im Grunde sind die beiden Gebäude Mehrfamilienhäuser wie so viele andere in Schöneberg, in denen Familien wohnen, Pärchen und Alleinstehende. Hohe Decken, Dielenboden, Einbauküche. Um die Möbel ranken sich Pflanzen, es herrscht ein angenehmes, farbenfrohes Chaos in einigen der Zimmer. Der Unterschied zu anderen Mehrfamilienhäusern: Im Prinzip gehören alle Stockwerke allen 28 Bewohnern, selbst die Badezimmer werden gemeinschaftlich genutzt.
Bürgerlichkeit trifft hier auf gelebte Gemeinschaft. Einmal im Monat gibt es ein Plenum, das schon mal drei bis vier Stunden dauern kann. Einst waren die Versammlungen noch wöchentlich. Auch die Gemeinschaftsküchen wurden damals noch regelmäßig genutzt: Es gab einen Kochplan, und jeden Abend brachten die Bewohner rund zwei Stunden damit zu, gemeinsam zu kochen und zu essen.
Das war mühsam. An diesem Tag hingegen, als der Besuch durchs Haus geführt wird, wartet auf dem Herd im zweiten Stock Essen für zwei Personen in der Pfanne. Gemeinsames Frühstück und Abendessen, Versammlungen, all das basiert auf dem Modell der gelebten Gemeinschaft, der erbarmungslos durchexerzierten Basisdemokratie, die die Hausbesetzer in ihren Gemeinschaftsschlafräumen zwischen geteilten Essensvorräten und Straßenbarrikaden einführten. Zeiten waren das, als sie jeden Moment damit rechneten, dass die Polizei die Häuser räumt.
Heute haben sie sich hier ihre Wohnungen und Zimmer eingerichtet, viele alleine, einige als Pärchen oder als kleine Familie. Die meisten arbeiten, einer als Referent in der Entwicklungshilfe, zwei andere sind Künstler und haben eine Etage als Atelier ausgebaut. Aus Hausbesetzern sind Pächter geworden. Diskutiert wird auch heute noch im Plenum, bis ein Konsens gefunden ist. Reparaturen und Renovierungsarbeiten am Haus übernehmen alle gemeinsam. Nicht alles ist wie früher, aber einiges.
Weniger Demos, mehr Kinos
Im Keller, vollgestellt mit Möbeln und Brettern für Handwerksarbeiten, hängt ein Plakat: „Verpenn' nicht den Klimawandel!“ Im Haus sind viele der älteren Bewohner mit den Jahren unpolitischer geworden. In den 80ern hatten viele Hausbesetzer die Hoffnung, man strebe auf eine gerechtere Welt zu. Doch dann kamen der Job, die Familie, der Alltag. Sie gingen seltener auf Demos. Irgendwann wird man müde.
Die Toten Hosen und Björk schauten auch vorbei
In den 80ern und 90ern, war das noch anders. Im Erdgeschoss, wo ein französischer Künstler die Hauswand bunt bemalt hat und wo darüber etwas anklagend „Früher war hier mehr los“ steht, befand sich die ambitionierte Kneipe der Besetzer, das K.O.B. Die „Toten Hosen“ spielten hier, „Element of Crime“ in ihrer Anfangszeit und „Serious Drinking“. Die Sängerin Björk übernachtete im Haus. Im Hinterzimmer vom K.O.B. wurden in einem kleinen Kino politische Filme gezeigt. Seit 2016 stehen die Räume leer. Bald will ein neuer Pächter ein Kino mit Barbetrieb eröffnen.
Die Geschichte des Hauses ist eng verknüpft mit der Geschichte Schönebergs, das in den 80ern noch ein kultureller Schmelzpunkt war. Erst in den 90er Jahren zog die Szene weiter, in den Osten Berlins. Heute haben die Idealisten in der Potsdamer Straße Nachwuchsschwierigkeiten. Die Bewohnerzahl müssen sie konstant halten, denn monatlich wird die Pacht fällig. Zwar finden sich ob der niedrigen Preise für ein Zimmer genug Interessenten. Doch wer hier einzieht, soll sich einbringen und mit anpacken, soll Teil der Gemeinschaft werden. Alle Arbeiten, die im Haus anfallen, erledigen die Bewohner selbst. Das ist der Preis für die niedrigen Kosten für die Pacht. Kein Vermieter zahlt den Handwerker.
Wer das Haus verlässt, blickt auf einen Plattenbau. Gegenüber, auf der anderen Seite der Potsdamer Straße, ragt der sogenannte Sozialpalast empor. Das Pallasseum, ein Wohnblock aus grauestem Beton, rund 1500 Menschen müssen hier Platz finden. Bezahlbarer Wohnraum mitten in der Großstadt, das war einst eine der zentralen Forderungen der zahlreichen Hausbesetzer in Berlin. Den haben sie sich erstritten und bis heute behalten.
Lena Völkening