Hertha gegen Union: So bereitet sich Berlin auf das Distanz-Derby vor
Auf das Spiel Hertha gegen Union haben viele Fans gewartet. Nun wird es ein Geisterspiel, die TV-Übertragung ist unsicher und jede Vorfreude dahin.
Am Freitagabend wird sich Klaus Kuhfeld im „Kugelblitz“ ein Pils am Tresen zapfen, in den Schankraum setzen und das Berlin-Derby schauen. Hertha BSC gegen den 1. FC Union. Blau gegen Rot, Westend gegen Köpenick, West gegen Ost. Mehr geht für Fußballfans in Berlin nicht. Doch dieses Mal ist alles anders und Kuhfeld allein.
„Lieber kein Derby, als so ein Derby“, sagt er drei Tage vor dem Spiel. Eigentlich hätte er es im Olympiastadion verfolgt, doch das bleibt wegen des Coronavirus ebenso leer wie seine Kneipe. „Nur nach Hause gehen wir nicht“, singen die Hertha-Fans vor jedem Spiel – seit Wochen müssen sie genau dort bleiben.
Klaus Kuhfeld trifft das doppelt. 2010 übernahm er mit seiner Frau den Kugelblitz, seit dem ersten Tag ist er die Hertha-Kneipe im Wedding. Jeder Zentimeter an der Wand ist dekoriert mit Trikots, Schals, Wimpeln und Fotos. Zur Weihnachtsfeier kommen jedes Jahr Hertha-Spieler, geben Autogramme und trinken gemeinsam mit den Fans. „Hier kiekste nicht alleine“, heißt es auf der Homepage
Wenn kein Fußball läuft, gibt es Spieleabende. Man kennt sich im Kugelblitz. Als die Kneipen schließen mussten, sammelten Stammgäste und Hertha-Fans Geld. Mehr als 2000 Euro kamen zusammen.
„Das hat uns sehr geholfen, aber die moralische Unterstützung war noch viel mehr wert“, sagt Kuhfeld.
"Derby ist mehr wert als Pokal und Meisterschaft"
Doch die Sorgen bleiben. Die Reserven sind fast aufgebraucht, er steht kurz vor der Insolvenz. „Wir haben keine Lobby“, sagt der Wirt und beklagt die Perspektivlosigkeit. Das Millionengeschäft Fußball wirkt weit weg von Kuhlfelds Existenzängsten. Trotzdem wird er sich das Spiel anschauen, wird mitfiebern.
„Der Derbysieg ist mehr wert als der Pokal oder die Meisterschaft – selbst bei einem Geisterspiel.“ Schließlich hat Hertha mit den Köpenickern noch eine Rechnung offen.
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Im November war Kuhfeld live im Stadion an der Alten Försterei. Mehrmals steht das Spiel kurz vor dem Abbruch, Raketen und Leuchtfeuer werden immer wieder auf das Spielfeld gefeuert. Kurz vor Schluss bekommt Union einen Elfmeter. Der Hertha-Torwart ist noch dran, doch der Ball geht rein. Wenig später ist Schluss und Union inoffizieller Stadtmeister. Weltweit wird das Derby übertragen, wer kein Ticket ergattert hat – auf dem Schwarzmarkt werden mehrere Hundert Euro geboten – zwängt sich in die überfüllten Kneipen. Leute drängen sich selbst auf die Gehwege, um einen Blick auf die Bildschirme zu erhaschen.
TV-Übertragung noch nicht gesichert
Sechs Monate später ist alles anders. Eine Pandemie zwingt die Welt zum Abstandhalten. Statt vor 75.000 Zuschauern im ausverkauften Olympiastadion, wird es ein Spiel vor leeren Sitzen. Selbst die Übertragung des Derbys ist noch nicht gesichert. Die DFL verhandelt noch immer mit DAZN, Eurosport und anderen Streamingdiensten. Im schlimmsten Fall wird das Spiel nur im Radio zu hören sein.
Ein paar Tage vorher herrscht auf dem Olympiagelände bereits Geisteratmosphäre. Drei Jugendliche fahren Rollschuh, auf dem Parkplatz vor der Ostkurve bietet eine Fahrschule ein Fahrsicherheitstraining für Motorradfahrer an, ansonsten hört man nur Vögel zwitschern und Hummeln brummen. Auf dem riesigen Gelände ist in normalen Zeiten selten was los, jetzt nie. Keine Konzerte, keine Fußballspiele mit Tausenden von Fans.
Anwohner freuen sich: "Es riecht besser"
„Es riecht viel besser“, sagt ein Anwohner, der mit seiner Frau spazieren geht. Seit zehn Jahren wohnen sie zwischen Waldbühne und Stadion. Bei den Konzerten hören sie gerne zu, bei Heimspielen von Hertha BSC fliehen sie in ihren Schrebergarten. „Wir haben unser Leben auf den Bundesliga-Spielplan abgestimmt“, sagt der Mann. Dass jetzt wieder gespielt werde, finden die beiden absurd. „Da hat jemand gute Lobbyarbeit geleistet.“
Im „Olympia-Eck“ ein paar Meter weiter sitzt nur ein älterer Mann. Vor ihm stehen ein kleines Pils und ein Klarer. Die Kellnerin wischt die saubere Ablage. Nichts los. „Unser ganzes Konzept ist auf die Spieltage ausgelegt“, sagt Benjamin Renger. Ihm gehören das „Olympia-Eck“ und direkt gegenüber das „Preußische Landwirtshaus“.
Vor und nach Spielen drängen sonst Hunderte Fans in den Biergarten, hier werden Aufstellung und Spielverläufe bei Bier und Wurst analysiert. Inzwischen hat Renger wieder auf, doch es kommt niemand. Auch für Freitag hat er kaum Reservierungen.
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Selbst, wenn das Spiel übertragen werden sollte, können es die Gäste nicht bei ihm zu Ende schauen. Laut Verordnung müssen Gaststätten um 22 Uhr schließen, Schlusspfiff ist frühestens um 22.15 Uhr. Wer kommt da schon?
Geisterspiele? Grottig, richtig grauenhaft!
Auch Eric Paschelke will das Derby privat mit Freunden schauen. „Zwei oder drei“, vielleicht werden es auch ein paar mehr, ergänzt er. Paschelke, den alle nur Paschi nennen, ist im Beirat vom „Eisernen V.I.R.U.S.“, einem Fanclub von Union. Hier werden sonst Sonderfahrten zu Auswärtsspielen organisiert, Faninteressen vertreten und Choreografien gebastelt. Dieses Mal nicht. Die Fans lehnen die Geisterspiele ab, haben den Abbruch der Saison gefordert.
In den vergangenen 14 Jahren hat Paschelke beinahe jede Union-Partie im Stadion erlebt – auch auswärts. Nur zur Geburt seines Sohnes und ein paar Mal für den Familienfrieden schaute er zu Hause. Jetzt bleibt ihm nur der Fernseher. Am Sonntag hat er so das Spiel gegen den FC Bayern verfolgt. „Das war grotting, richtig grauenhaft“, sagt Paschelke. Ohne Fans sei die Bundesliga wie eine Altherren-Liga.
Dass die DFL die Saison mit Geisterspielen beendet, hält er für ein „krankes Konstrukt“. Ansehen wird er sich das Derby trotzdem, ist ja sein Verein. Es gehe um viel Prestige. Dieses Mal werde mehr über die Rahmenbedingungen als das eigentliche Spiel gesprochen. „Mit Vorfreude hat das gar nichts mehr zu tun.“
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