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Menschen stehen am Donnertag mit ihrem Gepäck am polnisch-ukrainischen Grenzübergang.
© Wojtek Jargilo/PAP/dpa
Update

Deutsch-polnische Grenze bislang ruhig: So bereiten sich Berlin und Brandenburg auf Flüchtlinge aus der Ukraine vor

Berlins Sozialsenatorin Kipping will Flüchtlinge vorerst in Reinickendorf unterbringen. Brandenburg hält 800 Plätze in Eisenhüttenstadt und Frankfurt/Oder vor.

Einen Tag nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine haben die Sicherheitsbehörden noch kein erhöhtes Aufkommen an ukrainischen Flüchtlingen an der deutsch-polnischen Grenze festgestellt. Das erfuhr der Tagesspiegel am Freitagvormittag aus Sicherheitskreisen.

Allerdings gibt es auch keine lückenlosen Kontrollen, da es sich um eine EU-Binnengrenze handelt - und Ukrainer zudem kein Visum brauchen. Stattdessen ist die Bundespolizei mobil zu sogenannten "Binnengrenzfahndungen" bis 30 Kilometer hinter der Grenze unterwegs, um gegebenenfalls Einreisende aus der Ukraine zu kontrollieren und mit ihnen das Gespräch zu suchen.

Schon am Donnerstag hatte eine Sprecherin der Bundespolizei erklärt, man stehe mit den beteiligten Behörden und Organisationen in einem sehr engen Austausch, vor allem mit dem polnischen Grenzschutz, der europäischen Grenzschutzagentur Frontex und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Die Vereinten Nationen stellen sich auf bis zu vier Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine ein, sollte sich die Situation weiter verschlechtern. Schon jetzt seien rund 100.000 Menschen innerhalb der Ukraine auf der Flucht und Tausende über die Grenzen in Nachbarländer wie Polen, Moldau, die Slowakei und auch Russland geströmt, sagte eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR am Freitag in Genf. Das UNHCR stehe zur Unterstützung bereit. Die Ukraine hat annähernd 42 Millionen Einwohner.

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef verstärkt zudem seine Präsenz in den Nachbarländern Moldau, Rumänen und Polen sowie in Ungarn und Slowenien. Entlang von Fluchtrouten sollen Zufluchtsorte für Frauen und Kinder eingerichtet werden. In Rumänien stünden Konvois bereit, um Material für Zehntausende Menschen in die Ukraine zu bringen, so ein Experte.

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Exakte Prognosen, wie viele Flüchtlinge in Deutschland ankommen könnten, sind derzeit kaum möglich. Allein für Berlin schwanken die Zahlen zwischen 5000 und 70.000. 

Berlins Sozialsenatorin bereitet Unterbringung vor

In Berlin sollen Flüchtlinge aus der Ukraine zunächst im Ankunftszentrum in Reinickendorf untergebracht werden können. "Wir rechnen damit, dass sie jeden Tag eintreffen", sagte die zuständige Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Freitag im rbb-Inforadio. "Nur etwa 1000 Kilometer von Berlin entfernt hat Putin die Ukraine in einem barbarischen Akt angegriffen, und wir wissen, dass sich Menschen auf die Flucht begeben haben."

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Für Beginn nächster Woche kündigte Kipping eine "eigene Ankunftsstruktur für die Flüchtlinge aus der Ukraine" an. Bis dahin stehe das Ankunftszentrum in Reinickendorf zur Verfügung. "Dort ist übers Wochenende alles für die Ankunft von Menschen aus der Ukraine vorbereitet", sagte Kipping. "Es ist nur eine vorübergehende Lösung. Wir müssen aber bereits an diesem Wochenende handlungsfähig sein."

In der kommenden Woche solle eine Unterkunft eröffnen, wo die Kriegsflüchtlinge unterkommen könnten. "Wir haben verschiedenste Objekte in einer ganz engen Auswahl." Weitere Schritte seien geplant: "Wir bereiten das gerade mit dem Senat vor, dass geklärt wird, dass es für die Kinder, die mitkommen, ein Angebot an Schul- und Kitaplätzen gibt, dass die gesundheitliche Betreuung abgesichert ist."

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Aufenthaltsrechtliche Fragen müssen geklärt werden

Kipping wies darauf hin, dass auch die aufenthaltsrechtliche Frage geklärt werden müsse. "Da steht der Bund in der Pflicht. Er muss ganz klar sagen, auf welcher rechtlichen Grundlage die Aufnahme passiert", forderte die Sozialsenatorin. "Wenn einmal ein Mensch aus der Ukraine hier ankommt und Asylantrag stellt, kann der dann nicht einfach die Spur wechseln, sondern ist dann im Aufenthaltsrecht des Asyls drin."

Der Bund müsse das entscheiden. "Und es muss eine klare Regelung geben vom Bund - dafür setzen wir uns auch als Berlin ein -, dass die Menschen, die hier ankommen, dann auch eine Arbeitserlaubnis haben", forderte Kipping. "Wir wissen nicht, wie lange der Krieg andauert und können nicht davon ausgehen, dass es sich nur um ein vorübergehendes Problem handelt." Eine seriöse Zahl, mit wie vielen Flüchtlingen zu rechnen sei, könne sie nicht nennen. "Aber man muss sagen, da ist eine unglaubliche Dynamik", sagte Kipping. "Und wir müssen uns als Stadt Berlin so wie jedes andere Bundesland darauf einstellen, dass es jetzt eine enorme gemeinsame Kraftanstrengung der Solidarität braucht."

Berlin baut eigene Ankunftsstruktur auf

Senat und Bezirke suchen weiter nach Unterkünften für die absehbar in Berlin ankommenden Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Einrichtungen, die nur diesen Menschen zur Verfügung stehen werden, sind nach Angaben der Sozialverwaltung aktuell nicht verfügbar. „Zurzeit wird in Berlin eine eigene Ankunftsstruktur aufgebaut, eine erste Unterkunft für Kriegsflüchtlinge eröffnet in Kürze“, hieß es am Freitag. Bis auf Weiteres werden ankommende Flüchtlinge im Ankunftszentrum des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) in der Oranienburger Straße 285 im Bezirk Reinickendorf untergebracht. Es handele sich dabei um eine „vorübergehende Lösung“.

Ein Blick in die Bezirke zeigt: Die angekündigte Akquise zusätzlicher Unterkünfte wird schwer. Mit Marzahn-Hellersdorf und Charlottenburg-Wilmersdorf antworteten zwei von zwölf Bezirken auf eine entsprechende Anfrage des Tagesspiegels. Beide verwiesen auf die Zuständigkeit des Landes, also des LAF. Während Charlottenburg-Wilmersdorf keinerlei Angaben zur Verfügbarkeit zusätzlicher Unterkünfte machte, bezifferte Gordon Lemm (SPD), Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, die Zahl der in seinem Bezirk verfügbaren Plätze auf 115. Berlinweit sollen es laut LAF 1300 sein. 1300 weitere könnten binnen vier Wochen geschaffen werden.

Ukrainische Interessenverbände werben für mehr Unterstützung

Ukrainische Interessenverbände wie der Zentralverband der Ukrainer in Deutschland mit Sitz in Berlin appellierten an Senat und Bezirke, ihre Anstrengung zu verstärken. „Wir brauchen mehr Unterstützung“, erklärte Lyudmyla Mlosch, Vorsitzende des Verbandes. Zwar organisieren sich die aktuell rund 13.000 in Berlin lebenden Ukrainer und könnten Mlosch zufolge eine dreistellige Zahl von Flüchtlingen aufnehmen.

„Das wird aber nicht reichen, wir brauchen Tausende“, sagte sie. Viktoria Savchuk, Mitarbeiterin beim „Zentrum Liberale Moderne“, das sich für die Demokratie in der Ukraine einsetzt, erklärte, Ukrainer in Berlin würden sich selbst organisieren. „Die Leute fangen an, in Gruppen bei Telegram oder Facebook Schlafplätze zur Verfügung zu stellen“, erklärte Savchuk. Sie rechnet aber nicht damit, dass tausende Ukrainer auf die Hilfe von Politik und Verwaltung angewiesen sein werden. „Viele kommen bei Verwandten oder Freunden unter“, sagte Savchuk. Schätzungen zufolge könnten bis zu 70.000 Ukrainer allein in der Hauptstadt Zuflucht suchen.

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Brandenburg hält 800 Plätze für Flüchtlinge bereit

Auch Brandenburg bereitet sich mit Hunderten Erstaufnahmeplätzen für eine kurzfristige Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine vor. "Für das Wochenende halten wir 800 freie Plätze bereit", sagte der Sprecher des Innenministeriums, Martin Burmeister, am Freitag. Die Plätze stünden in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt und in der Außenstelle in Frankfurt (Oder) zur Verfügung. "Sollte es großen Bedarf geben, sind wir in der Lage, die Kapazität kurzfristig auszuweiten." Das sei möglich mit Zelten, Containern, einer Turnhalle in Eisenhüttenstadt und der Anmietung zusätzlicher Liegenschaften.

Das Brandenburger Innenministerium geht allerdings davon aus, dass eine erste Hauptlast von Flüchtlingen auf Polen und die Slowakei zukommen werde. Es könnte zudem sein, dass Geflüchtete in Deutschland zunächst bei ukrainischen Verwandten unterkommen. Für ukrainische Staatsangehörige gilt im Schengen-Raum eine dreimonatige Visumfreiheit. Innenminister Michael Stübgen (CDU) hatte am Mittwoch im Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) gesagt, nach einem Szenario könnten etwa 400.000 Geflüchtete nach Deutschland kommen. Davon würde Brandenburg nach einem Schlüssel rund 11.000 Menschen aufnehmen.

Ministerpräsident rechnet mit tausenden Flüchtlingen

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) geht von Tausenden Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine aus, die im Land über eine längere Zeit aufgenommen werden. "Wir bereiten uns auf mindestens 10 000 Menschen vor, die wir aus der Ukraine in den nächsten Tagen unterbringen müssen", sagte Woidke am Freitag im ZDF-"Mittagsmagazin". Da Russlands Präsident Wladimir Putin inzwischen einen Krieg gegen die gesamte Ukraine führe, "müssen wir uns wohl leider auf eine längere Zeit einstellen und damit auch auf größere Flüchtlingsströme".

Woidke rechnet mit einer engen Abstimmung der Länder über die Aufnahme von Geflüchteten. "Ich gehe davon aus, dass es auch eine nächste Ministerpräsidentenkonferenz geben wird, wo noch mal die Einzelheiten besprochen werden", sagte der Regierungschef. "Es ist alles geübte Praxis, mittlerweile aus der Situation 2015/2016/2017, und diese Mechanismen müssen wieder anlaufen, um Menschen zu helfen, Menschen in Not." Woidke sagte, es gebe eine "riesengroße Solidarität" und viele Hilfsangebote in Brandenburg.

Der Ministerpräsident sagte, mit Polen gebe es Absprachen über Unterstützung und das Signal, "dass wir sie natürlich auch mit diesem Flüchtlingsaufkommen nicht allein lassen werden, sondern dass Deutschland seinen Teil tragen wird und dabei auch Brandenburg seinen Teil tragen wird". Woidke ist bisheriger Polen-Beauftragte der Bundesregierung. (mit epd, dpa)

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