Brandenburg: Skandal um möglicherweise unwirksame Krebsmedikamente
Gestohlene Medikamente zur Krebsbehandlung sind offenbar in Deutschland in Umlauf gekommen. Schuld sind auch Versäumnisse der Brandenburger Behörden.
Ob und wie viele Krebspatienten betroffen sind, wem die teils unwirksamen Medikamente verabreicht wurden – all das ist noch unklar. Das Brandenburger Gesundheitsministerium kann nicht einmal ausschließen, dass die Medikamente sogar gesundheitsgefährdend waren.
Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) hat es nun mit einem handfesten Skandal zu tun. Es geht um den Umgang der Golze unterstehenden Gesundheitsbehörden der Landes mit den Hinweisen von Justiz und Polizei auf kriminelle Machenschaften beim Verkauf großer Mengen an Krebs-Medikamenten. Arzneien im Wert von mehreren Millionen Euro, mit denen mindestens mehr als ein Jahr illegal gehandelt wurde – und denen die Unbedenklichkeit nicht mehr bescheinigt werden kann.
Ausmaß des Skandals noch nicht klar
Am Mittwoch räumte Golze (Linke) ein, dass die Medikamente durch Versäumnisse im Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG) in Deutschland, aber auch den Niederlanden in Umlauf gekommen sind. Bislang liegen dem Ministerium noch nicht einmal Informationen des Händlers vor, wohin die Ware eigentlich genau ging. Über das ganze Ausmaß des Skandals sagte Golze nur: „Ich kann es derzeit nicht aufklären.“ Die hochsensiblen Arzneien sollen über mehrere Jahre aus Krankenhäusern in Griechenland gestohlen und über einen Zwischenhändler im brandenburgischen Mahlow (Teltow-Fläming) verkauft worden sein. Erst am Dienstagabend ordnete das Ministerium laut Golze den Rückruf der Medikamente an – eineinhalb Jahre nachdem es erste Hinweise auf illegale Machenschaften von Pharmahändlern gab. Unklar ist, ob bereits alle Medikamente, die nicht von Patienten, sondern nur von Ärzten verabreicht werden, verbraucht wurden, der Rückruf also zu spät kommt. Die vor mehr als einem Jahr erfolgten Hinweise auf den illegalen Handel wurden im zuständigen Landesgesundheitsamt, der Brandenburger Arzneimittelüberwachung, die dem Ministerium unterstellt ist, ignoriert und nicht an die Hausspitze weitergeleitet – ob aus Schlamperei oder Absicht, ist unklar. Inzwischen spricht das Gesundheitsministerium sogar vom Verdacht, „dass Informationen unterschlagen wurden“.
Das Ministerium war seit Ende 2016 mit dem Vorgang befasst, nachdem in Polen größere Mengen der aus Brandenburg gelieferten Medikamente gefunden worden waren. Geprüft wurden in Potsdam aber nur Vertriebswege. Auch weil der Lieferant, eine Apotheke in Griechenland, keine Großhandelserlaubnis hat. Dass die Medikamente möglicherweise gestohlen wurden, habe man nicht gewusst.
Kühlkette unterbrochen
Öffentlich wurde der Fall am Donnerstagabend durch einen Beitrag des ARD-Magazins „Kontraste“. Am Freitag erklärte der Abteilungsleiter für Gesundheit im Ministerium, Thomas Barta, noch vor Pressevertretern, dass keine Gefahr für die Gesundheit der Patienten bestanden habe. Medikamentenproben, die bei der Firma in Mahlow genommen und im Landeslabor Berlin-Brandenburg untersucht wurden, hätten ergeben, dass die Medikamente voll wirksam seien.
Tatsächlich wurden, wie das Ministerium nun am Mittwoch einräumte, aber nur Medikamente in Pulverform getestet – und das nach vorheriger Ankündigung. Nicht untersucht wurden hochsensible flüssige Medikamente, die gekühlt werden müssen. Laut „Kontraste“ ist diese Kühlung nicht erfolgt, was die Wirksamkeit erheblich beeinträchtige. Das Gesundheitsministerium erklärte nun, die besonders sensiblen Medikamente hätten mit den Mitteln des Landeslabors Berlin-Brandenburg auch nicht ausreichend geprüft werden können. Barta hatte zudem am Freitag noch erklärt, dass die Arzneimittelüberwachung in Brandenburg bis zu dem Fernsehbeitrag vergangene Woche keine Kenntnis davon gehabt habe, dass die Medikamente, die von einer griechischen Apotheke zum Pharmahändler nach Mahlow geliefert wurden, aus Krankenhäusern in Griechenland gestohlen worden sein sollen. Und dort nach Aussagen der griechischen Polizei vom Mai auch nicht gekühlt gelagert wurden. Er hätte sich eine frühere Information der Staatsanwaltschaft gewünscht.
Doch dem widerspricht die Staatsanwaltschaft Potsdam nun. Am 5. April 2017 sei dem zuständige Landesamt mitgeteilt worden, dass gegen das Unternehmen in Mahlow wegen des Verdachts der Hehlerei ermittelt werde, sagte eine Sprecherin am Mittwoch auf Anfrage. In den Akten des Landesamtes, die Golze am Dienstag zum ersten Mal einsah, findet sich kein Vermerk, dass dieser Hinweis ergangen sei, erklärte die Ministerin am Mittwoch. Dabei war es schon der zweite deutliche Hinweis darauf, dass womöglich gestohlene Medikamente im Umlauf sind.
Unterschlagung von Informationen?
Wie Golze am Mittwoch auch einräumte, haben das Landesamt bereits im März 2017 Hinweise aus Griechenland und ein Amtshilfeersuchen des Brandenburger Landeskriminalamts (LKA) erreicht. Darin ist die Rede von einer anonymen Anzeige, wonach gestohlene und gefälschte Medikamente über die griechische Apotheke importiert wurden und an den Händler in Brandenburg gingen.
„Eine Kopie des Amtshilfeersuchens befindet sich nicht in der Akte“, erklärte Golze am Mittwoch. Lediglich ein Vermerk sei dort zu finden. Dass Informationen unterschlagen wurden, könne sie nicht ausschließen. Das Ministerium hat Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft beantragt und erste Mitarbeitergespräche geführt, um zu klären, warum die Informationskette nicht funktionierte und das Landesamt nicht einschritt und dem Pharmahändler in Brandenburg die Betriebserlaubnis entzog.
Personelle Konsequenzen für sich schloss Golze am Mittwoch aus. Seit 2014 ist sie Ministerin in Brandenburg und seit März Co-Landesparteichefin der Linken. Und es ist davon auszugehen, dass die Rathenowerin Golze die Linke im kommenden Jahr als Spitzenkandidatin in den Landtagswahlkampf führen soll. Es seien Fehler gemacht worden, schon nach ersten Hinweisen hätte die Behörden entschreiten müssen. Am Donnerstag will Golze die Gesundheitspolitiker der Landtagsfraktionen informieren.
Die Opposition behält sich vor, auch eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses einzuberufen. „Dass schwerstkranken Menschen durch kriminelle Machenschaften eine Chance auf Genesung verwehrt wurde, ist eine Schande“, sagte Raik Nowka (CDU). „Ich hoffe aus ganzem Herzen, dass dieses Komplettversagen keine gesundheitlichen Schäden bei Betroffenen nach sich gezogen hat“, sagte Grüne-Fraktionschefin Ursula Nonnemacher.
Die Brandenburger Behörden hätten die „staatliche Fürsorgepflicht, auf die sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen können müssen“ grob verletzt. Hochproblematisch sei es auch, dass das beschuldigte Unternehmen weiter international Re-Importe von Medikamenten tätigen könne.