Berliner Fashion Week: Sind Modeschauen aus der Mode?
Fashion Shows sind nicht mehr ganz zeitgemäß, heißt es in der Branche. Kleine Designer brauchen Alternativen. Ein Besuch bei zwei Modedesignern.
Mit der Zärtlichkeit eines Vulkanausbruchs rauscht Marina Hoermanseder in ihr Atelier in Kreuzberg. Die blonden Haare zum hohen Zopf gebunden, kreischend neongrüner Balenciaga-Pulli, um die Beine wuselt ihr Hund Peanut Pippilotta Viktualia; schnell ins Büro, sie kramt in ihrer Tasche, schlitzt Briefumschläge auf, zehn Minuten Interview, sagt sie, mehr nicht, sie müsse ja auch noch arbeiten. Und so dauert das Interview am vergangenen Freitag exakt zehn Minuten.
Hoermanseders Studio sieht aus, als hätte David Bowie in einem Schneideratelier gefeiert: Kleiderstangen voller glitzernder Blusen, roter Pelz, gelber Pelz, Ledercorsagen auf Modellpuppen, eine Mischung aus Werkstatt und Märchenland. Überall hasten Helfer umher, basteln glitzernde Schuppen aus Swarovski-Kristallen, hämmern auf Gürtelschnallen, Hoermanseders Markenzeichen. Noch sechs Tage bis zur Modenschau auf der Berlin Fashion Week.
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Für die österreichische Designerin ist es einer der bedeutendsten Tage des Jahres. Vier Stunden schlafe sie in letzter Zeit, immerhin. Vor der Show seien es oft nur zwei. „Die Show ist unser wichtigstes Marketing-Tool“, sagt die studierte Betriebswirtin.
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Eine Verkaufsveranstaltung wolle sie nicht, sagt Hoermanseder, deshalb lade sie keine Einkäufer ein. Den Verkauf der Ware regelt sie über ihren eigenen Onlineshop. Bei den Shows setzt sie auf Reichweite: 800 Gäste werden dieses Mal erwartet. Sie lädt Freunde und Familie ein, Kooperationspartner, viele „Fashion People“ und manchmal Fans, die sie auf Instagram um eine Einladung bitten. „Wenn jemand das Glück hat und ich gerade vor der Gästeliste sitze, dann hacke ich ihre E-Mail da rein“, sagt sie. „Fans bringen Emotionen.“ Die kriege sie nicht, wenn da nur Einkäufer und Presse sitzen.
Eine Modenschau kostet bis zu 150.000 Euro
Doch so eine Show auszurichten, kostet. Spricht man mit verschiedenen Designern, machen die folgende Rechnung auf: Mit den Kosten für Location und PR-Firma, Models und Gästepersonal liegt der Preis für eine Schau bei 20.000 bis 150.000 Euro. Dazu kommen ein knappes Halbjahr Vorbereitungszeit, schlaflose Wochen, zigtausend Euro für die Kollektion, für Raum und Dekoration, Mode und Models, alles für 15 Minuten Show. Für kleinere Designer ist das zu viel Geld, da sie nicht absehen können, ob und wann sich diese Investition in zusätzlichen Verkäufen auszahlt.
Und Designer dürfen sich nicht allein auf die schillernden Teile ihrer Wertschöpfungskette konzentrieren. Auf die kreative Arbeit folgt zunächst die schnöde Produktion. Die steckt zurzeit im Wandel: Nachhaltigkeit, Fair-Trade, Fashion Tech oder Wearables sind die Schlagworte der Stunde. Hier geht es nicht allein um Mode als Prachtgefieder wohlhabender oder trendbewusster Menschen. Es geht um T-Shirts, die mithilfe eingewobener Sensoren Schlaganfallpatienten überwachen. Um Hightechfasern, Medizintechnik, Autositze. Die bringen Geld – was auf den Laufstegen passiert, bringt hingegen oft genug Ärger und Kritik: wegen der Magermodels, fehlender Diversität, Ressourcenverschwendung, Kurzlebigkeit der Designs. Braucht die Mode also überhaupt noch Modenschauen?
120 Millionen Euro Umsatz bringt die Fashion Week nach Berlin
Beim Berliner Senat denkt man: Ja. „Die Berlin Fashion Week steht für erfolgreiche Messeformate, medienwirksame Modenschauen, Talentförderung sowie die Präsentation innovativer und nachhaltiger Geschäftsmodelle“, schreibt Senatorin Ramona Pop (Grüne) in einer Mitteilung. Klar, Berlin soll stets mit der Mode gehen.
Immerhin lockt die Berlin Fashion Week angeblich rund 70 000 Modebegeisterte in die Stadt – zweimal jedes Jahr. Wie viele von ihnen wegen der Fashion Shows, Messen oder Partys kommen, lässt sich nicht genau sagen. Aber doch, dass die Besucherzahl über die Jahre drastisch gesunken ist. Laut einer Studie der Investitionsbank Berlin (IBB) waren es 2009 noch rund 240 000 Besucher. Die Gäste sorgen für Umsatz: Sie essen in Restaurants, fahren in Taxis, schlafen in Hotels; als „zusätzliche Wirtschaftsleistung“ produzieren Modetouristen laut Pressemitteilung des Senats etwa 120 Millionen Euro Umsatz pro Saison. Der bezieht sich dabei auf eine Studie der IBB. Es ist ein zehn Jahre altes Papier. So oder so: Für das Land sind die Zahlen Grund genug, die Modebranche weiter zu stärken. Es vergibt dotierte Preise für Newcomer, bietet Förderprogramme an und unterstützt die Berlin Fashion Week finanziell.
Nach zwei Tagen herrscht Ruhe
Während im Atelier von Marina Hoermanseder genäht, geschnitten, gehämmert wird, sitzt der Designer Hien Le knapp einen Kilometer weiter, ebenfalls in Kreuzberg, allein in seinem Studio. Die langen schwarzen Haare zum Zopf gebunden, weiße Hose, beigefarbener Rollkragenpulli. Hien Le ist ein schmaler Mann mit ruhiger Stimme. Sein Studio ist minimalistisch wie seine Mode: weiße Wände, blaue Stoffrollen. In der Ecke dudelt Musik aus einem Macbook. Er wirkt, als hätte er den ganzen Stress bereits hinter sich. Als hätte er Zeit.
Der Grund ist Paris. Statt auf einer Modenschau in Berlin stellt der Designer dort seit 2018 seine Kollektionen in einem Showroom aus. Le entschloss sich dazu, weil sich eine Show finanziell nicht rentierte, auch fehle für ihn in Berlin die modische Relevanz. „Ich habe nicht mehr Mode durch die Show verkauft“, sagt er. Ja, eine Modenschau bringe Aufmerksamkeit, sei aber kurzlebig. „20 Minuten dauert sie, die Presse berichtet zwei Tage. Dann ist es still.“
„Ich mache es nicht des Spaßes, sondern des Geldes wegen“
Auch komme nicht jedes Kleidungsstück vom Laufsteg in den Shop. Nur wenige Teile werden als Konfektion weiterproduziert. Seine Einzelstücke verkauft Le im Sample-Sale oder sie kommen ins Archiv. Deshalb lohne sich für ihn ein Showroom mehr als eine Schau. Weniger Ware, dafür längere Kuration, fünf bis sieben Tage lang, so lange dauert die Paris Fashion Week im März. „Ich mache es nicht des Spaßes, sondern des Geldes wegen.“
Andere, wie die Designerin Esther Perbandt, steigen auf die etwas weniger aufwändige Form der „Präsentation“ um, bei der es meist keinen Laufsteg gibt und die Zuschauer um die im Raum stehenden Models herum laufen können. „Das Schlimmste ist dieser Gedanke: Du MUSST eine Show machen“, sagt Perbandt. Aber ab einem bestimmten Level gehöre das eben dazu. Im Januar 2017 zeigte sie ihre letzte Show, 2019 stieg sie auf eine Präsentation im Berliner E-Werk um. Nach der Pause kamen die Anfragen der Presse, erzählt sie. Eine neue Show? Perbandt verneinte, es sei eine Präsentation, ob man trotzdem kommen wolle? „90 Prozent der Leute hat mir daraufhin nicht mehr geantwortet.“
Verschwendung, die an Naivität grenzt
Die Modenschauen selbst erfüllen ohnehin längst einen anderen Zweck als nur den, die Mode zu verkaufen. Das Prägen der Marke steht im Vordergrund. So entstehen Show-Dekorationen, die so verschwenderisch sind, dass es an Naivität grenzt: die Blumenwände, geschmückt mit einer Million Blüten, zu Raf Simons Debüt-Show bei Dior im Juli 2012. Chanel, die jede Saison in eine andere, aufwendig inszenierte Epoche schickten, von der Antike in eine roboterbesetzte Zukunft. Die Mode ist heute deutlich näher am Endkonsumenten als früher. Die Kunden sind nicht mehr die Einkäufer, sondern die Menschen, die die Fashion Show höchstens im Live-Stream sehen werden: Sie kaufen in Pop-up-Shops, Showrooms und im Onlinehandel direkt beim Label. Auch das Tempo, in dem neue Designs entstehen müssen, hat sich verändert – „Fast Fashion“, vorangetrieben von den großen Modeketten. Zwei- bis viermal im Jahr etwas Neues auf den Markt zu bringen, reicht heute kaum noch aus, die Trends sind zu schnelllebig.
Statt 30 zeigen nur noch 10 Labels ihre Mode
So zweifelt mancher Berliner Modeschöpfer wohl zurecht an Sinn und Zeitgemäßheit von Modenschauen. Diese Trendwende ist in diesem Jahr auch bei der Berlin Fashion Week zu sehen: Nur noch zehn Berliner Labels zeigen dort ihre Mode, es waren einmal mehr als 30. Auch die Gesamtzahl der Schauen hat sich in den letzten Jahren stark verringert. Womöglich könnte der Senat dieser Branche mehr helfen, wenn er die Suche nach einer zeitgemäßen Präsentation fördert, als die nach neuen Talenten.
Marvin Ku