Orang-Utan-Mädchen aus dem Berliner Zoo: „Sie schreit wie ein Menschenbaby“
Am 12. Januar kam im Zoo ein noch namenloses Orang-Utan-Weibchen zur Welt, mit 1.700 Gramm Geburtsgewicht. Zootierarzt André Schüle spricht über die Aufzucht mit der Flasche und erklärt, warum Mutter Djasinga die Kleine nicht annahm.
Herr Schüle, Gratulation zum Nachwuchs. Zu gern würden wir ja das Affenbaby hinter den Zookulissen besuchen.
Das können Sie aber leider nicht, zurzeit dürfen zum Schutz des Tieres vor Keimen nur wir drei Ziehväter an sie heran. Tierpfleger Ruben Gralki kümmert sich in der Zoo-Wohnung um das Baby, Revierleiter Christian Aust ist in die Gästewohnung gezogen, und wir wechseln uns mit den Nachtschichten ab. Das Baby muss ja rund um die Uhr versorgt werden.
Es ist die erste Affenhandaufzucht seit rund zwei Jahrzehnten im Zoo. Warum müssen das denn jetzt Menschen machen und nicht das elfjährige Muttertier?
Wir haben alles versucht, damit Djasinga ihren Nachwuchs annimmt, aber das ist wie bei den Menschen, manche Mutter muss erst in ihre Rolle hineinwachsen. Bei ihr funktionierte das nicht instinktiv, für das Orang-Utan-Weibchen war es das erste Jungtier und vielleicht hat sie die Schmerzen während der Geburt mit dem Baby assoziiert. Geburten gehen schneller als beim Menschen, die Tragezeit beträgt aber auch rund neun Monate.
Was haben Sie denn noch alles versucht?
Wir haben Djasinga nach Rücksprache mit den Experten der Artkomission für Orang-Utans in Narkose versetzt und ihr das Kleine an die Brust gelegt – es saugte und schmatzte gleich los. Aber als die Mutter aufwachte, hat sie ihr Baby wieder abgestriffen. Es wäre auf dem kalten Boden sehr schnell ausgekühlt, und in Absprache mit Zuchtexperten haben wir dann entschieden: Wir müssen das Tier, dessen Art ja in der Natur bedroht ist, retten.
Bei Eisbär Knut gelang das dem Team um Tierpfleger Thomas Dörflein hervorragend – wie bekommt man als Mensch denn so ein kleines Affenkind groß?
Bei Menschenaffen ist das nicht viel anders als bei einem Menschenkind. Die Kleine macht sich alle zwei, zweieinhalb Stunden bemerkbar, dann geben wir dem Säugling eine Frühchen-Milch. Wenn wir nicht gleich kommen, kann sie ganz schön laut werden, dann schreit sie wie ein Menschenbaby. Wir wechseln dann nur die Windeln, eine Affenmutter kann ja auch nicht mit dem Feuchttuch nachwischen.
Laufen Sie die ganze Zeit mit dem kleinen Orang-Utan am Körper herum, wie es das Muttertier tun würde?
Nein, das Baby schläft ja noch sehr viel. Es liegt in einer großen Box, mit einer Wärmflasche unter den Decken und einem kuscheligen Klammertuch für seinen Haltereflex. So wird das jetzt auch etwa zwei Monate weitergehen, erst dann wird die Kleine, die bald auch einen Namen bekommt, eine Klettermöglichkeit erhalten, wenn sie anfängt, die Welt zu erkunden.
Und wie kann dann der Wechsel vom Menschen hin zu einer Affengruppe wieder gelingen? Wo wird das Orang-Utan-Weibchen denn später leben?
Erst mal müssen wir sie gesund groß bekommen. Dann werden wir uns mit dem Koordinator des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms für Orang-Utans in Karlsruhe, Clemens Becker, beraten. Im Zoo Berlin gibt es derzeit insgesamt acht Orang-Utans, die in zwei Gruppen zusammenleben.
Auch bei Menschenaffen wird die Funktion eines Zoos als genetisches Archiv also immer wichtiger?
Oh ja, vor allem die Orang-Utans sind sehr gefährdet, weil sie anders als Gorillas oder Schimpansen hauptsächlich direkt auf den Bäumen leben. Auf den indonesischen Inseln Borneo und Sumatra wird ihr Lebensraum aber immer kleiner. Nach wie vor werden riesige Regenwaldareale gefällt für monotone Palmölplantagen: Das Öl konsumieren wir alle, es ist in Schokoladentafeln, in Duschgels, Fertigpizza oder Margarine – es gibt aber auch schon Alternativprodukte.
Außerdem werden die Muttertiere allzu oft als Buschfleisch geschossen und die Babys auf Märkten als Haustiere verkauft. Der Zoo Berlin ist Teil der Kommission ,GreatApe Tag‘, die gemeinsam zum Wohle der Menschenaffen die Haltung dieser wertvollen Tiere in Zoos koordiniert.