Kurden in Berlin: Sie rufen nach Hilfe gegen den IS - vergeblich
Seit Wochen demonstrieren Kurden gegen die Islamisten. Deutsche lassen sich kaum blicken. Und die türkische PKK ist noch verboten - auch das bedrückt syrische Kurden. Ein Blick in die Community.
Vor dem KaDeWe füllt sich die Tauentzienstraße mit jungen, frisch rasierten Männern, dazu Frauen mit und ohne Kopftücher, ein paar Kinder reihen sich ein, schließlich ältere Herren mit Schnurrbärten. Bald wehen über allen Fahnen in Grün, Rot, Gelb – die kurdischen Nationalfarben. Aus Lautsprechern schallt: "Stoppt das Morden!"
In den kommenden Tagen werden wieder Kurden durch Berlin ziehen – und wohl wieder allein bleiben. Aufrufe, öffentlich Solidarität zu zeigen, fehlten von deutschen Parteien, Gewerkschaften und Kirchen bislang vollends.
Kurden kämpfen auch gegen die Mullahs
Als sich die Kurden vor gut einer Woche in der Herbstsonne vor dem KaDeWe treffen, stehen die Massenmörder des "Islamischen Staates" schon vor Kobane. Fliehende Frauen werden von den Islamisten geköpft, die syrische Stadt selbst aber wird an jenem Tag von Kämpfern der Kurdenpartei PYD gehalten. Plötzlich ziehen fünf Polizisten aus der Menge vor dem KaDeWe einen Jungen heraus, vermutlich 14 Jahre alt. Ein Beamter zischt: "Zeig’ mal!" Der Junge fragt eingeschüchtert: "Warum?" Ein Polizist murmelt etwas von "... Verbot ..." – und reißt dem Kind eine Fahne aus der Hand. Auf der Fahne steht: PJAK – die kurdische Guerilla im Iran.
PKK bleibt verboten - was sagen die Kurden in Berlin?
Nicht nur in Syrien, wo erst die Regierung und nun Islamisten viele Kurden massakrierten, wird die Minderheit verfolgt. Und auch nicht nur in der Türkei, wo in diesen Tagen wieder Kurden erschossen wurden. Im Iran unterdrücken die Mullahs die Kurden ebenfalls seit Jahrzehnten. Und während die Demonstranten an jenem Herbsttag zum Ku’damm laufen, muss der Junge den Polizisten seine Personalien geben. In Deutschland gilt auch ein kurdisches Kind offenbar zunächst als: Unruhestifter. Die Polizei hat allerdings kaum eine Wahl zu ihren Kontrollen, schließlich ist die PKK in Deutschland noch verboten. Und in Deutschland heizt sich die Stimmung der Kurden auf - auch in Berlin.
Massaker in Syrien, Verfolgung in der Türkei, Gleichgültigkeit im Westen – was sagen die Kurden im Berliner Exil dazu?
An diesem Mittwoch, während vor den Augen türkischer Truppen die Kurden verzweifelt ein Massaker in Kobane verhindern wollen, geht Akar B. in Schöneberg erst nach langem Klingeln an sein Telefon: „Dieses Jahr wird in die Geschichte eingehen, 2014 wird Millionen Kurden, Jesiden und Aleviten daran erinnern, was die Welt zugelassen hat.“
B., der seinen vollen Namen nicht nennen will, schaut den ganzen Tag über Nachrichten, er telefoniert mit Freunden im Süden der Türkei: „In Deutschland interessiert sich niemand für uns“, sagt B. müde. B. wurde vor 45 Jahren in Diyarbakir in der Türkei geboren. Er sympathisiert mit der Kurdischen Arbeiterpartei, der PKK, die in den 80ern ihren blutigen Kampf gegen die Regierungen in Ankara begann und auch in Berlin Anschläge verübte.
Kurden stehen zwischen allen Fronten
Als stalinistische Organisation war die PKK auch intern nicht zimperlich, gewann aber Anhänger, weil sie dafür sorgte, dass die Öffentlichkeit von der Unterdrückung der Kurden erfuhr. Die kurdischen Sprachen – mit dem Persischen, nicht dem Türkischen oder Arabischen verwandt – waren in der Türkei lange verboten.
Die Kurden, vor allem ihre militant-sozialistischen Verbände, stehen im aktuellen Weltkonflikt zwischen allen Fronten. Akar B. hat einen Freund in Wedding, Mishaal aus Syrien. Mishaal sagt, er sei einst vor den Truppen von Baschar al Assad geflohen und habe danach lange in einem Asylbewerberheim gelebt. Mishaal ist wütend: „Wir halten auch für den Westen den Kopf hin. Trotzdem interessiert es niemanden.“ Anders als im Nahen Osten üblich, lebten Frauen in vielen kurdischen Gemeinden gleichberechtigt, oft stünden Kirchen neben Moscheen.
Syrische PYD trifft sich in Berlin-Wedding
Vor einigen Tagen dann treffen sich die syrischen Kurden in einem Saal eines verwinkelten Gewerbehofs in Wedding. Der Aufgang ist kaum zu finden, die Treppen staubig, die Fenster wurden lange nicht geputzt. Wer hier einen Raum mietet, kann offenbar nicht viel Geld ausgeben. In dem Saal tagt die PYD, die sich 2003 in Opposition zu Assad in Syrien gründete – und deren Männer und Frauen in diesen Tagen in Kobane sterben.
An der Tür zum Saal wird der Reporter von jungen Männern auf Waffen abgetastet. Die Berliner Kurden haben Angst, in Internetforen machen nationalistische Türken nach wie vor Stimmung gegen die kurdischen Kämpfer – immer wieder ist sinngemäß zu lesen, der „Islamische Staat“ erledige doch nur die Drecksarbeit, die nötig sei, damit die Kurden den türkischen Staat in Ruhe ließen.
{Öcalan hängt an der Wand}
Seit Monaten wollen die türkischen Kurden den syrischen Verteidigern von Kobane helfen, doch Präsident Recep Erdogan lässt sie nicht an die Grenze, die Krieger des „Islamischen Staates“ hingegen konnten Beobachtern zufolge kürzlich noch ungehindert nach Syrien reisen. „Erst werden die Salafisten aus den Ölemiraten aufgerüstet“, sagt Mishaal. „Dann dürfen sie aus der Türkei ihren Nachschub holen.“
Im Weddinger Saal sitzen Familien an weiß gedeckten Tischen, es gibt Tee, zwei Mädchen lesen Gedichte vor, an den Wänden hängen grün-rot-gelbe Fahnen, darauf: Abdullah Öcalan.
Selbst die Linkspartei macht sich rar
Auch die PYD orientiert sich an PKK-Chef Öcalan. Der sitzt seit 1999 in einem türkischen Hochsicherheitstrakt, verhandelt aber mit Erdogan über einen dauerhaften Frieden in der Türkei. Die Verhandlungen standen kurz vor einem Abschluss, ähnlich dem Karfreitagsabkommen in Nordirland. Das könnte nun platzen.
In Deutschland ist die PKK seit 1993 verboten. Und anders als Dänemark oder Belgien galten die Behörden hierzulande als eifrig, wenn es um die Durchsetzung des Verbotes ging. So wird in diesen Wochen in Berlin einem Mann der Prozess gemacht, der auf einer Demonstration 2013 in Mitte gerufen haben soll: „Es lebe die PKK!“ Ein Justizsprecher sagte, auch diese Form der Werbung sei nun mal verboten. „Die Bundesregierung will sich um jeden Preis mit der Türkei arrangieren“, vermutet Mishaal. Deutsche Behörden verweisen auf Spendeneintreiber der PKK, die Schutzgelder von Exilanten erpresst haben sollen.
Die syrisch-kurdische PYD ist nicht verboten, sie fordert auch eine Legalisierung der PKK. Inzwischen gibt es selbst in der Bundes-SPD einige, die bei anhaltendem Gewaltverzicht hierzulande die „Neueinordnung der PKK“ für richtig halten. Der Berliner Innenpolitiker Hakan Tas (Linke) sagte: Die Aufhebung des Verbotes sei nun dringender denn je. Tas stammt ursprünglich aus einer alevitischen Kurdengemeinde im türkischen Erzincan. Was ihm nicht verborgen geblieben sein wird: Die Kurden bleiben auf ihren Demonstrationen allein. Außer Tas selbst ließen sich die sonst so präsenten Politiker der Linkspartei nicht blicken.
80.000 Kurden leben in Berlin
Immerhin 800.000 Kurden sollen in Deutschland leben, davon 80.000 in Berlin. Genau weiß das niemand, denn die meisten sind einst offiziell als Gastarbeiter aus der Türkei gekommen, viele Exilanten kamen zudem als irakische, syrische oder iranische Staatsbürger.
Die iranische PJAK, das dürfte der Polizist vor dem KaDeWe am Ende erkannt haben, ist übrigens nicht verboten: Im Kampf gegen die Mullahs ist dem Westen die kurdische Guerilla ganz recht.