Berliner Grüne liebäugeln mit Enteignungen: Sie geben sich sanft – aber wollen die Revolution
Die Grünen denken nicht mehr darüber nach ob, sondern wie Immobilienfirmen enteignet werden können. Eine Richtungswahl steht an. Ein Kommentar.
Wenn dieser Parteitag der Berliner Grünen eines überdeutlich gezeigt hat: Diese Partei will an die Macht. Nicht bloß in die Regierung, nein, man will jetzt auf den Thron: im Kanzlerinnenamt und im Berliner Rathaus. Die Gesellschaft soll „sozial-ökologisch“ umgebaut werden. Dazu präsentiert sich der Berliner Landesverband geschlossen wie selten. Rhetorisch gibt man sich als Kraft einer neuen Mitte, in Klimafragen als die der „radikalen Vernunft“.
Am besten illustriert das der wolkig wirkende Kompromiss bei der möglichen Enteignung großer Wohnungsunternehmen: Sie würden es ungern tun, aber die Umstände könnten sie notfalls zu dem Schritt zwingen, so klingt das im Parteiprogramm. Zwischen der klaren Ablehnung des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ durch die SPD-Spitze und der aktiven Unterstützung durch die Linkspartei klingt das – je nachdem – wählbar gefällig oder unwählbar unentschlossen.
Wer genau liest und zuhört, merkt aber, dass die Grünen längst weiterdenken: Die Frage des Ob scheint geklärt, es geht jetzt im Parteiprogramm schon um das Wie. Die Grünen wollen nicht den möglichen Enteignungs-Volksentscheid zur Wahl im Herbst abwarten, sondern selbst schauen, wie Vergesellschaftung grundgesetzkonform funktionieren kann. So hat es eine überwältigende Mehrheit auf dem Parteitag beschlossen.
Es wäre ein in Deutschland beispielloser, radikaler Schritt. Die Partei geht ihn bislang einträchtiger als vielfach gemutmaßt. Die Abgeordnetenhauswahl wird deshalb zur Richtungswahl. Was Grüne und Linke auf der einen Seite fordern, käme einer Revolution des Wohnungsmarktes gleich. Deren Risiken, aber auch Chancen, sind kaum absehbar – das zeigen die Nebenwirkungen des Mietendeckels.
Die Debatte um Mieten und Bodenpreise könnte den Wahlkampf prägen
Die SPD, andererseits, will Reformen in der Immobilienbranche, CDU und FDP eher Reförmchen. Aber reicht das, um die massiven Steigerungen der Miet- und Bodenpreise zu stoppen? Wer die nächste Bürgermeisterin oder der nächste Bürgermeister Berlins wird, hängt auch davon ab, wie stark diese Debatte den Wahlkampf prägt.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Hier spielen die Grünen auf Risiko: Die bislang eher unbekannte Bettina Jarasch soll für die Partei, so scheint es, mögliche Revolutionen als Revolutiönchen verkaufen, bloß keine neue Tempo-30-Debatte. Indianerhäuptling, das wäre sie schon früher gern geworden, sagte Jarasch auf dem Parteitag: „So viel anders als jetzt ist das gar nicht.“
Was für viele nach harmlosem Kindheitstraum klingt, war für Einzelne Grüne unsagbar. Jarasch sprach deshalb später in eine Rede sogar selbst von „unreflektierten Kindheitserinnerungen“. Auch sie müsse noch dazu lernen, sagte sie. Bis zur Wahl ist dafür nicht mehr viel Zeit.