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Von diesem Lkw wurde am Montag eine Radfahrerin überfahren. Ein Gutachter untersucht jetzt die Unfallursache.
© Morris Pudwell

Nach tödlichem Unfall in Berlin-Neukölln: Sicht von Lkw-Fahrern ist oft gefährlich eingeschränkt

In Neukölln starb erneut eine Radfahrerin durch einen abbiegenden Lastwagen. Womöglich behinderten Wimpel und Gardinen den Fahrer. Die Strafe für solche Vergehen ist allerdings gering.

50 Verkehrstote – schon jetzt mehr als im gesamten Vorjahr. Am Montagnachmittag wurde eine Radfahrerin von einem schweren Sattelschlepper in Neukölln erfasst und getötet. Auch die 76-Jährige starb den für Radfahrer klassischen Unfalltod, nämlich durch einen nach rechts abbiegenden Lastwagen. Die Frau wollte gegen 16 Uhr in der Gutschmidtstraße auf dem Radweg geradeaus, der Kieslaster nach rechts in den Buckower Damm einbiegen. Wieso der 57-Jährige die Radfahrerin „offenbar übersah“, wie das Präsidium formulierte, ist unklar.

Nach Informationen des Tagesspiegels wird sich ein von der Staatsanwaltschaft beauftragter Unfallgutachter auch mit dem Lastwagen beschäftigen. Auf Fotos ist zu erkennen, dass vor allem die Frontscheibe des Lastwagens mit Gardinen, Wimpeln und anderen Dekorationen verhängt ist. „Die Scheibe ist ziemlich zugehängt“, beschrieb ein Experte der Polizei den Unfall-Laster. Wenn der Gutachter feststellt, dass die Sicht des Fahrers eingeschränkt war, „wäre das strafverschärfend“, sagte der Beamte.

Bereits bei der polizeilichen Unfallaufnahme seien Spiegeleinstellungen und mögliche Sichtbeeinträchtigungen protokolliert worden, dies sei Standard bei schweren Unfällen. Sehr viel detaillierter wird der Sachverständige in einem Gutachten die „Sichtachsen“ des Fahrers beschreiben.

Unter den 50 Verkehrstoten in diesem Jahr sind 15 Radfahrer

Unter den 50 Verkehrstoten in diesem Jahr sind 15 Radfahrer. Fünf Radfahrer starben durch rechtsabbiegende Lastwagen, es ist auch in diesem Jahr die häufigste Unfallursache. Nach Zählung des ADFC sind seit Anfang 2008 in Berlin 96 Radfahrende im Straßenverkehr ums Leben gekommen. Bei 33 von ihnen war der Unfallverursacher ein Lkw, darunter 28 beim Abbiegen nach rechts. Im Oktober war eine junge Radfahrerin in der Beusselstraße von einem Rechtsabbieger getötet worden. Wie berichtet, waren bei diesem Lkw die rechten Außenspiegel verstellt oder defekt.

Die Polizei kritisiert als „typisches Fehlverhalten“ von Lkw-Fahrern „die unaufmerksame und leichtsinnige Fahrweise gegenüber in gleicher Richtung fahrenden Radfahrern“. Der ADFC fordert mehr Sicherheitssysteme, zum Beispiel Detektoren, die den Fahrer warnen, wenn Fußgänger oder Radler rechts vom Fahrzeug sind und Bremsassistenten, die den Lkw automatisch stoppen. Sinnvoll seien auch tief nach unten gezogene Scheiben. In London müssen ab dem Jahr 2020 Lkw diese Scheiben haben – oder sie dürfen nicht in die Stadt hinein. Die Stadt zog Konsequenzen aus der Tatsache, dass Lkw vier Prozent des Verkehrs ausmachen, aber an 58 Prozent der Radunfälle beteiligt sind.

EU-weit sterben über 4000 Menschen jährlich bei Lkw-Unfällen

Zweimal gab es in diesem Jahr in Berlin Sonderkontrollen der Polizei „zum Schutz von Radfahrern“. Dabei wurde auch kontrolliert, „ob das Sichtfeld der Fahrer in den Führerhäusern in unzulässiger Weise durch Wimpel, Gardinen oder Bilder eingeschränkt ist“. Im Juli wurden dabei elf Fahrer erwischt, im April drei. Sie mussten die Wimpel abhängen und ein Bußgeld zahlen: 10 Euro. „Beim nächsten Halt hängen die sich den Wimpel doch wieder auf“, kritisierte ein Verkehrspolizist das niedrige Bußgeld. Bei der BVG ist jegliche Dekoration in der Fahrerkabine verboten, sagte Sprecherin Petra Reetz. Bei der BSR gilt das Verbot nur, wenn die Sicht des Fahrers eingeschränkt ist, sagte Sprecherin Sabine Thümler.

Im Jahr 2014 wollte die EU die Vorschriften für Fahrerhäuser reformieren und unter anderem tiefe Scheiben vorschreiben. Auf Druck der Hersteller wurde das auf 2022 verschoben. Nach Einschätzung von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hätte die Reform 300 bis 500 Menschenleben pro Jahr retten können. Derzeit sterben EU-weit über 4000 Menschen jährlich bei Lkw-Unfällen.

Für den Dienstagabend riefen der ADFC und der Volksentscheid Fahrrad zu einer Mahnwache am Unfallort auf. Eine der Forderungen des Volksentscheid ist, dass nach jedem schweren Unfall die Verkehrsführung untersucht wird. Auf der Unfallkreuzung von Montag gibt es auf jeden Fall Verbesserungsbedarf: Autofahrer dürfen zweispurig von der Gutschmidtstraße nach rechts in den Buckower Damm abbiegen – für Radfahrer ist das lebensgefährlich. Volksentscheid-Organisator Heinrich Strößenreuther rief Senat und Bezirke auf, „die Sicherheit von Radfahrern nicht länger hinten anzustellen“.

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