Berlin: Sexuelle Belästigung: Landesbetriebe sollen Richtlinien bekommen
Bisher haben solche Richtlinien nur die Wasserbetriebe, BSR und Charité. Senatorin Ramona Pop spricht von einer "Unkultur" in der Stasi-Gedenkstätte.
Jede vierte angestellte Frau in Deutschland hat schon mal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt, wie eine Forsa-Befragung 2018 ermittelte. Möchte die oder der Betroffene – auch sechs Prozent der Männer gaben an, sexistisches Verhalten erlebt zu haben – gegen die Übergriffe etwas unternehmen, gibt es in vielen Betrieben aber keinen Ort, keine Person, an die man sich wenden kann.
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) möchte das ändern. Die 56 Landesbetriebe und ihre 140 Tochterunternehmen sollen nach Pop verbindliche Richtlinien zur Prävention und zum Umgang mit sexueller Belästigung implementieren. Die Berliner Grünen hatten bei ihrem Parteitag im Juni 2018 einen Antrag dazu beschlossen. „Die Null-Toleranz gegenüber sexueller Belästigung in Betrieben muss schriftlich fixiert werden“, sagt die Abgeordnete Anja Kofbinger. Die landeseigenen Betriebe hätten da besondere Verantwortung. Bisher gibt es solche Richtlinien nur bei den Wasserbetrieben, der BSR und der Charité.
Wie wichtig schriftliche Vereinbarungen sind, weiß die Gleichstellungsbeauftragte der Charité, Christine Kurmeyer. Am Universitätsklinikum führte 2014 der Fall eines Mädchens, dass sich von einem Pfleger sexuell belästigt fühlte, zu einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem Thema auf Betriebsebene. „Es war schwierig, das Thema als Unternehmen an die Öffentlichkeit zu tragen“, erinnert sich Kurmeyer.
Ein vertrauensvolles Umfeld ist wichtig
Aber umso notwendiger. Nach einer Umfrage beim ärztlichen Personal hatten mehr als 60 Prozent der befragten Männer und 70 Prozent der Frauen schon einmal verbale Belästigung erfahren, und etwa 20 Prozent, vor allem Frauen, auch körperliche. Im Dezember 2017 trat in der Charité eine Betriebsvereinbarung für den Umgang mit sexueller Belästigung in Kraft.
Die hält fest, was als sexuelle Belästigung gilt und gibt einen konkreten Beschwerdeablauf vor. Viele Betroffenen, die sich an Kurmeyer wenden, wüssten nicht genau, wie sie das Geschehene einordnen und ob sie es schon als Übergriff melden sollen. Gerade in einer Klinik, wo der Körperkontakt zum Arbeitsalltag gehört, sei der Graubereich, was als Belästigung gilt und was nicht, bedeutend. „Es ist wichtig, das Geschehene in einem vertrauensvollen Umfeld erzählen zu können“, sagt Kurmeyer. Das Gefühl der Hilflosigkeit soll genommen werden, das viele in solchen Situation verspüren. Der Beschwerdeablauf regelt auch, dass der oder die Betroffene entscheidet, wie es nach dem Erstgespräch weitergeht.
„Es ist wichtig, dass das Opfer bestimmt, wann es Opfer ist“, sagt Kerstin Oster, Vorständin für Personal und Soziales der Berliner Wasserbetriebe (BWB). Die BWB haben als erstes landeseigenes Unternehmen schon seit 2012 eine „Dienstvereinbarung zum partnerschaftlichen Verhalten“. Hier ist definiert, was nach einer Beschwerde passiert, wer informiert wird. Man müsse klar durchgreifen, sagt Oster, und als Unternehmen signalisieren, dass diskriminierendes Verhalten nicht toleriert werde. Notfalls bis zur Kündigung. Jeder Neuzugang bei den BWB wird über die Richtlinien informiert.
Landeseigene Betriebe sollen Vorbilder sein
„In den meisten Unternehmen macht man sich erst darüber Gedanken, nachdem es einen schlimmen Vorfall gab“, sagt Senatorin Pop, was zu spät sei. Sie bezieht sich nicht zuletzt auf die Vorfälle in der Gedenkstätte Hohenschönhausen. „Dort herrschte offenbar eine Unkultur, die die Führungskräfte nicht zur Kenntnis nehmen wollten.“ Direktor Hubertus Knabe musste seinen Posten abgeben, als im Herbst 2018 bekannt wurde, dass er jahrelang nicht gegen sexuelle Belästigung durch seinen Stellvertreter eingeschritten war.
„Zu einer modernen Unternehmenskultur gehört es, feste Richtlinien im Umgang mit sexueller Belästigung zu haben“, sagt Pop. Die landeseigenen Betriebe sollen anderen Unternehmen ein Vorbild sein. In der Umsetzung der Betriebsvereinbarungen müsse man auch „Männer mitnehmen, da gibt es sehr viele, die engagiert und bereit sind.“ Für die landeseigenen Betriebe ist die Senatsverwaltung für Finanzen zuständig, unter Senator Matthias Kollatz (SPD). In Abstimmung mit ihr könnten die Beteiligungsrichtlinien für die Betriebe, an denen das Land Berlin eine Beteiligung hat, so aktualisiert werden, dass sie auch Vorschriften für Betriebsvereinbarungen zum Umgang mit sexueller Belästigung enthalten. „Wir brauchen einen Klimawandel“, fordert die Abgeordnete Kofbinger, „im positiven Sinne.“
Für Christine Kurmeyer von der Charité steht aktuell das hierarchische und raue Klima im OP-Saal im Fokus. Um das zu verbessern, erhalten Mitarbeiter seit kurzem verpflichtende Vorträge zum Thema Belästigung am Arbeitsplatz. Im Anschluss dürfen sie sich anonym darüber äußern, was läuft, was nicht – und was sie „nie mehr im OP-Saal hören möchten.“ Für diese Möglichkeit seien ihr die Beteiligten sehr dankbar, sagt Kurmeyer.
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