Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz: Senat setzt Sonderermittler Jost im "Fall Amri" ein
Nun ist es offiziell: Ein Sonderbeauftragter ersetzt einen Untersuchungsausschuss in Berlin. Ex-Bundesanwalt Jost soll die Arbeit der Sicherheitsbehörden nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz begutachten.
Der Berliner Senat hat erstmals offiziell bestätigt, dass der frühere Bundesanwalt Bruno Jost unabhängig zu Ermittlungspannen im Fall Anis Amri ermitteln soll. Er wurde zum Sonderbeauftragten ernannt, der die Arbeit der Sicherheitsbehörden nach dem Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz unabhängig begutachten soll. Das sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Forderungen von AfD und FDP nach Einsetzung eines Untersuchungsausschusses lehnte die rot-rot-grüne Koalition gemeinsam mit der CDU erneut ab.
Mit dem neuen Ermittler ist die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur „Vorgeschichte, den Abläufen und Folgerungen“ des Anschlags vom 19. Dezember 2016 für das Land Berlin vorerst vom Tisch. Dem Vernehmen nach soll der künftige Sonderbeauftragte Jost noch vor den Sommerferien einen Zwischenbericht vorlegen. Mit einem Endbericht ist wohl erst zum Jahresende zu rechnen. Im Herbst findet die Bundestagswahl statt.
Nach Informationen aus Koalitionskreisen haben sich die Regierungsfraktionen von SPD, Linken und Grünen mit der oppositionellen CDU informell auf ein solches Vorgehen geeinigt. Senatskanzleichef Björn Böhning soll an den Gesprächen beteiligt gewesen sein.
Bruno Jost war "Mykonos"-Ermittler
Der künftige Sonderbeauftragte Bruno Jost, der 2009 in den Ruhestand ging, gilt als profilierter Jurist. Als Oberstaatsanwalt war er seit 1992 am Bundesgerichtshof für Straftaten gegen die innere Sicherheit Deutschlands zuständig, dann wechselte er in die Abteilung für äußere Sicherheit und wurde im Jahr 2000 zum Bundesanwalt befördert. Von 2003 bis 2007 war Jost Geheimschutzbeauftragter der Bundesanwaltschaft, zuständig für Spionage und Landesverrat. 2012, da war Jost schon drei Jahre im Ruhestand, wurde er in die Bund-Länder-Kommission zur Untersuchung der NSU-Morde berufen.
Bundesweit bekannt wurde der Chefermittler, als er nach der Ermordung von vier iranischen Oppositionellen im Berliner Restaurant Mykonos 1992 die Ermittlungen führte. Drei Libanesen, die den Anschlag im Auftrag staatlicher Stellen des Irans verübten, wurde 1997 der Prozess gemacht. Es gab sogar einen Haftbefehl gegen den damaligen Geheimdienstminister des Iran. Bevor Jost nun in Berlin tätig wird, wandern erst einmal die Akten der Berliner Staatsanwaltschaft zum „Fall Amri“ nach NRW. Im Düsseldorfer Landtag haben CDU, FDP und Piraten einen Untersuchungsausschuss zur Rolle der Sicherheitsbehörden durchgesetzt. Berlins Generalstaatsanwalt Ralf Rother wurde als Zeuge geladen.
Nur FDP und AfD wollen einen Untersuchungsausschuss
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Burkard Dregger, hatte die Ernennung eines Sonderbeauftragten bereits als einen „sehr interessanten Vorschlag“ eingestuft. Jedenfalls dann, wenn die Untersuchung von einem „Fachmann mit Reputation“ geführt werde, der Zugang zu allen Akten erhalte. Ein Untersuchungsausschuss bleibe eine Option, wenn sich herausstellen sollte, dass der Sonderermittler nicht erfolgreich arbeiten könne. „Wir sind jederzeit in der Lage, einen Untersuchungsauftrag zu formulieren“, sagte Dregger. Aber es gehe jetzt vor allem um die „Effektivität und Praktikabilität“ der Fehleranalyse.
Die Initiative für einen Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses zum Verhalten der Sicherheitsbehörden im „Fall Amri“ ging Ende Januar von der FDP-Fraktion aus. Unterstützung bekamen die Liberalen bisher aber nur von der AfD – ohne die Christdemokraten wird das Quorum für die Einsetzung eines solchen Gremiums (ein Viertel der Abgeordneten) nicht erreicht. Ein Untersuchungsausschuss hat richterliche Befugnisse, kann weitreichend ermitteln, Zeugen anhören und vereidigen. Ob der Sonderbeauftragte vergleichbare Kompetenzen erhält und durchsetzen kann, wird man sehen.
Angeblich soll es eine Absprache zwischen sozialdemokratisch geführter Senatskanzlei und dem ehemaligen Koalitionspartner CDU geben, dass der Abschlussbericht des Sonderbeauftragten Jost erst nach der Bundestagswahl fertig sein soll. Außerdem solle die Verantwortung für mögliche Fehler der Sicherheitsbehörden möglichst auf die Behörden in Nordrhein-Westfalen abgeladen werden. Ein solcher Zeitplan solle helfen, aus wahltaktischen Gründen Schaden vom ehemaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) und dessen Nachfolger Andreas Geisel (SPD) abzuwenden. Dieser Hinweis wurde in Koalitionskreisen als „böses, parteipolitisch motiviertes Gerücht“ zurückgewiesen. Eine politische Instrumentalisierung des Terroranschlags sei tatsächlich unerwünscht, aber die unabhängige Untersuchung solle möglichst zügig abgeschlossen werden.