Flüchtlingskrise in Berlin: Senat greift nach früheren Baufeldern in Tempelhof
Der Senat will auch die östlichen Ränder des Tempelhofer Feldes nutzen und das Tempelhof-Gesetz aushöhlen. Es kommt eine Halle von "einfacher Schönheit", wie ihr Architekt findet.
Noch einen dritten Anlauf muss der Senat wohl unternehmen – an diesem Dienstag fasste die Regierung jedenfalls noch keinen Beschluss zu den umstrittenen Plänen, mit denen die Bauverwaltung auf das Tempelhofer Feld zugreifen will. Wie berichtet soll dazu der per Volksentscheid in Gesetzesform gegossene Verzicht auf jede bauliche Änderung an der Freifläche vor dem still gestellten Airportgebäude wieder rückgängig gemacht werden. Vorübergehend, temporär, heißt es allenthalben – aber diesen Zusicherungen trauen die Aktivisten nicht.
Neben der 200-Meter-Zone auch an der Oderstraße Notunterkünfte im Gespräch
Zumal Bausenator Andreas Geisel (SPD) am Dienstag klar stellte, dass nun auch auf der östlichen Seite des THF temporäre Unterkünfte errichtet werden könnten. Neben der 200-Meter-Zone am Tempelhofer Damm, die als Ausnahmeregelung für Unterkünfte eingeführt werden soll und damit das Tempelhof-Gesetz durchlöchern würde, erwägt der Senat auch temporäre Bauten am Rand des Feldes in Neukölln. Damit könnten Handwerker auch auf zwei Zonen anrollen, die seit dem erfolgreichen Volksentscheid im Jahr 2014 für unberührbar galten. Geisel zufolge verhandelt der Senat noch mit der „Initiative 100 Prozent Thf“ und hofft auf deren Zustimmung. Doch ein Konsens war am Montagabend nicht zu erzielen. Nun plane der Senat die Gesetzesänderung am kommenden Dienstag zu beschließen.
Vergeblich hatte sich am Montagabend Baustaatssekretär Christian Gaebler (SPD) der Diskussion gestellt in der Zollgarage am Columbiadamm. Der Senat nahm Rücksicht auf die Initiative, die die Senatspläne in ihrem Plenum noch diskutieren will. Der für die Entwicklung und Pflege des Feldes zuständige Koordinator Tillmann Heuser vom B.U.N.D sprach von einer „sachlichen und ruhigen Diskussion“ bei der Vorstellung der geplanten Änderung des Tempelhof-Gesetzes. Die Bereitschaft, den Flüchtlingen zu helfen, sei ein gemeinsamer Nenner aller Beteiligten. Dennoch bleibe „Misstrauen“ unter den Aktivisten bestehen. Sie fürchten, dass der Senat die Flüchtlingskrise zur Aushöhlung des Tempelhof-Gesetzes nutzt.
Zumal Gaebler aus Sicht mancher Aktivisten nicht überzeugend darlegen konnte, warum der Senat die eigentlich für die Internationale Gartenausstellung (IGA) bestellte Blumenhalle nicht einfach auf dem Vorfeld des Flughafengebäudes aufbaut. Dazu wäre überhaupt keine Änderung des Tempelhof-Gesetzes notwendig. Der Senat sieht das anders: Dort sei die Ver- und Entsorgung mit Wasser nur mit erheblichen Aufwand möglich, ebenso sei die Lagerung von Waren schwierig und Flucht- und Rettungswege würden verstellt. Bis zu sieben Hangars mit 5000 Flüchtlinge sollen auf dem Gelände belegt werden.
Argwohn besteht unter den Aktivisten auch deshalb, weil der vom Senat stattdessen 200 Meter breite Streifen am Tempelhofer Damm, „genau die ursprünglich vorgesehene Baufläche für Wohnhäuser ist“.
1,8 Millionen kostet die Halle, 90 Meter lang ist sie
Bestellt ist die Blumenhalle schon, eigentlich für die IGA in Marzahn. Nach den neuen Plänen würde das 1,8 Millionen Euro teure Provisorium doppelt genutzt werden, zunächst einmal als Notunterkunft. Die Halle - 90 Meter lang, 62 Meter breit - besteht aus Holzträgern, die auf Betonfertigteilen verankert werden. Diese werden aufs Gras gelegt. In vorgefertigte Löcher kommen Holz-Ständer und Holz-Bögen. Am Schluss spannen Experten eine lichtdurchlässige, aber undurchsichtige Membranhülle darüber. Über 4000 Quadratmeter spannt sich die Leichtkonstruktion mit lichtdurchlässiger Membran. Platz für 700 Flüchtlinge bietet sie, stehen soll sie im Februar. Ende des Jahres 2016 will der Senat sie wieder abbauen und zur IGA nach Marzahn verfrachten.
Entwickelt hat er sie für die Buga 2009 in Schwerin. Seither wurde sie noch drei weitere Male vermietet. Bremen hatte dann ursprünglich die Idee, die Halle zur Flüchtlingsunterbringung zu nutzen, Berlin kam kurz danach. "Das ist eine sehr einfache Halle, darin liegt ihre Schönheit", sagt Matthias Gorenflos, der Architekt, der die Halle entworfen hat und sie heute vertreibt. Wie es innendrin aussehen wird, weiß er noch nicht - in Bremen war wohl ursprünglich geplant, Container reinzustellen, in denen die Flüchtlinge wohnen können, aber Wohncontainer sind schwer zu bekommen zur Zeit. Möglich wäre daher auch, Trennwände einzubauen, ähnlich wie in den Hangars in Tempelhof. Als Blumenhalle, die sie ja eigentlich ist, verfügt sie auch über eine Heizung. "Und die ist warm genug, dass auch Menschen im Winter drin wohnen können", sagt Matthias Gorenflos. Und in Zukunft? Es gebe auch weitere Interessenten, sagt Gorenflos.
Kommen neben die Halle Modularbauten?
In Senatskreisen heißt es, dass die Neubauten auf dem Feld im Änderungsentwurf für das Tempelhof-Gesetz bis zum Jahr 2019 stehen bleiben dürfen. Das schürt den Argwohn, denn was ist wirklich auf den früheren Wohnungsbauflächen geplant, wenn die Blumenhalle in zwei Jahren wieder weg ist?
Spekulationen über den Bau von Modularbauten, die eine Lebensdauer von 30 Jahren haben, weist die Bauverwaltung strikt zurück: Ausschließlich "Notunterkünfte" für Flüchtlinge seien befristet bis 2019 geplant. Auch eine Schule und eine Kita für die Flüchtlingskinder am Tempelhofer Feld sollen entstehen, die dringend benötigt werden, so hieß es in der Diskussion am Dienstagabend. Dass in vier Jahren ein ganzes Stadtquartier am Rande des Feldes stehen könnte, das niemand mehr abreißen würde, wie spekuliert wird, weist jedenfalls die Bauverwaltung strikt zurück.
Ralf Schönball, Thomas Loy, Bodo Straub