zum Hauptinhalt
Für einen Volksentscheid wären rund 170.000 Unterschriften nötig. Kommt der Entscheid zum Wahltag im September?
© Gregor Fischer/dpa

Enteignungsgesetz zu "Deutsche Wohnen & Co.": Senat geht von 29 Milliarden Euro Entschädigungskosten aus

Würden nach einem erfolgreichen Volksbegehren per Gesetz Wohnungsfirmen enteignet, wird das teuer. Ein Senatsbeschluss zeigt nun, mit was Berlin rechnen müsste.

Von Ronja Ringelstein

Kommt nach dem "Mietendeckel" noch mehr "juristisches Neuland" auf die Berliner zu? Diese These jedenfalls stellt der Senat auf, für den Fall, dass das Volksbegehren "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" erfolgreich wird und nach einem Volksentscheid ein Vergesellschaftungsgesetz entworfen würde.

Ein am Dienstag gefasster Senatsbeschluss zur Initiative, der dem Tagesspiegel vorliegt, zeigt auch auf, welche Entschädigungskosten auf das Land zukommen könnten: Der Senat geht von 29 Milliarden Euro aus.

Mit der Initiative soll der Senat unverbindlich aufgefordert werden, "alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung [...] erforderlich sind".

Nachdem die für Volksbegehren zuständige Senatsverwaltung für Inneres vergangene Woche mitgeteilt hatte, dass der Antrag auf das Volksbegehren formell und materiell zulässig ist, musste nun der Senat seinen Standpunkt dazu mitteilen, bevor das Abgeordnetenhaus sich damit beschäftigt.

"Das Ansinnen des Volksbegehrens könnte ggf. nur durch ein politisch und im konkreten juristisch umstrittenes Vergesellschaftungsgesetz erreicht werden. Dies hätte weitreichende Bedeutung und wäre - erneut - juristisches Neuland. Es bedürfte auch in den Details ausführlicher politischer Debatten", heißt es in dem Beschluss des Senats. "Es wäre ein juristisch zumindest umstrittenes Gesetz", betonte auch Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) in der an die Senatssitzung anschließende Pressekonferenz.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten aus Berlin live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Der Senat legt in seinem Standpunkt vor allem dar, wie er selbst gedenkt, die Wohnungsnot in Berlin zu regeln und welche Maßnahmen dafür bereits ergriffen werden. Grundsätzlich werde das Ziel der Initiatoren, den "gemeinwirtschaftlichen" Anteil am Wohnraumangebot zu erhöhen, vom Senat unterstützt und vom Land Berlin schon jetzt durch Ankäufe, Neubau, Bindungen aus Förderungen und Vorgaben wie im Berliner Modell der Baulandentwicklung verfolgt, heißt es.

Zudem nutze das Land Berlin rechtliche und städtebauliche Instrumente zur Dämpfung der Mietenentwicklung, so etwa den seit diesem Jahr geltenden "Mietendeckel". Dessen Auswirkungen allerdings kämen den Mieterinnen und Mietern bereits jetzt zugute, deren Wohnungen nach den Vorstellungen der Initiatoren des Volksbegehrens sozialisiert werden sollen, heißt es in dem Senats-Standpunkt weiter.

Rund 226.000 Wohnungen wären wohl "Vergesellschaftungsgegenstand"

Auch die Kosten überschlägt der Senat und geht in seiner Kostenschätzung nach dem derzeitigen Stand von Entschädigungskosten von mindestens 29 Milliarden Euro aus und nimmt an, dass Berlin im Falle einer Kreditfinanzierung aus dem Landeshaushalt rund sechs Milliarden Euro bezuschussen müsste. Denn die Initiative will Unternehmen "vergesellschaften", die mehr als 3000 Wohnungen besitzen.

Bei einem Schwellenwert von Unternehmen mit rund 3000 Wohnungen wären nach bisher vorliegenden Kenntnissen rund 226.000 Wohnungen Vergesellschaftungsgegenstand.

"Der Senat geht in seiner Kostenschätzung nach dem derzeitigen Stand von Entschädigungskosten von 28,8 bis 39,5 Milliarden Euro aus und nimmt an, dass Berlin im Falle einer Umsetzung über eine neu zu gründende Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) Eigenkapital von rund 6,1 bis 9 Milliarden Euro aufbringen müsste", heißt es im Beschluss konkret.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Hinzu kommen Erwerbsnebenkosten von 0,5 Prozent, beziehungswiese 200 Millionen Euro sowie weitere einmalige Kosten in Höhe von 1,4 bis 3,2 Milliarden Euro laut Rechnung der Finanzverwaltung.

"Im Fall aktuell sehr günstiger niedriger Zinsbedingungen könnten bei einer Entschädigung unter Verkehrswert die laufenden Kosten zur Finanzierung gedeckt bzw. Überschüsse von etwa bis zu 190 Millionen Euro jährlich erzielt werden; bei einer Entschädigung zum Verkehrswert und konservativen Annahmen zu den Zinsbedingungen wären Zuschüsse von bis zu 540 Millionen Euro jährlich notwendig."

Ein Volksentscheid am Wahltag im September 2021 ist denkbar

Es werde laut Senat zu prüfen sein, ob eine AöR die passende Rechtsform sei, um die erforderliche "wirtschaftliche und organisatorische Beweglichkeit für ein effizientes wirtschaftliches Handeln zu gewährleisten". Mögliche sei auch die Gründung mehrerer weiterer landeseigener Wohnungsunternehmen in privater Rechtsform.

Als nächstes wird innerhalb der nächsten vier Monate das Berliner Parlament entscheiden, ob es das Volksbegehren in seinem wesentlichen Bestand unverändert annimmt. Tut es das nicht, wird das Volksbegehren durchgeführt. Ein Volksentscheid zur Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl im September nächsten Jahres wäre also denkbar, wenn es die Initiative schafft, die für einen Volksentscheid erforderlichen rund 170.000 Unterschriften zu sammeln.

Zur Startseite