Flächen für die Wirtschaft gesucht: Senat erfindet die "Berliner Mischung" neu
Rot-Rot-Grün hat ein Konzept verabschiedet, um dringend benötigte Flächen für Unternehmen zu sichern. Es sollen auch neue Gewerbehöfe entstehen.
Die Wohnungen sollen den Blick auf die Straße haben, in den Hinterhöfen sitzen die Gewerbebetriebe: So stellte sich der preußische Stadtplaner James Hobrecht (1825 bis 1902) die optimale Fusion von Wohnen und Arbeiten vor. Und tatsächlich findet man diese "Berliner Mischung" noch in vielen Kiezen der Stadt. Andernorts verbannten die Planer die Fabriken eher ans Rande oder gar vor die Tore ihrer Stadt.
Hobrechts Konzept war lange umstritten, da vor allem ärmere Berliner Familien, die sich nur eine Wohnung zum Hinterhof leisten konnten, oft dem Lärm und Schmutz, den die Betriebe produzierten, direkt ausgesetzt waren. Heute, wo Gewerbetreibende und Produktionsbetriebe in der Regel keinen giftigen Qualm mehr ausstoßen, gilt diese Mischung wieder als schützenswert in Berlin.
So will der Senat die "Berliner Mischung" neu fördern – und überhaupt mehr dafür tun, dass auch Unternehmen im Stadtgebiet noch bezahlbaren Raum finden, um ihr Geschäft zu betreiben. Das geht aus dem "Stadtentwicklungsplan Wirtschaft 2030" hervor, den die Landesregierung auf ihrer Sitzung am Dienstag beschlossen hat.
"Damit Berlin eine lebenswerte Metropole bleibt, braucht die Stadt neben Flächen für den Wohnungsneubau auch Flächen für die wachsende Wirtschaft", sagte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) bei der Vorstellung des Plans im Roten Rathaus.
In Zeiten zunehmender Nutzungskonkurrenzen sei es von größter Wichtigkeit, die Entwicklung der Stadt integriert voranzutreiben. Sie lud ausdrücklich die privaten Akteure ein, die im Plan ausgewiesenen Potenziale zu aktivieren: Keine Selbstverständlichkeit in Zeiten in denen der Senat – speziell Lompschers Partei – sich offenbar durch eine investorenkritische Politik zu profilieren sucht.
Gesamte Wirtschaftsfläche in Berlin so groß wie der Bezirk Lichtenberg
Auch Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) verwies auf die wachsenden Nutzungskonflikte um die knapper werdenden Flächen. "Um die Potenziale unseres dynamischen Wirtschaftswachstums weiterhin ausschöpfen und einen weiteren Arbeitsplatzzuwachs zu erreichen, ist ein ausreichendes Flächenangebot für die Sicherung, Erweiterung und Neuansiedlung von Unternehmen wichtig." Mit dem Stadtentwicklungsplan Wirtschaft 2030 werde man die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes langfristig erhalten und die Modernisierung der Berliner Industrie nachhaltig unterstützen, sagte Pop.
Der Plan solle den Rahmen bilden, um potenzielle Standorte systematisch zu betrachten und langfristig zu sichern und bodenpreisdämpfend zu wirken, um auch weniger zahlungskräftigen Betrieben aus produktionsgeprägten Branchen ein ausreichendes Flächenangebot machen zu können. Er solle die ebenfalls vom Senat aktualisierten Stadtentwicklungspläne (StEP) zu Wohnen, Zentren sowie Mobilität und Verkehr sinnvoll ergänzen.
Insgesamt sind in Berlin derzeit rund 5340 Hektar als Wirtschaftsflächen ausgewiesen – diese Zahl schließt nicht nur klassische Gewerbeflächen ein, sondern auch Flächen der Ver- und Entsorgung, also zum Beispiel der von Klärwerken oder Stromtrassen. Sie entspricht rund sechs Prozent der Grundfläche Berlins beziehungsweise die Fläche des Bezirks Lichtenberg.
Der Senat geht davon aus, dass jedes Jahr rund 40 Hektar (400.000 Quadratmeter) zusätzliche Flächen gebraucht werden, damit das Wirtschaftswachstum anhalten kann. Zum Vergleich: Der Berliner Zoo umfasst 35 Hektar.
Insgesamt sieht er ein langfristiges Potenzial von 1030 Hektar, das sind etwa 16 Prozent weniger als beim letzten Stadtentwicklungsplan zu diesem Thema aus dem Jahr 2011. Um neue Flächen zu erschließen, müsse Gewerbe auch platzsparender arbeiten.
Doch der Gestaltungsspielraum des Senats ist begrenzt: Weniger als ein Drittel (rund 30 Prozent) dieser Flächen hält man in den Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Stadtentwicklung für "kurzfristig aktivierbar". Und von diesen Flächen sind auch nur rund 40 Prozent im Besitz oder unter Kontrolle des Landes Berlin.
Insofern muss der Senat mit Privateigentümern kooperieren – oder mit Behörden wie zum Beispiel der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben). Der Senat wolle eigene Grundstücke für Unternehmen bereitstellen, aber auch Flächen kaufen. Dafür gibt es einen Fonds von 50 Millionen Euro.
Pop kündigte zudem an, dass der Senat zwölf Jahre nach dem Verkauf der GSG (Gewerbesiedlungs-Gesellschaft) auch wieder Gewerbehöfe schaffen wolle. Es gehe um ein bis zwei Modellprojekte, bei denen kleine Unternehmer vor steigenden Mieten geschützt werden sollen. Profitieren könnten auch Kultur- und Kunstproduktionsbetriebe, hieß es.
Ein möglicher Standort liege an der Herzbergstraße in Lichtenberg, ein anderer in Pankow. Die Verhandlungen dazu seien aber noch nicht abgeschlossen. Die Koordinierung soll die landeseigene Wista Management GmbH übernehmen, die unter anderem den Technologiepark Adlershof und anderen sogenannte "Zukunftsorte" betreut.
Eine Lösung, um Druck vom Markt für Büro- und Gewerbeimmobilien zu nehmen, wäre es womöglich auch, stillgelegte Bahn-Gelände für Betriebe erschließen. Der Senat beschloss – auf Antrag von Lompscher – ebenfalls in seiner Sitzung am Dienstag, mit der bundeseigenen Deutsche Bahn AG besser und früher ins Gespräch über dessen nicht mehr benötigten Betriebsflächen kommen zu wollen.
Von Gewerbe oder Produktion wie einst in einer "Berliner Mischung" ist da allerdings nicht mehr die Rede: In dem bereits vor einem Jahr vom Abgeordnetenhaus verabschiedeten Bericht geht es darum, Bahnflächen für "verkehrliche Nutzungen" und für "soziale und ökologische Stadtentwicklung" sichern.