Merkels Stil wird uns noch fehlen: Selbst eine Frage zum Wasserstoff beantwortet sie fachlich
Stoizismus, Sachlichkeit und Detailkenntnis: Merkel glänzt bei der Sommerpressekonferenz. Ihre Art hat längst die politische Kultur verändert. Ein Kommentar.
Oh ja, die Deutschen werden sie vermissen. Gut, nicht alle, aber viele – danach: Ein Jahr noch Angela Merkel, und dann ist sie nicht mehr Kanzlerin. Die erste Erste, eine, wie es keine Zweite gibt. Warum diese Freundlichkeit, werden ihre Gegner sagen, und es sind – den langen Jahre ihrer Kanzlerschaft entsprechend – viele.
Weil sie sich, ja doch, um Deutschland verdient gemacht hat. Und sei es durch ihre gleichbleibend ausgleichende Art, die weltweit einzig ist. Nennen wir sie darum die Merkel-Art. Das klingt fast nach Kunst, und irgendwie ist sie es auch. Ihr Stoizismus in jeder Hinsicht und Situation, auch jetzt wieder in ihrer Sommer-Pressekonferenz, hat inzwischen die politische Kultur verändert. Die in Deutschland, wie sich an ihren wiederholten Wahlsiegen über die Vertreter des politischen Machismus zeigt, und in Europa, wo selbst Vertreter von Nationen, die sich als groß empfinden, sich selbst disziplinieren.
Wie Merkels Zusammenspiel seinerzeit mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und heute Emmanuel Macron belegt. Mit der Zeit hat sich noch jeder der geradezu erbarmungslosen Sachlichkeit der Angela Merkel angepasst. Und kein Trump, kein Putin, kein Xi kommt an ihr vorbei. Positiv gesprochen: Sie stellt sich hintenan.
Kritischer gefasst: Sie lässt zu wenig erkennen, wofür sie steht und das Land führen will – von vorne, nicht von hinten wie eine Schäferin die ihr anvertraute Herde. Das sagte einmal Christian Wulff, der Merkel lange kennt, und das gilt bis heute. Anders ausgedrückt: Die Kanzlerin analysiert die Situation so lange, bis sich die Lösung gleichsam herausmendelt. Die Merkel dann unterstützt.
Merkel bleib keine Antwort schuldig – außer zu ihrem Privatleben
Da soll niemand ihre Entschlossenheit unterschätzen. Es gibt Schlimmeres. Wer sie in der Bundespressekonferenz gehört und gesehen hat, nimmt diesen Eindruck mit: Die Kanzlerin ist im Stoff, bis ins Kleingedruckte hat sie alles gelesen, kennt jeden Spiegelstrich, bleibt auf keine Frage eine Antwort schuldig. Es sei denn, die Fragen seien privat. Da wird sie übrigens erstaunlich ironisch. Für Merkel ist das Private nicht politisch; hier ist sie die Konservative, die Konservative nicht in ihr zu erkennen vermögen.
[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de. ]
Was ja auch wahr ist: Merkel ist ein anderes Wort für moderat, für Moderation des Möglichen. Darin ist sie standfest, was viel mit ihrem Vorsatz strikter Sachlichkeit zu tun hat. Es regiert eine „Realissima“. Beispiele gefällig? Um Einfluss auf Belarus zu nehmen, will sie nicht nur über, sondern mit Lukaschenko reden. Ähnliches mit Russland und Putin, mit China. Da lässt sie sich nicht abschrecken, abweisen schon, aber das fällt auf die zurück, die es tun.
Und die Zukunft, die nach ihr kommt? Technologie, Digitalisierung, Wasserstoff. Ja, Wasserstoff, auch dazu hat sie eine Antwort. Überrascht kann über diesen Punkt nur sein, wer vergisst, wie groß sie im Kleinen ist. Wie sehr sie erhaltene Informationen geradezu neuronal vernetzt. So portioniert Merkel dann auch das Große. Kein Wunder, dass die Chinesen sie achten: Merkel verfolgt ihre Ziele, verzieht selten die Miene, achtet sehr genau darauf, ihr Gesicht zu wahren.
Das gilt, nicht zuletzt, in der Coronakrise. Sie redet mit allen, würde auch mit den Kritikern von der Straße diskutieren – aber folgt in der Sache ihrem Stoizismus. Was, wie all die Jahre, die Geister scheidet. Aber vielleicht, auf ihre Art, zu einem guten Ende führt. Die – auf alle möglichen Nachfolger geschaut – vermisst werden wird. Und je länger es her ist, desto mehr.