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Einen Fall sexuellen Missbrauchs mit so jungen Beteiligten hat der Schulpsychologe noch nicht erlebt.
© Patrick Pleul / dpa

Sexueller Missbrauch an Berliner Grundschule: Schulpsychologe: „Der Täter muss integriert werden“

Ein Zehnjähriger soll einen Gleichaltrigen sexuell missbraucht haben. Schulpsychologe Klaus Seifried rät, den Täter nicht aus der Gesellschaft auszuschließen.

Sexuelle Belästigung, Missbrauch in Familien, Vergewaltigung, Mädchen, die gegen Geld mit Jungs mit Gebüsch verschwunden sind – Klaus Seifried hat in seinem Berufsleben an Schulen schon vieles erlebt. Aber so einen Fall mit so jungen Beteiligten wie den, der gerade die Schulszene beschäftigt, hatte er noch nie. „Ungewöhnlich“ nennt ihn der langjährige Schulpsychologe, 13 Jahre Leiter des Schulpsychologischen Beratungszentrums Tempelhof-Schöneberg.

Ein zehnjähriger Junge aus Afghanistan soll kurz vor den Sommerferien bei einer Klassenfahrt einen zehnjährigen Mitschüler sexuell missbraucht haben. Zwei Elfjährige, aus Syrien und Afghanistan, sollen das Opfer dabei festgehalten haben. Der zehnjährige Afghane galt an seiner Schule, einer Brennpunktschule, schon länger als verhaltensauffällig.

Seifried, inzwischen pensioniert, bezweifelt das Alter des mutmaßlichen Haupttäters, sagt aber auch, das sei Spekulation. „Entscheidend sind das Festhalten des Opfers und eine extreme Form von Gewalt.“ In so einem Fall müssen die Verantwortlichen „sehr konsequent vorgehen“. Die erste Maßnahmen dienten dabei dem Opferschutz und der Opferstabilisierung.

Täter sollten wieder integriert werden

Insofern habe die Schulleitung alles richtig gemacht, indem sie die mutmaßlichen Täter sofort aus dem Umfeld des Opfers entfernt und ihnen den Zugang zur Schule verwehrt habe. Das Opfer und seine Familie erhalten derzeit psychologische Hilfe. Allerdings müssten auch die Täter wieder sozial stabilisiert und integriert werden, sagt Seifried. Schließlich handele es sich um Kinder.

Aber wie geht es jetzt weiter? Beim mutmaßlichen Haupttäter, sagt Seifried, „muss man schauen, in welchem Kontext dieses Kind beschulbar ist“. Nach Informationen der „Berliner Morgenpost“ soll der Zehnjährige in einer Schulersatzmaßnahme unterrichtet werden. Derzeit gehe der Junge gar nicht zur Schule.

Sowohl die mutmaßlichen Mittätter als auch das Opfer besuchten jetzt neue, unterschiedliche Schulen. Alle drei mutmaßlichen Täter stammen aus Flüchtlingsfamilien. Laut „Morgenpost“ sind sie durch Fluchterfahrung und familiäre Schicksalsschläge schwer traumatisiert.

Prüfen, ob der Junge in einer intakten Familie lebt

Wenn der zehnjährige Afghane schon länger verhaltensauffällig gewesen sei, sagt Seifried, „muss man ihn zu einem sozial angepassten Verhalten erziehen“. Er müsse lernen, „dass man andere Kinder nicht mit Aggressionen und Gewalt begegnen kann, auch wenn er solches Verhalten auf der Flucht erlebt und gelernt hat“. Ein „langwieriger Prozess“.

Doch die Verantwortung, sagt der Psychologe, trügen vor allem die Eltern. „Das Jugendamt muss prüfen, ob der Junge in einer intakten Familie lebt. Sind es Eltern, die einen normalen Ordnungsrahmen geben können?“ Dass nicht alle geflüchteten Väter und Mütter dazu in der Lage sind, überrascht Seifried nicht.

„Viele Eltern, die geflüchtet sind, leben hier seit zwei, drei Jahren in Wartestellung, sie rutschen in Passivität und depressive Resignation und haben oft nicht mehr die Kraft, ihre Kinder zu erziehen und ihnen Grenzen zu setzen.“ Deshalb sei es wichtig, auch die Eltern in den Prozess der Stabilisierung einzubeziehen. Die Antwort auf die Frage, in welcher Schulform der Zehnjährige am besten aufgehoben ist, hängt auch von einem psychologischen Gutachten ab. „Mit zehn Jahren sollte man Kindern grundsätzlich eine positive Prognose und Entwicklung ermöglichen“, sagt Seifried.

Für viele Beobachter stellt sich die Frage, warum die Lehrer von dem mutmaßlichen Vorfall nichts mitbekommen haben. Ein Freund des mutmaßlichen Opfers hat sich einem Sozialarbeiter der Schule offenbart. Für Seifried ist es nachvollziehbar, dass die Lehrer erstmal nichts erfahren haben. „Es ist typisch, dass Missbrauchsopfer und Opfer von Gewalt sich aus Scham zurückziehen.“

Opfern von Mobbing, Missbrauch oder anderer Demütigungen empfiehlt er grundsätzlich: „Holt Hilfe von Erwachsenen, Sozialarbeitern, Erziehern, Lehrern oder euren Eltern.“

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