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Geteilte Meinungen. Aber es gibt auch viel Lob für die Ausbildung.
© Kitty Kleist-Heinrich

„Kultur der Angst“?: Schüler und Eltern verteidigen die Staatliche Ballettschule

Die Vorwürfe gegen die Staatliche Ballettschule wiegen schwer. Aber nicht alle stimmen ihnen auch zu: Einige Schüler und Eltern zeichnen ein positives Bild.

Demütigende Äußerungen von Lehrkräften, „Bodyshaming“ und eine „Kultur der Angst“: Die Vorwürfe, die gegen die Staatliche Ballettschule und Schule für Artistik erhoben werden, wiegen schwer. Die Senatsbildungsverwaltung hat, wie berichtet, zur Aufarbeitung inzwischen eine Expertenkommission und eine Clearingstelle eingerichtet.

Es gibt jedoch auch Schüler und Eltern, die die Situation anders einschätzen. Franziska Mölle, die als Produktionsdramaturgin des Landesjugendballetts arbeitet, hat Aussagen von 39 Personen gesammelt, die ein positiveres Bild der Schule vermitteln. Die Texte von Schülern, Absolventen, Eltern und anderen, die an der Schule tätig sind oder waren, liegen dem Tagesspiegel vor.

Mölle sagt, es gehe nicht darum, alle Vorwürfe für nichtig zu erklären. „Natürlich hoffe ich, dass durch die Untersuchungen konkrete Missstände aufgeklärt werden, damit diese tolle Schule mit ihren außergewöhnlichen Schülern wieder in die Zukunft blicken kann“, schreibt sie.

Sie wünsche sich, dass sich bei der Clearingstelle nicht nur diejenigen melden, die Beschwerden hervorbringen. Diejenige, die zufrieden seien, sähen oft keinen Grund, etwas zu sagen. Das aber könne das Bild, das sich der Clearingstelle vermittelt, ins Negative verzerren.

[Erreichbar ist die Clearingstelle unter Tel. 0176/86016667, Mail: clearingstelle.sbs@senbjf.berlin.de, Adresse: Clearingstelle SBS, Juliusstr. 41, 12051 Berlin]

In vielen der Statements, die Franziska Mölle erhalten hat, kommt Befremden über die Berichterstattung zum Ausdruck, etliche empfinden diese als zu negativ. Seit den ersten Medienberichten herrsche an der Schule große Verunsicherung, schreibt eine Schülerin. Viele Schüler hätten inzwischen Angst, sich frei zu äußern. Die Schülerschaft sei in zwei Lager gespalten.

„Kultur der Angst"

Tatsächlich hatte es Ende Januar eine Erklärung der Schülerschaft gegeben, in der es hieß, dass eine „Kultur der Angst“ den Schulalltag beherrsche. Dieses Problem existiere „sowohl zwischen den Schüler*innen und ihren Trainer*innen, als auch zwischen Schüler*innen und der Schulleitung“ – und beziehe sich „vor allem auf die Angst vor Konsequenzen bei Äußerung von Problemen oder Kritik“.

Zu den Konsequenzen gehörten unter anderem „schlechte Bewertung im Training, Vorbehalt, an Vorstellungen teilnehmen zu dürfen, oder auch der Rausschmiss“. Manche hätten Angst, Verletzungen oder Krankheiten zuzugeben, weil ihnen sonst Faulheit oder Unzuverlässigkeit vorgeworfen würde.

Aus der Reihe getanzt. Eine Clearingstelle befasst sich mit den Vorwürfen gegen die Staatliche Ballettschule.
Aus der Reihe getanzt. Eine Clearingstelle befasst sich mit den Vorwürfen gegen die Staatliche Ballettschule.
© Doris Spiekermann-Klaas

Auch in den von Franziska Mölle gesammelten Statements schreiben Schüler, dass die Ausbildung anspruchsvoll ist. „Die harten Trainingsmethoden an der Schule sind ein offenes Geheimnis, ich verstehe nicht, warum alle auf einmal so schockiert sind“, schreibt ein Absolvent. „Es ist schwer, aber es macht mir eine riesige Freude“, sagt eine Schülerin.

Viele sind der Schule und den Lehrern dankbar. An der Schule herrsche eine friedliche und ermutigende Atmosphäre, schreibt eine Schülerin. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe nahmen gemeinsam Stellung: „Wir sind sehr glücklich mit unseren Lehrern. Die sogenannte ’Kultur der Angst’ herrscht unter uns und den Lehrern nicht.“

Schüler fürchten, die Schule müsse geschlossen werden

Verletzt oder mit Schmerzen müsse man nicht tanzen, es werde auch kein Druck wegen der Figur ausgeübt. Es sei wichtig ist, dass man den Anschuldigungen nachgeht. Aber viele Schüler fürchteten jetzt, dass die Schule geschlossen werde oder dass beim Ausbildungskonzept Abstriche gemacht würden. „Das wäre für uns ein wahr gewordener Alptraum“, schreiben sie.

Eine Mutter berichtet, dass viele Schüler inzwischen Angst hätten, etwas Positives zu sagen. Ihre Tochter werde von „sehr kompetenten, fähigen und oft verständnisvollen Pädagogen“ unterrichtet.

Die eingesetzte Expertenkommission mit dem Leiter Klaus Brunswicker ist unterdessen dabei, sich ein Bild von der Lage zu machen. Zunächst stehen Gespräche mit den Schulgremien an. Mitglieder der Kommission hätten sich bereits den beiden Mitarbeitern der Clearingstelle der Schulkonferenz und der Gesamtelternvertretung vorgestellt und über ihre Arbeitskonzepte berichtet. „Auf beiden Veranstaltungen gab es viel Zustimmung und eine sehr offene Haltung uns gegenüber“, sagt Brunswicker. Für Montag haben die Schüler die Expertenkommission zu einer Vollversammlung eingeladen.

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Die Vertreter der Clearingstelle gaben in der vergangenen Woche einen ersten Einblick. Bis dahin hatten sich rund 60 Lehrer, Fachkräfte, Eltern und ehemalige sowie aktuelle Schüler gemeldet. Inzwischen habe es rund 80 Kontakte gegeben, aktualisierte die Diplompsychologin der Clearingstelle, Elke Nowotny, die Zahl am Freitag auf Anfrage.

Es habe inzwischen sehr viele persönliche Gespräche gegeben, allerdings seien nicht allzu viele aktuelle Schüler dabei. Es gebe offenbar „eine große Angst“, sich zu äußern. Nowotny sprach auch von einer „Polarisierung“ unter den Schülern, also zwischen denen, die Kritik übten, und den Befürwortern der bisherigen Schullinie. „Wir müssen alle hören“, betont Nowotny.

Eine Schülerin meldete sich beim Tagesspiegel

Beim Tagesspiegel hatte sich bereits am Sonntag eine der 39 an der aktuellen Aktion beteiligten Personen gemeldet, eine Schülerin, die angab, dass die Mehrheit ihrer Klasse die Schule positiv sehe. Sie stellte sich auch indirekt hinter den freigestellten Schulleiter Ralf Stabel. Sie und viele weitere Schülerinnen seien unzufrieden, dass die gewählte Klassenvertretung den kritischen Brief mitgetragen habe. Die Siebzehnjährige betonte, dass sie sich an der Schule gut aufgehoben und gefördert fühle.

Ralf Stabel sowie der ebenfalls freigestellte Leiter des Landesjugendballetts Gregor Seyffert hatten bei Bekanntwerden der – damals noch anonymen Vorwürfe – „Verleumdungen“ und „Falschbehauptungen“ beklagt. Stabels Grußwort ist inzwischen von der Homepage der Schule verschwunden. Der eigentlich aktuell geplante Tag der offenen Tür wurde auf den Herbst 2020 verschoben.

Susanne Vieth-Entus, Sylvia Vogt

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