Mobbing und Angst an Berliner Ballettschule: Auch die Schulaufsicht gerät in den Fokus
Der Senat ändert die Besetzung des Gremiums, das die Vorwürfe gegen die Eliteschule klären soll. Dort wird weiter der Mythos von „anonymen“ Vorwürfen gepflegt.
Der Mythos von lediglich „anonymen“ Beschuldigungen – er wird weiterhin an der Staatlichen Schule für Ballett und Schule für Artistik gepflegt: Sechs Tage nach der Freistellung der beiden wichtigsten Leitungspersönlichkeiten, Ralf Stabel und Gregor Seyffert, spiegelt die Homepage der Schule noch immer nicht annähernd den Stand der bisher bekannt gewordenen Dinge wieder.
In einer „Mitteilung des Schulleiters“ hieß es noch am Wochenende in der Rubrik „Aktuelles“ lediglich, dass die Schule sich „intensiv mit den anonym vorgebrachten Vorwürfen“ auseinandersetze. Unterschrieben ist die Mitteilung von Ralf Stabel selbst und nicht von seiner Stellvertreterin, die seit vergangenem Montag die Geschäfte führt.
Mehr noch: Über Stabels und Seyfferts Freistellung erfuhr der Besucher der Homepage – zumindest bis zum Wochenende – nichts. Verlinkt sind lediglich Pressemitteilungen der Bildungsverwaltung von Anfang Februar. Damals war die Einsetzung einer Expertenkommission und einer Clearingstelle angekündigt worden. Davon, dass die Clearingstelle inzwischen ihren Betrieb aufgenommen hat, ist ebenso wenig zu erfahren wie davon, dass sie inzwischen erreichbar ist (Tel. 0176/86016667, Mail: clearingstelle.sbs@senbjf.berlin.de, Adresse: Clearingstelle SBS, Juliusstr. 41, 12051 Berlin).
Der missglückte Auftritt des Abteilungsleiters
Das Attribut „anonym“ spielt eine Schlüsselrolle in der bisherigen Behandlung des Themas. Selbst nachdem betroffene Schülerinnen den bildungspolitischen Sprecherinnen der Koalition von ihren belastenden Erfahrungen berichtet hatten, wurde aus angeblich gut informierten „Insidern“ die Behauptung gestreut, dass es sich bei den Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen der Abgeordneten „nur“ um Schülervertreter und nicht um Betroffene gehandelt habe.
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Dazu passte, dass der Abteilungsleiter von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), Christian Blume, bei der Vollversammlung in der Schule am vergangenen Dienstag ebenfalls immer wieder das Wort „anonym“ benutzte und zudem von „Unterstellungen“ sprach. Darüber hinaus hatte er, wie berichtet, ausgeführt, dass die Freistellung der beiden Leiter dazu diene, sie „zu schützen“ und „aus der Schusslinie zu nehmen“.
Nach empörten Reaktionen sah sich Scheeres dann am Donnerstag im Abgeordnetenhaus gezwungen, eine Entschuldigung des Abteilungsleiters auszurichten. Zudem beteuerte sie, dass ihr der Kinderschutz extrem wichtig sei – so wichtig, dass sie sich vor Jahren als Abgeordnete dafür eingesetzt hatte, ihn in die Berliner Verfassung aufzunehmen.
Verquickungen zwischen Ballettschule und Verwaltung
Als vertrauensbildende Maßnahme und um der Behandlung des Themas mehr als bisher gerecht zu werden, hat Scheeres dem Vernehmen nach angeordnet, dass die bisher verantwortliche Schulaufsicht durch eine neue Kraft verstärkt wird, die aus einem anderen Bezirk kommt und von der es heißt, dass sie – anders als andere ehemalige und jetzige Mitarbeiter des Bildungsverwaltung – nicht mit der Ballettschule verquickt sei: „Die Schulaufsicht soll mit in den Blick genommen werden“, gab Scheeres im Plenum als eine Aufgabe an die Expertenkommission vor.
Überhaupt sieht sich die Bildungsverwaltung immer stärkerer Kritik ausgesetzt, seitdem bekannt wurde, dass die Beschwerdestelle schon 2015 mit Vorwürfen gegen die Führung der Eliteschule konfrontiert war, ohne dass eine Prüfung sichtbar in Gang kam. Im Gegenteil: Der damalige Beschwerdemanager habe, so teilte die Bildungsverwaltung mit, die Vorwürfe nicht protokolliert und könne sich auch nicht an den Vorgang erinnern.
Die Entwirrung der Abhängigkeiten und Verbindungen innerhalb und außerhalb der Schule ist inzwischen Aufgabe einer Expertenkommission unter dem angesehenen ehemaligen Schöneberger Schulleiter Klaus Brunswicker. Er soll auch die „Kommunikationsstrukturen“ innerhalb der Schule untersuchen, denn es gilt als Schlüsselfrage, was Stabel von dem Leiden der Schüler wusste. Am Mittwoch wird sich die Kommission erstmals direkt an der Schule informieren.
Sie haben Angst, Kritik zu üben, berichten Schüler
In einer Erklärung der Schülerschaft von Ende Januar hieß es, dass „die Kultur der Angst“ den Schulalltag beherrsche. Dieses Problem existiere „sowohl zwischen den Schüler*innen und ihren Trainer*innen, als auch zwischen Schüler*innen und der Schulleitung“ – und beziehe sich „vor allem auf die Angst vor Konsequenzen bei Äußerung von Problemen oder Kritik“.
Zu den Konsequenzen gehörten unter anderem „schlechte Bewertung im Training, Vorbehalt an Vorstellungen teilnehmen zu dürfen oder auch der Rausschmiss“, schreiben die Schüler. Stabel und Seyffert wiesen allerdings vergangene Woche alle Vorwürfe zurück. Auch von Elternseite ist bisher kaum etwas Kritisches zu hören, was nicht nur jene, die den Schülervorwürfen mit Vorsicht begegnen, registrieren. Nur sehr vereinzelt haben sich Eltern offen geäußert – darunter eine Mutter am Freitag in der ZDF-Sendung „Aspekte“.
Die freigestellten Leiter wehren sich
Der freigestellte Leiter Ralf Stabel hatte nach seiner Freistellung mitgeteilt: „Die vorübergehende Freistellung erfolgte nicht, weil ich meine Dienstpflichten verletzt hätte oder weil andere von mir zu vertretende Gründe vorliegen. Die in Presse und Öffentlichkeit zitierten Vorwürfe wurden stets anonym vorgebracht. Es kursieren Verleumdungen, Falschbehauptungen und Anschuldigungen in der Öffentlichkeit, für die kein einziger Beleg beigebracht wurde. Es liegen also bisher keine konkreten Fälle vor, denen ich hätte nachgehen können. Es wäre an der Zeit, die anonymen Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und rechtlich zu bewerten. Diejenigen Personen, die die Vorwürfe bisher anonym verbreiten, sollten ihre Anschuldigungen persönlich vortragen und entweder belegen oder zurücknehmen. Ich gehe eher davon aus, dass es für die Ereignisse der letzten Wochen Gründe gibt, die sich mir hoffentlich bald erschließen. Aus dienstrechtlichen Gründen werde ich mich zum Sachverhalt nicht weitergehend äußern.“
Ein gleichlautendes Statement war laut Deutscher Presseagentur durch Gregor Seyffert erfolgt. Seyffert war früher künstlerischer Leiter der Eliteschule, dann aber Chef des 2017 gegründeten Landesjugendballetts. Von letztgenannter Position wurde er zuletzt freigestellt.