Grundschule in Wedding: Wie geht es weiter mit den Deutsch-Spezialklassen?
An der Gustav-Falke-Schule in Wedding gibt es Spezialklassen für Kinder mit guten Deutschkenntnissen. Nun könnte der Versuch abgebrochen werden.
An der Gustav-Falke-Schule in Wedding liegen bei vielen Lehrern und Eltern die Nerven derzeit blank. Die Schule fürchtet nämlich um die Verlängerung ihres Schulversuchs, der unter großem Aufsehen vor mehr als drei Jahren begonnen worden war. Damals richtete die Schule, die aufgrund schwindender Schülerzahlen im Jahr 2010 kurz vor der Schließung stand, zwei Anfängerklassen ein, in die nur Kinder eingeschult wurden, die einen Deutschtest bestanden hatten. Die Klassen wurden Nawi-Klassen genannt, weil sie schon ab der ersten Klasse naturwissenschaftlichen Unterricht haben.
Wegen dieses besonderen Angebotes haben sich viele bildungsbewusste Eltern überhaupt erst für die Schule, die im sozialen Brennpunkt in Gesundbrunnen, ein paar Meter nördlich der Bernauer Straße liegt, entschieden, darunter einige Familien aus dem benachbarten Kiez südlich der Bernauer Straße, aus Alt-Mitte. Die Anmeldezahlen stiegen wieder. Davor kamen die verbliebenen Schüler nahezu ausschließlich aus armen Familien mit türkischer oder arabischer Migrationsgeschichte. Auch bildungsbewusste Migrantenfamilien mieden die Schule und meldeten ihre Kinder an anderen Grundschulen an.
Doch jetzt ist es unklar, ob und wie es mit den Nawi-Klassen im nächsten Schuljahr weitergeht. Schulleiterin Karin Müller hat einen Antrag auf Verlängerung gestellt, eine Entscheidung der Senatsbildungsverwaltung steht aber noch aus. In der vergangenen Woche besuchte Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) die Schule. Ergebnisse würden in Kürze kommuniziert, heißt es aus der Bildungsverwaltung.
Schulgesetz schreibt Heterogenität bei Klasseneinteilung vor
Die Eltern der Zweitklässler-Nawi-Kinder sorgen sich zudem um die Zusammensetzung der dritten Klassen im nächsten Schuljahr. Die Schulverwaltung würde die Nawi-Kinder lieber gleichmäßig auf drei dritte Klassen verteilen, die Eltern wollen jedoch, dass die Gruppen möglichst zusammenbleiben. Sie fürchten, dass ihre Kinder schlechter lernen, wenn sie vereinzelt in Gruppen kommen, in denen die Mehrheit der Kinder sprachliche Defizite hat. Sie wollen der Schulbehörde deshalb vorschlagen, dass die Nawi-Kinder in eine Klasse kommen und diese mit Kindern, die sprachlichen Förderbedarf haben, aufgefüllt wird.
Die Bildungsverwaltung steht allerdings vor dem Problem, dass eine solche Aufteilung der Kinder möglicherweise dem Schulgesetz widerspricht. In der Grundschulverordnung ist geregelt, dass bei der Klasseneinteilung der Anfängergruppen „auf Heterogenität vor allem in Hinblick auf die sprachlichen Vorkenntnisse und das potenzielle Leistungsvermögen der Kinder zu achten“ ist. Dass dies an der Gustav-Falke-Schule anders gemacht wurde, ging nur, weil das Konzept als Schulversuch genehmigt wurde. Die Kreuzberger Lenauschule musste hingegen, wie berichtet, im August 2012 auf Druck der Senatsverwaltung ihre Anfängerklassen neu organisieren, weil die Gruppen sprachlich und herkunftsmäßig nicht ausgewogen waren. „Die Nawi-Klassen sind aber gar nicht homogen, die Kinder haben die unterschiedlichsten Herkünfte und es sind auch keine Akademikerklassen“, betont Elternsprecher Helge von Niswandt.
Für einige Nawi-Eltern wäre eine komplette Durchmischung in den dritten Klassen ein Grund, ihr Kind eventuell wieder von der Schule abzumelden. „Wenn nur zwei oder drei Kinder gehen, setzt das eine ganze Abwanderungsbewegung in Gang“, sagt eine Mutter. In der Schule werde ein gesellschaftlicher Konflikt verhandelt, der die ganze Stadt betreffe. Es gehe darum, wie man der Segregation, der sozialen Entmischung an den Schulen entgegenwirke. Bisher sei das noch kaum einer Schule geglückt, und hier sei es ansatzweise erfolgreich, sagt Elternsprecher von Niswandt. Wenn das Nawi-Projekt beendet würde, würde das nur zu noch mehr Segregation führen.
Einige Eltern fürchten Nachteile
Für eine Verlängerung des Schulversuchs plädiert Bildungsforscher Jörg Ramseger von der Freien Universität Berlin, der den Versuch seit Beginn wissenschaftlich begleitet. Ein solches Projekt brauche mindestens sechs Jahre Zeit. Ob es erfolgreich sei in dem Sinne, dass sich die Leistungen und Lernchancen aller Kinder verbessern, lasse sich derzeit noch nicht seriös feststellen. „Die nächsten zwei bis drei Jahre sind entscheidend“, sagt Ramseger. In einem Zwischenbericht, der dem Tagesspiegel vorliegt, bescheinigt er den Lehrern und Erziehern ein hohes Engagement und hat festgestellt, dass die Eltern, egal ob Nawi-Klassen oder nicht, mit der Arbeit der Lehrkräfte zufrieden sind. Ramseger gibt aber auch zu bedenken, dass es für die Ängste der bildungsbürgerlichen Eltern, ihre Kinder könnten schlechtere Lernerfolge erzielen, wenn sie mit zu vielen Kindern mit schlechten Deutschkenntnissen zusammenkämen, keine feststellbare Grundlage gebe. „Das Elternhaus und das kulturelle Kapital, das ein Kind von dort mitbekommt, sind der wichtigste Faktor für den Bildungserfolg“, erläutert Ramseger. Ein Kind aus kulturell reichem Elternhaus sei durch schulische Rahmenbedingungen kaum zu beeinträchtigen.
So ganz verstehen kann diese Ängste auch Alia Khalifeh nicht. „Warum kann man nicht mehr mischen?“, fragt die Mutter, deren Tochter in eine Nawi-Klasse geht, während ihr Sohn in einer normalen Klasse ist, weil ihm beim Deutschtest für die Nawi-Klassen ein paar Punkte gefehlt haben. Sie erzählt, dass es bei einigen Eltern von Nicht-Nawi-Kindern auch ungute Gefühle gibt. Sie fürchten Nachteile, eine schlechtere Förderung für ihre Kinder. „Wir brauchen keine Mitte-Eltern, die unsere Kinder zivilisieren“ – auch solche Sätze habe sie schon gehört. Allerdings findet Alia Khalifeh das Konzept der Nawi-Klassen für die erste und zweite Klasse nach wie vor gut. Sie selbst hat nur deshalb ihre Kinder an der Schule angemeldet, weil es die Nawi-Klassen gab. Ansonsten hätte sie befürchtet, dass ihre Kinder, die zu Hause Deutsch und Arabisch sprechen, nicht genügend Deutsch lernen.
Dass das Modell weiterentwickelt werden müsse, findet auch Lehrerin Sabine Gryczke, die eine Nawi-Klasse leitet. „Es ist ein Versuch, die Segregation zurückzuschrauben“, sagt sie, aber es müssen noch mehr Begegnungsmöglichkeiten zwischen den Klassen geschaffen werden, so dass die sprachlich schwächeren Kinder öfter Gelegenheit haben, in einer Umgebung mit vielen Sprachvorbildern zu lernen. Ein entsprechendes Konzept arbeitet die Schule derzeit aus. Doch auch dafür braucht es Zeit – und die Unterstützung durch die Senatsverwaltung.
Wer sich selbst ein Bild von der Atmosphäre und der Arbeit an der Gustav-Falke-Schule machen möchte, hat dazu in der nächsten Woche Gelegenheit. Vom 8. bis zum 10. April führen Schüler dort ein Kindermusical auf. „Beste Feinde – oder warum nicht alles so ist, wie es scheint“ heißt es. Juliane Tief und Silvia Schemmann bringen das Musical von Jutta Hamprecht-Göppner und Tobis Wenkemann auf die Bühne. Der Chor der Schule singt, das Bühnenbild hat die Klasse 3b mit Hilfe der Künstlergruppe Mazuma produziert. Und für die Kostüme waren die vierten Klassen verantwortlich. Wer das Musical sehen will, wende sich an das Sekretariat der Gustav-Falke-Grundschule, Strelitzer Straße 42, 13355 Berlin, Telefon: 030-467779960. Die Vorstellungen beginnen jeweils um 17.30 Uhr in der Aula im dritten Stock.
Sylvia Vogt