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Lesen, schreiben, rechnen und noch viel mehr lernen die Erst- und Zweitklässler der Nawi-Klasse in der Gustav-Falke- Schule in Gesundbrunnen.
© Kitty Kleist-Heinrich

Gustav-Falke-Schule in Wedding: Die Mischung stimmt

An der Gustav-Falke-Schule in Wedding sind Deutsch-Garantie-Klassen ein Erfolg. Die Anmeldezahlen steigen. Um Elite-Klassen geht es dabei nicht. Auch andere Schulen interessieren sich für das Modell.

„Wer hat Angst vor Dracula?“ Niemand natürlich, schon gar nicht diese kichernden Erst- und Zweitklässler, die da von einem Bein aufs andere hüpfen und einen Vampir-Rap singen. Mit diesem Lied beginnt die Deutschstunde in der Gustav-Falke-Schule in Wedding. Als die Sechs- und Siebenjährigen sich ein bisschen ausgezappelt haben und brav an ihren Tischen sitzen, verteilt Lehrerin Sabine Gryczke Aufgaben, danach arbeiten alle selbständig in ihren Schulheften weiter. Zwischendurch holt sich Erzieherin Petra Brandenburg ein oder zwei Schüler heraus, mit denen sie Lesen übt.

Eine ganz normale JüL-Klasse, die in dem geräumigen Zimmer mit den selbst gemalten Fensterbildern und der Spielecke sitzt. Und doch ist diese Klasse etwas Besonderes. Ihre Einrichtung vor zwei Jahren löste ein großes Medienecho aus. Von „Eliteklassen“ war die Rede, von „Deutschenklassen“. Dabei sitzt da eine bunt gemischte Gruppe, es sind Kinder mit Eltern aus elf Nationen. Manche haben zwei ethnisch deutsche Eltern, einige sind aus binationalen Familien, andere nicht von Anfang an mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen. Doch alle haben vor der Aufnahme einen Deutschtest, den sogenannten Bärenstark-Test, bestanden. Die Schule selbst nennt sie „Nawi-Klassen“, weil die Kinder ab der ersten Jahrgangsstufe naturwissenschaftlichen Unterricht bekommen. Außerdem gibt es eine Englisch-AG, ebenfalls von Anfang an.

„Man merkt schon, dass die Sprachkenntnisse besser als in anderen Klassen sind“, sagt Gryczke. „Aber das sind nicht alles kognitive Überflieger, sondern ganz normale Kinder“, ergänzt Oliver Fromm, der die Parallelklasse unterrichtet. In Gryczkes Gruppe gibt es drei Kinder mit Lernschwierigkeiten, für die sie eigentlich zusätzliche Förderstunden bräuchte.

Gryczke und Fromm liegt Elitedenken fern. Sie sind beide im Wedding aufgewachsen und kennen ihren Kiez. „Es geht doch um eine gute Mischung“, sagt Gryczke. Und die sei eben nicht gegeben, wenn in einer Klasse neunzig Prozent Kinder mit nichtdeutscher Herkunftsprache sitzen. Gute Sprachkenntnisse seien dabei nicht einmal das Wichtigste. Entscheidend sei vielmehr, dass die Eltern bildungsinteressiert seien. Und das sei der Fall, wenn Eltern ihre Kinder bewusst für die Nawi-Klassen anmelden. Die Lehrer merken das: Plötzlich sind ihre Elternsprechtage ausgebucht. Gryczke erhofft sich durch die breitere Mischung eine Horizonterweiterung für alle Kinder, auch für die aus schwierigerem sozialen Umfeld. „So bekommen sie vielleicht mit, dass man seine Freizeit auch anders gestalten kann als nur im Gesundbrunnencenter.“ Auch die Klassen ohne Aufnahmetest würden von dem Modellversuch profitieren. Sie haben eine etwas geringere Klassengröße, und auch für sie gibt es Englisch- und Nawi-AG. Auf dem Schulhof und bei gemeinsamen Projekten soll sich die Schülerschaft weiter vermischen. Neid auf die Nawi-Klassen habe sie noch nicht bemerkt, sagt eine Mutter.

Karin Müller leitet die Gustav-Falke-Schule seit 1987. Vor dem Mauerfall hatte die Schule rund 620 Schüler, nach der Wende sanken die Zahlen rapide, derzeit sind es 360. „Wir verloren fast eine Klasse pro Jahr“, erzählt Müller. Der demografische Wandel in Gesundbrunnen war spürbar. Viele bildungsbewusste Familien zogen weg, in den Speckgürtel nach Brandenburg oder andere Bezirke, der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund stieg. Doch jetzt gehen die Anmeldezahlen wieder nach oben. Im nächsten Jahr wird die Schule schon vier Nawi-Klassen einrichten. „Wir haben mittlerweile 25 Familien aus Alt-Mitte“, sagt Müller. Aus der Gegend also, die jenseits der Bernauer Straße liegt, jener sozialen Grenze, die das Gebiet in zwei Teile teilt. Auf der einen Seite der Problemkiez Gesundbrunnen, auf der anderen gut situierte, oft neu zugezogene bildungsbürgerliche Familien. Für viele von ihnen war der Gedanke, ihre Kinder auf die Gustav-Falke-Schule zu schicken, eine Schreckensvorstellung. Sogar eine Elterninitiative bildete sich dagegen. Genau auf diese ging Müller dann im Jahr 2008 zu. „Wir haben sie gefragt: Was müsste denn passieren, dass ihr zu uns kommt?“ Die Eltern schrieben einen Wunschzettel: deutsche Umgebungssprache, Englisch ab der ersten Klasse, Bioessen. Und Müller sagte: Gut, dann machen wir das. Die Schulverwaltung reagierte anfangs zögerlich, doch mit Hilfe von Eduard Heußen, früher Senatssprecher, heute gut vernetzter Bildungsberater, gelang es, den Schulversuch zu genehmigen. Bis 2014 läuft das Projekt. Wenn es nach Müller geht, auch darüber hinaus. Denn es dauere, bis sich wirklich eine Mischung bilde, bis sich das Modell herumgesprochen habe und vor allem – bis das Vertrauen der bildungsbewussten Familien gewonnen sei.

Elternarbeit und viel Engagement sei dabei das Entscheidende, sagt Müller. Das Gustav-Falke-Team ging auf Elternabende in den umliegenden Kitas und warb für die Nawi-Klassen, lud Kindergartenkinder zu Probestunden ein. Das Modell könnte Schule machen. Auch in anderen Kiezen, etwa in Kreuzberg oder Nordneukölln, überlegen Grundschulen, ob sie auf diese Weise für bildungsbewusste Familien attraktiver werden können. Und wie berichtet, prüft die Bildungsverwaltung die Möglichkeit, an Brennpunkt-Sekundarschulen Spezialklassen für leistungsstärkere Kinder einzurichten.

Die Eltern der Nawi-Kinder sind bisher zufrieden. „Wir fühlen uns dort wohl“, sagt eine Mutter aus Alt-Mitte. Ihr zweites Kind wird sie auch an der Gustav-Falke-Schule anmelden.

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