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Im Anne Frank Zentrum Berlin gibt es eine neue Ausstellung: "Alles über Anne".
© Doris Spiekermann-Klaas

Anne Frank Zentrum Berlin: Vergangenheit im Präsens

In der museumspädagogisch neu konzipierten Schau "Alles über Anne" im Anne Frank Zentrum Berlin kommt der Besucher Anne Frank berührend nahe.

Anne begegnet dem Besucher bereits im Treppenhaus. Mit einem Foto aus ihrem Geburtsjahr 1929 beginnt der Aufstieg. Er endet mit einem Bild aus dem Jahr 1942. Da ist sie 13 und hat noch knapp drei Jahre zu leben. Denn Anne ist Jüdin und in eine Zeit geboren, in der allein die Herkunft zum Todesurteil wird.

Die Geschichte Anne Franks, des Mädchens, das sich mit seiner Familie mehr als zwei Jahre in einem Amsterdamer Hinterhaus vor den Nazis versteckte, ist weltberühmt. Weil Anne sie selbst in ihrem Tagebuch notierte und dieses Tagebuch die Zeit des Nationalsozialismus überstand. In mehr als 70 Sprachen übersetzt, oft verfilmt und seit 2009 von der Unesco als Weltdokumentenerbe eingetragen, ist es nicht nur Zeitzeugnis, sondern auch Entwicklungsgeschichte: Anne, die früh weiß, dass sie Schriftstellerin werden will, vertraut ihrem Tagebuch ihre Gedanken und Gefühle an. Wer ihre Zeilen liest, begleitet eine kluge, mutige und weitsichtige junge Frau.

Barrierefrei und mit neuen Forschungsergebnissen

„Alles über Anne“ ist der Titel der neu eingerichteten Dauerausstellung im Anne Frank Zentrum Berlin. Alles? Zumindest sehr viel. Denn auch wenn Berlin kein authentischer Ort ihres Lebens ist – sondern sich in Partnerschaft zu Amsterdam vor allem als Lernort für Kinder und Jugendliche versteht –, vermittelt die Schau einen Einblick in das Leben, Denken und Fühlen von Anne, ihrer Familie und ihren Freunden. Mithilfe modernster museumspädagogischer Elemente begleitet der Besucher sie. Und kommt ihr berührend nah.

„Drei Aspekte sind völlig überarbeitet worden“, erklärt Veronika Nahm, Leiterin der Ausstellung, und nennt als Erstes die Barrierefreiheit. Blinde, hörgeschädigte und lernbehinderte Menschen können mithilfe von Tastobjekten, Pyramidenschrift, Braille-Notizen, Filmen in Gebärdensprache und in einfachen Worten gehaltenen Texten viel über das Mädchen Anne erfahren. Zum anderen sei der Gegenwartsbezug der Schau überarbeitet worden: „Was hat Anne Frank uns heute zu sagen?“ ist der Ansatz, mit dessen Hilfe erstarkender Antisemitismus, Rechtsextremismus und weitere heutige Parallelen zur Zeit des Nationalsozialismus betrachtet werden. Und schließlich gibt es neue Forschungsergebnisse. „Dazu gehört zum Beispiel, dass das Versteck in der Amsterdamer Prinsengracht 263 möglicherweise nicht durch Verrat, sondern durch eine zufällige Schwarzmarktkontrolle entdeckt wurde“, sagt Franziska Nahm. Auch das Todesdatum Annes müsse wohl korrigiert werden: Sie sei nicht im März, sondern im Februar 1945 im KZ Bergen-Belsen gestorben, vermutlich an Fleckfieber.

Tastobjekte ermöglichen einen sinnlichen Zugang

Alle Texte sind im Präsens gehalten, ein beeindruckend wirkungsvolles Mittel, um den Besucher zum Teil der Geschichte werden zu lassen: Die Vergangenheit wird in die Gegenwart geholt, wir befinden uns mittendrin. Spannende Grafiken, angelegt wie Mindmaps, Info-Stationen, in denen per Audioguide Zeitzeugen berichten, und immer wieder Tastobjekte, die einen sinnlichen Zugang ermöglichen: Über das Gesicht Annes streichen zu können – die Augen geschlossen –, vermittelt eine Nähe, die kaum ein Text erzeugen kann. So nimmt die Ausstellung den Besucher an die Hand, auch beim Ertasten eines Modells des Hinterhauses, in dem Anne und ihre Familie sich versteckten.

„Leider Gottes lernt ja die Welt im Allgemeinen von der Vergangenheit nicht, aber wer kann, muss daran mitwirken, dass die Vergangenheit begriffen wird und die Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden“, sagte 1979 Annes Vater Otto, einziger Überlebender der Familie Frank. In Berlin-Mitte bietet das Anne Frank Zentrum kluge Hilfe beim Begreifen. Ein Muss für jeden Geschichtsunterricht. Und auch sonst. Claudia Seiring

Die neue Ausstellung "Alles über Anne" ist im Anne Frank Zentrum in der Rosenthaler Straße 39, Mitte, zu sehen. Sie richtet sich besonders an Kinder und Jugendliche ab etwa zehn Jahren, bietet aber auch Erwachsenen neue Einblicke

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