Quereinsteiger in Berliner Schulen: Qualifikation Nebensache
Jeder fünfte Quereinsteiger fängt nicht nur pädagogisch, sondern auch fachlich fast bei null an. Senat nennt neue Zahlen.
Zwei Fächer, ein Fach, kein Fach – so lautet die ganz spezielle Steigerungsform für Berlins Quereinsteiger im Schuldienst. Eine neue Übersicht der Bildungsverwaltung, die dem Tagesspiegel vorliegt, belegt nun, wie stark diese Spezies jeweils in den Schulen vertreten sind.
Auf Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck hat Bildungs- Staatssekretär Mark Rackles (SPD) genau aufgeführt, wie es um die fachlichen Vorkenntnisse der pädagogischen Neulinge bestellt ist und wie groß diese Gruppe insgesamt ist. Demnach sind im Schuljahr 2016/17 ganz genau 1061 Quereinsteiger im Einsatz, also Akademiker, die nicht auf Lehramt studiert, sondern einen anderen Beruf angepeilt hatten, und die deshalb weder zur Pädagogik noch zur Fachdidaktik Vorlesungen oder Seminare belegten; sie werden nur deshalb unbefristet und gut bezahlt eingestellt, weil Lehrermangel herrscht.
Auch Kunsthistoriker können Lehrer werden
Unter diesen besagten 1061 Anfängern haben immerhin knapp zwei Drittel (676) mindestens zwei Fächer studiert, die in der Berliner Schule unterrichtet werden; das kann ein Mangelfach wie Mathematik, Informatik oder Sport sein. Für diese Lehrer ist es vergleichsweise einfach, in den Beruf zu finden, weil ihnen „nur“ das pädagogische Handwerkszeug fehlt, das sie sich jetzt in einem berufsbegleitenden Referendariat aneignen sollen. Weitere 15 Prozent (163) haben nur ein passendes Fach studiert, müssen somit das eigentlich verlangte zweite Fach noch nachstudieren, was eine zusätzliche Belastung bedeutet. Noch größer ist die Gruppe derer, die überhaupt kein potenzielles Schulfach studiert haben, was jeden fünften Quereinsteiger (222) betrifft. Das können zum Beispiel Menschen sein, die Rechnungswesen studiert haben und dann Mathe unterrichten, aber auch Kunsthistoriker, die Studienanteile in „praktischer Kunst“ nachweisen können, wie die Sprecherin der Bildungsverwaltung, Beate Stoffers, auf Nachfrage erläuterte.
Die Quereinsteiger werden oft an Grundschulen eingesetzt, denn hier ist die Unterversorgung am größten. Da kann es schon mal passieren, dass ein „Neuer“ Kinder alphabetisieren soll, ohne zu wissen, wie man das eigentlich macht.
Sorge um die neuen Kräfte
Langenbrinck weiß zwar, dass der Lehrerbedarf zurzeit nicht ohne Quereinsteiger gedeckt werden kann, erwartet aber, dass sie entlastet werden, um in den Beruf besser hineinwachsen zu können. Über diesen Punkt gab es bereits in der vergangenen Legislaturperiode große Einigkeit: Schon im Jahr 2014 hatten sich alle Fraktionen darauf verständigt, dass die Neulinge entlastet werden müssten, „um sicherzustellen, dass die Quereinsteiger den hohen Anforderungen ihrer beiden Fächer an den Lehrerberuf gerecht werden können“. Darum verabschiedeten sie – auf Initiative der Piraten – ein „Beratungs- und Begleitungskonzept“, dessen einzelne „Maßnahmen“ von der Bildungsverwaltung „geprüft“ werden sollten.
Einige Punkte dieses Konzeptes hat Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) inzwischen umgesetzt. Dazu gehört etwa eine bessere Betreuung der Quereinsteiger an ihren Schulen. die darin besteht, dass ein Lehrer des Kollegiums zwei Stunden weniger Unterricht selbst erteilen muss, um sich in der gewonnenen Zeit um einen Quereinsteiger zu kümmern.
An einem anderen Punkt ist Scheeres dem Konzept nicht gefolgt: Die Abgeordneten wollten, dass die Quereinsteiger nicht mehr 19, sondern nur noch 17 Stunden unterrichten sollten, um parallel mehr Zeit für das Nachholen der fehlenden Fachkenntnisse zu gewinnen.
"Überlastete Quereinsteiger nützen niemandem"
„Es ist wichtig und richtig, dass die Schulen zwei Stunden Ermäßigung pro Quereinsteiger bekommen für Begleitung und Unterstützung. Die vom Abgeordnetenhaus beschlossene Stundenermäßigung für Quereinsteiger ist hingegen immer noch offen“, mahnt die neue bildungspolitische SPD-Sprecherin Maja Lasic. Es sei eine „Binsenweisheit“, dass der Quereinstieg ins Lehramt besonders hart ist, wenn man noch ein oder sogar zwei Fächer nachzustudieren hat. Gerade in diesen Fällen brauchten die Betroffenen und die Schulen eine besondere Unterstützung: „Überlastete Quereinsteiger nützen niemandem, am wenigsten den Schülern“, betont Lasic.
Außerdem warnt die Abgeordnete – unter Berufung auf entsprechende Berichte aus Schulen – davor, dass sich ausgerechnet an den sozialen Brennpunktschulen die Quereinsteiger häufen: „Gerade an diesen Schulen zählt ein hohes Maß an Kompetenz und moderner, schülerzentrierter Pädagogik, und zwar vom ersten Tag an. Wir werden nicht darum herumkommen, darüber zu sprechen, wie wir die besten Lehrkräfte an unsere schwierigsten Schulen bekommen“, sagte Lasic gegenüber dem Tagesspiegel.
In Brandenburg gibt es eine "Buschzulage"
Dieser Punkt wurde bereits in der vergangenen Legislatur immer mal wieder thematisiert, aber nie zu Ende diskutiert – anders als in Brandenburg, wo es bereits eine „Buschzulage“ für unattraktive Standorte gibt. Bis zum Sommer 2016 wurde die "Landlehrer-Prämie", wie sie offiziell heißt, allerdings noch nicht abgerufen, wie das Potsdamer Bildungsministerium auf Anfrage mitteilte. Aktuellere Daten gebe es nicht, so Sprecher Ralph Kotsch.
Um Quereinsteiger und weitere „Baustellen“ soll es bei einer Veranstaltung der Initiative „Bildet Berlin“ gehen: Am 23.2. ab 18.30 Uhr diskutieren Bildungspolitiker sowie Schüler- und Elternvertreter im Dathe- Gymnasium, Helsingforser Str. 11–13, in Friedrichshain. Es moderieren Robert Rauh und Tamara Adamzik. Mehr Infos hier.