Position zum Lehrermangel in Berlin: Wie ein Pilot ohne Flugschein
Berlins bekanntester Pädagoge Robert Rauh sorgt sich um die Entqualifizierung des Lehrerberufs und wagt einen Blick in die letzte Koalitionsvereinbarung.
Stellen Sie sich vor, sie fliegen in den Urlaub und die Chef-Stewardess sagt vor dem Abflug durchs Bordmikrofon: Heute fliegt sie kein Pilot, sondern ein Quereinsteiger. Er besitzt Lebenserfahrung und eine wissenschaftliche Ausbildung als Programmierer für Flugsimulatoren. Zurzeit wird er im Cockpit nachqualifiziert. Beim Fliegen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt an Bord. Unvorstellbar! Denn nach Flugzeugkatastrophen betonen Politiker und Experten reflexartig, wie gut Piloten ausgebildet sind und welchen strengen Regeln sie sich unterwerfen müssen. Für die Schule gilt das nicht.
Schon gar nicht für die Berliner. Jeder, der ein Hochschulstudium in einem Mangelfach abgeschlossen hat und sich nun berufen fühlt oder meint, gern mit Kindern und Jugendlichen zusammenzuarbeiten, steigt einfach um und beginnt zu unterrichten. Zwar muss der Quereinsteiger ein berufsbegleitendes Referendariat absolvieren, aber es ist längst unbestritten, dass bereits im Studium Lehrveranstaltungen in Pädagogik und Didaktik sowie ein Praxissemester notwendig sind, um auf den Lehrerberuf vorbereitet zu sein und den viel beschworenen Praxisschock zu minimieren.
Not macht erfinderisch. Aber das reicht nicht.
Aber in der Hauptstadt herrscht akuter Lehrermangel. Besonders in den Grundschulen. Weil Unterrichtsausfall wütende Eltern und schlechte Schlagzeilen produzieren, sind neue Wege gefragt. Not macht ja bekanntlich erfinderisch. Und der Berliner Senat ist dabei besonders kreativ. Mit Berlin-Tagen und teuren Werbekampagnen in überregionalen Medien werden Uni-Absolventen aus anderen Bundesländern mit Sprüchen wie „Revierwechsel gefällig? Kohle gibt’s auch bei uns“ in die Hauptstadt gelockt. Neuerdings wird auch im Ausland geworben. Aber es reicht einfach nicht. Dabei hat Berlin in den letzten Jahren nichts unversucht gelassen, den Lehrerberuf attraktiver zu machen: Die Pflichtstundenanzahl wurde erhöht, die Verbeamtung abgeschafft und Präsenztage eingeführt. Willkommen in Berlin!
Und niemand konnte ja vorauszusehen, dass die Schülerzahlen steigen, die Pensionierungswelle rollt und Inklusion wie Integration zusätzliche Lehrerstunden kosten werden.
Jeder dritte neue Lehrer ist ein Quereinsteiger
Also werden nun verstärkt auch Bewerber ohne pädagogische Qualifikation eingestellt. Berlin ist hier mal nicht Schlusslicht, sondern Vorreiter: Jeder dritte Lehrer, der zum neuen Schuljahr übernommen wurde, ist ein Quereinsteiger. Das ist eine schleichende Entqualifizierung des Lehrerberufs. Auf Kosten der Schulbildung unserer Kinder. Natürlich wird zu Recht betont, dass ein guter Quereinsteiger besser als ein schlechter Lehrer sei. Und schließlich verfügen die Neu-Pädagogen über das, was die alten Lehrkräfte nicht vorweisen können: eine Berufserfahrung außerhalb des Schulgebäudes.
Unsere Schüler haben einen Anspruch auf qualizizierte Lehrer
Damit Quereinsteiger aber ihre Kompetenzen im Klassenzimmer einbringen können und nicht zu Lückenfüller für die unzureichenden Unterrichtsversorgung werden, bedarf es einer Ausbildung, die den Namen auch verdient. Sonst wird der Revierwechsel zum Bumerang. Unsere Schüler haben schließlich einen Anspruch auf qualifizierte Lehrer. So steht es auch im Berliner Koalitionsvertrag von 2011: „Die wichtigste Voraussetzung für guten Unterricht sind gut und in ausreichender Anzahl ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. Sie müssen durch eine hervorragende Ausbildung auf ihren Beruf vorbereitet werden.“ Solche schönen Sätze finden sich auch in anderen Bundesländern. Zumindest in ihrem Anspruch und in der Not sind sich alle gleich.
Mehr zum kürzlich veröffentlichten "Masterplan Schule" von Robert Rauh finden Sie HIER.
Der Autor dieser Position war "Lehrer des Jahres 2013", unterrichtet am Lichtenberger Barnim-Gymnasium, bildet Lehrer aus, ist Autor und Schulbuchherausgeber sowie Moderator.
Von Robert Rauh
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