Segregation an Berliner Grundschulen: Kreuzberger Schule kämpft für Vielfalt
Zwischen Nachbarschulen gibt es oft mehr Konkurrenz als Kontakt. Die Jens-Nydahl-Grundschule in Kreuzberg will das ändern und bringt Schüler aus unterschiedlichen Familien und Bildungswelten zusammen.
Die beiden Schulen liegen in Kreuzberger Nachbarschaft, nur ein Mal über den Landwehrkanal. Doch bei einer der ersten Proben Mitte Mai sitzen die Schüler noch ziemlich getrennt: links die 123b der Jens-Nydahl-Grundschule auf der Bühne ihrer Mehrzweckhalle, rechts der Besuch: die a6 von der Bürgermeister-Herz-Grundschule. Getuschelt wird jeweils untereinander, nur Lieder und Rhythmen wandern von einer Seite zur anderen. „Ja, ich kenne die andere Klasse“, sagt die neunjährige Sabrien aus der 123b trotzdem fest überzeugt im Anschluss an die Probe und beginnt aufzuzählen: „Alina, Anton, Ibo, Jasper, ...“. Die Namen sind der Text eines Liedes, das sie gemeinsam gesungen haben.
Berlins Schulen pflegen Partnerschaften und Austauschprojekte mit anderen Schulen in ganz Europa und darüber hinaus. Zwischen Schulen in unmittelbarer Nachbarschaft findet man aber selten Kontakt. Häufig herrscht im Gegenteil Konkurrenz: um die vermeintlich besseren Schüler mit den vermeintlich besseren Eltern, die ihre Kinder von der einen Schule in die andere ummelden. Um die vermeintlich bessere Schulstatistik oder das bessere Profil der Schülerschaft in der Datenbank. „Besser“ heißt dabei oft: weniger Kinder nicht-deutscher Herkunftssprache (ndH) und weniger Kinder, die wegen Armut lernmittelbefreit sind.
Dann beginnt die Trennung nach Bildung, Einkommen und Herkunft der Eltern
Die Jens-Nydahl-Grundschule ist eine der Schulen, die in dieser Konkurrenzsituation häufig den Kürzeren zieht. Viele Eltern sitzen nur ein Mal im Sekretariat der Schule, erzählt Musiklehrerin Christine Meyke, um ihre Kinder umzumelden. Mit der Entscheidung, zum Beispiel an die Bürgermeister-Herz-Grundschule zu wechseln, die Zeit für privaten Musikunterricht am Nachmittag lässt, beginnen sich die Wege der Kinder aus der Nachbarschaft zu trennen. Nach Bildung, Einkommen und Herkunft der Eltern. Segregation nennt man das.
„Wir können einzelne Eltern nicht umstimmen, aber wir können auf Schulen zugehen“, sagt Meyke. Seit drei Jahren setzt die Schule Minioper-Projekte mit der in Berlin lebenden Komponistin Mayako Kubo um. In diesem Jahr hat Meyke beschlossen, dazu Schüler aus der Nachbarschaft einzuladen. Erst hat man Kinder am nahe gelegenen Grimm-Spielplatz angesprochen, doch mit Kindern aus verschiedenen Schulen zu kooperieren ist organisatorisch zu aufwendig. Schon mit einer Klasse aus einer Schule muss man verschiedene Stundenpläne und Unterrichtszeiten unter einen Hut bringen.
Die gemeinsamen Theateraufführungen stehen kurz bevor
Die Bürgermeister-Herz-Grundschule wurde also als Erstes angesprochen und war für das gemeinsame Musikprojekt aufgeschlossen. „Das war das erste Mal, dass wir einen Jasper, einen Peter und einen Nils an der Schule hatten“, sagt Christine Meyke über die erste gemeinsame Probe. In den Vorjahren haben sich die Schüler mit ihren Träumen und Alpträumen beschäftigt, dann mit ihrem Alltag, nun steht „Mein Kiez“ auf dem Programm. Das Projekt wird umgesetzt mit Studierenden der Universität der Künste, das Modelabel Kenzo stiftet der Schule T-Shirts mit Blumenmotiven. Auf dem Rücken steht: „Nydahl and friends“. (Aufführungsdaten siehe unten)
Auch andere Schulen mit unterschiedlicher Schülerschaft bemühen sich um Kooperationen: etwa die Nürtingen-Grundschule am Mariannenplatz in Kreuzberg mit offenem Ganztagsbetrieb und 48 Prozent Schülern ndH mit der Plauen-Grundschule mit gebundenem Ganztagsunterricht und über 91 Prozent ndH.
Die Schulen veranstalten gemeinsame Kochprojekte, gemischte Fußballturniere oder spielen gemeinsam Basketball. Zu Ostern gab es eine gemeinsame Schülerreise nach Istanbul, berichtet Rektor Markus Schega. Über das Quartiersmanagement kam der Anstoß für eine schulübergreifende Schülerzeitung „Hallo Marianne“, an der auch noch die Heinrich-Zille-Grundschule beteiligt ist. „Die anderen“ und „wir“, das löse sich während solcher Projekte auf. Und auch später erinnere sich so mancher Schüler im Unterricht noch: „Ach ja, wir sind ja jetzt befreundet“. „Wir“ und „die anderen“, diese Vorurteile über Unterschiede gar nicht erst zu verstärken, während sie aufeinander zugehen, das ist den Beteiligten von der Jens-Nydahl-Grundschule und der Bürgermeister-Herz-Grundschule bei ihrem Musikprojekt wichtig.
Es gibt Berührungsängste - "aber auf allen Seiten"
„Hier die Migrantenschule, dort die Kinder der Bildungsbürger“, das stimme so sicher nicht. Auch ihre Schule habe eine gemischte Schülerschaft, meint Musiklehrerin Susanne Weitling von der Bürgermeister-Herz-Grundschule, mit unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichem Bildungsgrad der Eltern. Sie beobachtet durchaus Berührungsängste – „aber auf allen Seiten“, sagt sie. Das Musikprojekt sei ein „erster Schritt“. Für längerfristigen Kontakt könne man beispielsweise über einen gemeinsamen Wander- oder Projekttag nachdenken.
Manche Schüler kennen sich sogar ein wenig aus der Arabisch-Schule oder aus der Kita: Rayan, sieben Jahre, kennt Mariam. Hasan, acht Jahre, kennt schon Ibo. „Ich kenne noch niemanden aus der anderen Klasse“, erzählt Ayse aus der Bürgermeister-Herz-Grundschule, „aber meine Mutter war hier Schülerin“.
Die Aufführungen von "Auf der Brücke - eine musikalische Begegnung" finden am 19.6., 14 Uhr auf der Admiralbrücke statt und am 23.6. um 18 Uhr in der Heilig-Kreuz-Kirche, Zossener Str. 65, 10961 Berlin.