Vorbild Neukölln: Bürgermeister Schulz träumt vom Campus Kreuzberg
In Berlins buntestem Bezirk dauert alles immer etwas länger als anderswo, und manches passiert nie. Schulische Impressionen von versuchten Fusionen, einer Besetzung, großen Visionen und einer gescheiterten Elterninitiative.
Friedrichshain-Kreuzbergs grüner Bürgermeister Franz Schulz hat viel zu tun dieser Tage. Im Augenblick brennt es besonders an der Reichenberger Straße, wo gerade Besetzer in einem ehemaligen Schulkomplex Fuß fassen. Am heutigen Dienstag will das Bezirksamt entscheiden, wie es weitergeht. Denn eigentlich hatte man mit dem Gelände der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule etwas ganz anderes vor.
Eigentlich. Das schöne Wörtchen „eigentlich“ passt ziemlich häufig, wenn es um Kreuzberger Schulplanungen geht. Zum Beispiel um die Fusion der Nürtingen- und E.-O.-Plauen-Grundschule am Mariannenplatz. Die beiden Schulen sollten eine „Steuerungsgruppe“ einrichten, weil die Plauen-Schule zu wenig Schüler hat und der Bezirk es für naheliegend hielt, dass die beiden Kollegien sich irgendwie zusammenraufen. „Aber er ließ die Schulen allein und ohne klares Ziel, und so war die Bahn frei für eine giftige Auseinandersetzung darüber, wessen Konzept siegen würde“, heißt es aus der Elternschaft, die einen offenen Protestbrief an den zuständigen Bildungsstadtrat schrieb. Im Januar soll erneut beraten werden – dann aber mit Unterstützung der Stadträte und der Schulaufsicht.
Das Thema ist brisant, denn es geht um eine der größten Herausforderungen, vor denen die Brennpunktbezirke stehen und zwar um die Entmischung. Die beiden genannten Schulen sind ein Paradebeispiel für diesen Vorgang: Die Nürtingen- Schule hat es mit einem Montessori-Konzept geschafft, bildungsnahe Schichten anzusprechen. Ihr Migrantenanteil liegt weit unter dem ihres Kiezes. Bei der Plauen-Schule ist es umgekehrt: Hier sind die Kinder aus Zuwandererfamilien fast unter sich. Um sie gut fördern zu können, gibt es einen verpflichtenden Ganztagsbetrieb und vorbildlich gestaltete Aufenthaltsräume. Außerdem ist das Jahrgangsgemischte Lernen auf ein Minimum reduziert, weil es den oftmals unruhigen Kindern nicht guttut. Bei der Nürtingen- Schule hingegen wird so viel gemischt wie irgend möglich. Eltern und Lehrer sind begeistert von ihrer Schule, die sich vor Anmeldungen nicht retten kann.
Das Zerwürfnis rund um die Fusionsgespräche wäre nicht weiter spektakulär, wenn die Schulen nicht das Herzstück eines ambitionierten Vorhabens des Bezirks wären, der mit dem Namen „Campus Marianne“ unweigerlich Assoziationen zu dem gelungenen Neuköllner Großprojekt „Campus Rütli“ weckt. Niemand Geringeres als Bürgermeister Schulz selbst brachte kürzlich den Kreuzberger Campus am Mariannenplatz ins Gespräch, als er gefragt wurde, ob sein Bezirk denn auch so etwas auf die Beine stellen könnte wie Neukölln.
Wenn man die Website des „Campus Marianne“ befragt, stößt man auf drei Grundschulen, ein Zentrum der Arbeiterwohlfahrt und einen Haufen freie Träger. Keine Spur von einer Oberschule oder gar von einer Gemeinschaftsschule wie beim Campus Rütli, die doch entscheidend ist, wenn man den Gedanken eines Campus verfolgt, der Kinder bis zum Schulabschluss begleitet. Hinzu kommt, dass eine der drei Schulen, nämlich die angesehene Heinrich-Zille-Grundschule, den Kooperationsvertrag noch gar nicht unterschrieben hat, obwohl es die Campus-Idee seit 2009 gibt. Bei den anderen beiden Schulen handelt es sich um die Plauen- und die Nürtingen-Schule.
Pläne des Senats scheitern am Beamtenrecht.
„Der Vergleich mit dem Campus Rütli hinkt“, dämpft denn auch Koordinatorin Emine Basaram zu große Erwartungen. Sie verweist aber auf „Werkstattgespräche“ zwischen allen Beteiligten. Gemeinsam sei man entschlossen, die Entwicklung des Campus „vom Kind her“ zu denken. Im Übrigen gebe es bereits eine „enge Kooperation“ mit der Sekundarschule an der Skalitzer Straße.
Hier könnte allerdings ein Problem des Campus liegen. „Der Schule an der Skalitzer Straße steckt ja noch die Fusion zwischen Eberhard-Klein- und Zelter-Hauptschule in den Knochen“, gibt ein Bezirkspolitiker zu bedenken. Gemeint ist damit das Desaster bei der Besetzung des Schulleiterpostens: Die Senatsverwaltung wollte den Leiter der erfolgreichen Zelter-Schule installieren, was aber am Beamtenrecht scheiterte. Die Schule gilt weiterhin als Problemfall, weshalb die Senatsverwaltung sich auch weigerte, ihr eine Oberstufe zu geben. So hatte sich der Bezirk das eigentlich nicht gedacht.
Womit man wieder beim Ausgangsthema wäre: bei der Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit und der Gerhart-Hauptmann-Schule. Bevor dort am Wochenende Asylbewerber und ihre Unterstützer einzogen, gab es ein Interessenbekundungsverfahren für das leer stehende Gebäude. Bürgermeister Schulz nennt zwei Anwärter: ein Geburtshaus und die Freie Schule Kreuzberg. Außerdem sei ein soziokulturelles Zentrum geplant. „Wir wollten das Gebiet der Bevölkerung anbieten“, berichtet Schulz. Im Sommer 2013 sollte das Bürgerbeteiligungsverfahren beginnen. Durch die Besetzung steht nun alles infrage.
Für die Freie Schule wird es eng, weil ihr bisheriger Mietvertrag gekündigt wurde. Allerdings braucht sie nur wenig Platz: Sie hat von Klasse 1-6 nur insgesamt 32 Schüler. Einen bitteren Nachgeschmack hätte die Vergabe an die Freie Schule für die rund 100 Eltern, die vor einigen Jahren am selben Ort eine Evangelische Schule gründen wollten. Sie wurden damals abgewiesen. Stattdessen bekam ein Drogenstützpunkt im Vorderhaus den Zuschlag. Ähnlich erfolglos waren die evangelischen Eltern im Bergmann-Kiez, wo die ehemalige Rosegger-Schule seit 2004 leer stand. Dort durfte die Global Music Academy einziehen. Über die Vertragsbedingungen wird „seit Jahren“ verhandelt, heißt es im Bezirksamt. Dabei sollte der Hochschulbetrieb längst beginnen – eigentlich.
Susanne Vieth-Entus