Einser-Abiturientin aus Strausberg: „Ich bin fasziniert von Proteinbiosynthese“
Anna Wolfram hat ihr Abi mit 1,0 gemacht. Und sie organisiert Projekttage. Treffen mit einer Besten.
Als Streberin wurde sie schon öfter bezeichnet. Aber Anna Wolfram sieht das nicht so eng. Keine Beleidigung, aber auch kein Lob. „Das ist mir egal“, sagt die 18-Jährige, „Schule macht mir Spaß.“
Noch stehen die Abiturergebnisse für ganz Berlin noch nicht fest, aber die einzelnen Schüler wissen schon, wie sie abgeschnitten haben. Und Anna Wolfram ist eine von denjenigen, die ihre Schullaufbahn mit einem 1,0er-Schnitt beenden. Das klingt nach Kaffee und Schreibtisch und nach aus dem Fenster winken, wenn draußen die Freunde zu einer Party gehen. Und dann sieht man noch die Mutter, die nachdrücklich die Schulter krault und von Chancen spricht, die ein guter Schnitt eröffnet. Aber so war das nicht. Ihre Mutter habe sie zwar ermutigt, aber nie kontrolliert oder zu etwas gezwungen. Anna lächelt. „Solange es in der Schule lief, hatte ich große Freiräume“, sagt sie und schiebt einen Tipp hinterher: „Wer richtig zuhört, muss auch nicht viel lernen.“ Mit Karteikarten jeden Tag ein bisschen üben. „Aber die perfekte Methode gibt es nicht“, sagt sie, „die muss jeder für sich selbst finden.“
Die Karteikarten machte sie schon während der Schulzeit, nicht aus Langeweile, sondern um Zeit zu sparen. Das hat sich ausgezahlt. Ein Schnitt von 1,0 war auch ihr Ziel gewesen: „Ich wollte die Freiheit haben, frei zu wählen, wo ich studieren will.“ Sie habe aber nicht unbedingt mehr gelernt als die anderen. Ein Mädchen habe regelmäßig heulend in ihrer Klasse gesessen, weil ihre Eltern wollten, dass sie sehr gute Leistungen bringt, erzählt Anna. „Das ist der falsche Weg. Jeder muss sich sein eigenes Ziel stecken. Viele Fächer fielen mir aber leicht, wie etwa Englisch.“ In der 11. Klasse ging sie ein Jahr in Neuseeland zur Schule.
Sie reitet, seit sie drei ist
Anna Wolfram wirkt nicht wie die Streberin in einem Highschool-Film. Den Ausdruck „Zeit managen“ verwendet sie nur einmal. Und auch sonst ist sie locker. Bevor sie in die Oberstufe kam, machte sie fünfmal die Woche Sport. Das ging während der Prüfungszeit nicht mehr. „Man muss Prioritäten setzen“, sagt sie. Denn da ist ja auch das Pferd, draußen in Brandenburg. Auf der Weide unter Baumkronen. Sie reitet, seit sie drei ist. „Es ist gut, wenn man mal von der Schule wegkommt. Man sollte nicht versuchen, rund um die Uhr daran zu denken."
Und auch jetzt beschäftigen sie die Prüfungen nicht mehr. „Ich arbeite als Kellnerin und warte, wo ich angenommen werde.“ 1,0 – also ab nach Cambridge? Nein. Berlin, Heidelberg oder Leipzig. Biochemie. „Ich bin fasziniert von Proteinbiosynthese“, sagt Anna. Das hört sich trocken an. „Ich mag es, die Dinge im Detail zu verstehen.“ Wie aus der DNA das Leben entsteht. „Dann kann man Grundlagenforschung zur Bekämpfung von Krankheiten betreiben.“
Literatur und Kunst haben ihr auch gefallen, „aber in der Biochemie hat man die Möglichkeit, wirklich Dinge zu verändern“, sagt sie. Alterung zum Beispiel. Verstehen, warum wir alt werden, und wie. „Man kann den Prozess der Alterung verlangsamen, wenn man die DNA stabilisiert“, sagt die 18-jährige Abiturientin aus Strausberg.
Ein Professor hat sie nach New York eingeladen
An ihrer Schule, dem Otto-Nagel-Gymnasium in Biesdorf, hat Anna Wolfram zahlreiche Projekte organisiert, zusätzlich zum Unterricht. Einmal wollte sie, dass alle 700 Schüler etwas zusammen machen, um den Zusammenhalt zu stärken. Die Schulleitung stellte ihr ein paar Lehrer zur Seite, aber manche seien etwas arbeitsmüde gewesen, sagt sie und grinst. „Dadurch habe ich die Projekttage größtenteils alleine organisiert.“ Je zwei Oberstufenschüler sollten sich ein Projekt für zehn bis 15 Schüler ausdenken. Zum Beispiel englische Gedichte schreiben, einen Ausflug ins Jüdische Museum, Bandprojekte und Graffiti. Im Dezember 2014 organisierte Anna mit den Schulsprechern eine Spendenaktion für ein Projekt in Simbabwe. In den achten Klassen finden Projekttage zu den Themen Cybermobbing, Religion und Geschichte statt – auch die organisiert Anna Wolfram mithilfe von Mitschülern. „Selbst wenn ich in Heidelberg studiere, mache ich das auf jeden Fall weiter“, sagt sie, und man glaubt ihr das.
Jetzt im Sommer fliegt sie aber erst mal nach New York. Ein Professor hat sie eingeladen, nachdem er ihre Arbeit zu seinem Forschungsgebiet gelesen hat: Alterung der DNA.
Simon Grothe