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Welche Schule für mein Kind? Diese Frage treibt aktuell wieder Tausende Eltern von Viert- und Sechstklässlern um.
© dpa

Volksbegehren Unterrichtsgarantie: „Fällt aus“ soll ausfallen

Das Volksbegehren Unterrichtsgarantie hat viele Unterstützer. Doch es gibt auch Kritik und Gegenvorschläge. Ein Überblick.

Unterstützen oder nicht? Berliner Eltern diskutieren derzeit über das Volksbegehren „Unterrichtsgarantie“, das im Mai vorgestellt wurde. Die Initiatoren werben dafür in den Bezirkselterngremien und erwarten, dass sie bis zu den Ferien 10 000 Unterschriften zusammen haben. „Schon in den ersten drei bis vier Wochen hatten wir etwa 5000 Unterschriften“, sagt Florian Bublys, Vorsitzender des Vereins „Bildet Berlin“. Bis November ist Zeit, um die 20 000 Unterschriften zu sammeln, die für die erste Stufe des Volksbegehrens nötig sind. Doch worum geht es eigentlich genau? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was ist das Ziel des Volksbegehrens?

Zwei Punkte sollen im Schulgesetz verankert werden: Jede Schule soll eine Lehrerausstattung von 110 Prozent Lehrer haben. Schulen sollen also 10 Prozent mehr Lehrer haben als bisher, damit Ausfall vermieden wird. Die 110 Prozent sollen nur aus Fachlehrern bestehen, um auf diese Weise auch die Qualität des Vertretungsunterrichts zu erhöhen.

Wieviel Unterricht fällt aus und was wird bisher dagegen getan?

Rund zwei Millionen Unterrichtsstunden werden in jedem Schuljahr nicht regulär gegeben. Das sind etwa zehn Prozent des gesamten Unterrichts. Nach Angaben der Bildungsverwaltung fallen aber nur zwei Prozent ersatzlos aus, der Rest werde vertreten. „Bildet Berlin“ sieht das anders und wirft dem Senat vor, das Ausmaß des Ausfalls zu verschleiern: Wenn die Kinder lediglich mit Aufgaben nach Hause geschickt oder wenn Klassen zusammengelegt würden, könne man eigentlich nicht von Vertretung sprechen.

Für Vertretungslehrkräfte steht jeder Schule ein Personalkostenbudget („PKB-Mittel“) zur Verfügung, und zwar in Höhe von drei Prozent der Lehrerausstattung. Damit können sich die Schulen selbst Kräfte einkaufen. Viele Schulleiter bemängeln, dass der Markt für Vertretungslehrer fast leergefegt sei.

Wer sind die Initiatoren?

Führender Kopf hinter dem Volksbegehren ist Florian Bublys. Er ist Vorsitzender des Vereins „Bildet Berlin“. Bublys, 37 Jahre alt, ist Lehrer am Gymnasium Tiergarten und war maßgeblich an der Organisation der Lehrerstreiks beteiligt. Zu seinen Mitstreitern gehört Robert Rauh, der 2013 mit dem Lehrerpreis ausgezeichnet wurde und sich immer wieder zu Fragen der Schulqualität äußert, zuletzt mit einer Petition gegen die Geschichtslehrpläne.

Was kostet das?

Eine 110-prozentige Ausstattung würde nach der Rechnung von „Bildet Berlin“ etwa 110 Millionen Euro kosten. Die Bildungsverwaltung geht von 158 Millionen aus, bei einem Bedarf von 2260 zusätzlichen Lehrern.

Wer unterstützt das Volksbegehren?

Der Landesschülerausschuss unterstützt das Volksbegehren, auch viele Bezirkselternausschüsse. Linkspartei, Grüne und Piraten zählen zu den Befürwortern.

Wie argumentieren die Kritiker?

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagt, sie „ teile das Ziel einer guten Unterrichtsversorgung, allerdings nicht den Weg, den die Initiative einschlagen will“. Wenn die Schulen mehr Personal als 100 Prozent zur Verfügung hätten, würden sie diese Lehrer für kleinere Lerngruppen oder zusätzliche Kurse einsetzen. Wenn dann Lehrer krank würden, würde es auch weiterhin zu Unterrichtsausfall kommen. Die GEW, die selbst seit Jahren eine 110-prozentige Lehrerausstattung fordert, unterstützt das Volksbegehren nicht. Bedenken gebe es gegen die Fachlehrer-Vorschrift, sagt der GEW- Vorsitzende Tom Erdmann. Auch einige Eltern haben daran Kritik geübt, da das Fachlehrerprinzip gerade in Grundschulen nicht praktikabel sei – da sei es wichtiger, dass ein Klassenlehrer möglichst viele Stunden unterrichte. Bublys kündigte an, diese Einwände ernst zu nehmen und den Gesetzestext zu überarbeiten, um den Grundschuleltern entgegen zu kommen.

Was machen andere Länder gegen Unterrichtsausfall?

Was sagt der Landeselternausschuss?

Der Vorsitzende des Landeselternausschuss (LEA), Norman Heise, war bei der Vorstellung des Volksbegehrens dabei. Ein Unterstützungsbeschluss des LEA wurde allerdings inzwischen wieder zurückgezogen – auf Antrag des ehemaligen LEA-Vorsitzenden Günter Peiritsch. Dieser hatte seinen Antrag in einer Nachtsitzung eingebracht, als viele LEA-Mitglieder bereits gegangen waren. Peiritsch hält eine Unterrichtsgarantie für unrealistisch, fürchtet, dass eher die Klassenfrequenzen erhöht würden. Ihm wäre es wichtiger, dass mehr für die Inklusion getan würde. Der LEA-Vorsitzende Norman Heise sagt, er unterstütze das Volksbegehren weiterhin – als Privatperson und mit dem Bezirkselternausschuss Marzahn-Hellersdorf.

Gibt es Gegenvorschläge?

Bildungspolitiker Stefan Schlede (CDU) schlägt vor, dass jeder Lehrer eine Stunde aus seinem Deputat für Vertretung reservieren soll. Bublys weist darauf hin, dass für eine 110-prozentige Ausstattung drei Reservestunden pro Lehrer nötig seien, hält den Vorschlag aber ansonsten für einen „gangbaren Weg“.

Wie machen es andere Länder?

16 Länder – 16 Varianten, den Unterrichtsausfall einzudämmen. Beispiel Hamburg: Hier muss jeder Lehrer pro Woche im Schnitt eine Vertretungsstunde zusätzlich zu seiner Unterrichtsverpflichtung leisten. Dies entspricht rein rechnerisch einer Vertretungsreserve von 4,2 Prozent. Zusätzlich wird den Schulen – wie in Berlin – Geld zugewiesen, mit dem sie Vertretungslehrer einstellen können. Die Berliner bekommen aber nur drei Prozent ihrer Personalausgaben zur Verfügung gestellt, die Hamburger hingegen 5,5 Prozent, womit sie insgesamt auf eine Reserve von 9,7 Prozent kommen. Der – akribisch erfasste – Ausfall konnte inzwischen auf ein Prozent reduziert werden.

Niedersachsens Schulbehörde macht es sich leichter: Die Ausfalldaten werden nicht erhoben. Bei längerfristigen Erkrankungen kann die Schule einen Antrag auf Zuweisung einer Vertretungskraft stellen. Das hierfür gestellte Budget entspricht einer Vertretungsreserve von unter einem Prozent.

Bayerns Unterrichtsausfall beträgt 1,4 Prozent. Erreicht wird dies dadurch, dass Bayern mobile Reserven von fest angestellten Lehrern im Umfang von rund 2100 Stellen für Grund- und Mittelschulen hat. An den Gymnasien und Realschulen gibt es jeweils eine Lehrkraft für die Reserve und außerdem bekommen sie Geld, um weitere Kräfte einstellen oder Teilzeitkräfte aufstocken zu können.

Was sagt der Praktiker?

Harald Mier hat 19 Jahre lang das Zehlendorfer Schadow-Gymnasium geleitet und somit verschiedene Regelungen zur Bekämpfung des Unterrichtsausfalls erlebt. Er erinnert sich noch gut an die Zeiten, als es im Schnitt eine fünfprozentige Vertretungsreserve an den Schulen gab. Die Erfahrung habe gezeigt, dass diese Reserve nicht nur für die Vertretung genutzt, sondern auch für pädagogische Verbesserungen wie kleinere Kurse oder Arbeitsgemeinschaften genutzt wurden. Sie standen somit nicht zur Verfügung, um Ausfall zu vermeiden. Mier findet das jetzige Modell des dreiprozentigen Vertretungsbudgets besser, mit dem der Schulleiter im konkreten Krankheitsfall selbst Kräfte einstellen kann. Eine feste Vertretungsreserve von zehn Prozent an jeder Schule macht für Mier nur Sinn, wenn es dazu eine „harte Kontrolle“ durch die Schulaufsicht gibt. Andernfalls bestehe immer die Gefahr, dass die überzähligen Lehrer, so wie früher, für andere Belange eingesetzt werden.

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