Schulleitungen und Schüler fordern Klarheit: Das Berliner Abitur soll in diesem Jahr abgespeckt werden
"Die Schüler müssen die gleichen Chancen haben, das Abitur erfolgreich abzulegen wie die vorherigen Jahrgänge“, fordert etwa die neue Landesschülersprecherin.
Die Prüfungen sollen erst am 12. April beginnen, aber die Unruhe wächst: „In sechs Wochen ist die letzte Unterrichtsstunde für die Abiturienten. Wir müssen jetzt wissen, wie es mit dem Abitur weitergeht“, mahnt die Schulleitervereinigung der Bildungsgewerkschaft GEW.
Die Vorsitzende Gunilla Neukirchen fordert eine rasche Festlegung, welche Prüfungen stattfinden sollen und mit welchen Themen zu rechnen sei, damit die verbleibende Zeit für die gezielte Vorbereitung genutzt werden könne. Die Senatsverwaltung für Bildung müsse sagen, „welche Semester oder welche Themen ausgeklammert werden“.
Neukirchen, die das Lankwitzer Beethoven-Gymnasium leitet, erläutert auch, dass die Probleme von Schulfach zu Schulfach unterschiedlich groß seien. So sei es in Englisch nicht nötig, „Themen preiszugeben“.
Ganz anders etwa in Geschichte, wo die Schüler sehr wohl wissen müssten, ob sie sich beispielsweise auf das Thema „Holocaust“ oder „Nachkriegsdeutschland“ vorzubereiten hätten: „Man muss sagen, was es bedeutet, Themen oder Semester auszuklammern“, steht für Neukirchen fest.
In der Vorwoche hatten sich auch andere Fachleute bereits zu Wort gemeldet, um auf das Abitur 2021 Einfluss zu nehmen. Zudem forderte der SPD-Landesvorstand "Erleichterungen beim Abitur sowie eine Verschiebung der Prüfungen um "mindestens sechs Wochen".
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Unterdessen werden auch unter den betroffenen rund 12.000 Abiturient:innen die Fragen nach einem neuen Abiturfahrplan lauter. Im Netz kursieren bereits verschiedene Umfragen und Lösungsvorschläge, darunter auch – wie schon 2020 – die Forderung nach einem „Durchschnittsabitur“, dessen Ergebnis also nur anhand der Noten aus den Oberstufenkursen errechnet wird – unter Verzicht auf alle Prüfungen.
Landesschülerausschuss fordert Entgegenkommen
Der Landesschülerausschuss (LSA) hat sich noch nicht positioniert. Die neu gewählte Landesschülersprecherin Ha Thu Nguyen sagte, der LSA habe die Senatsverwaltung für Bildung wegen des vielen Unterrichtsausfalls „jetzt zum Handeln aufgefordert“.
Die Schüler:innen müssten „die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben, ihre Abiturprüfungen erfolgreich abzulegen wie die vorherigen Jahrgänge“. Das sehe der LSA „durch die momentanen Planungen als nicht gegeben“.
Umfrage: 70 Prozent fühlen sich schlecht auf die Prüfungen vorbereitet
Einen Hinweis auf die derzeitige Stimmungslage gibt eine Umfrage der neu gegründeten Initiative „Bildungsgerechtigkeit 2021“, die zwei Abiturienten des Vorjahres, Miguel Góngora und Arthur Kießling, in der Vorwoche starteten.
Sie berichteten am Montag von knapp 16.500 Teilnehmer:innen, davon rund ein Viertel diesjährige Abiturient:innen. Auf die Frage, ob sie sich schlecht auf ihr Abitur vorbereitet fühlen, antworteten demnach 70 Prozent der Abiturient:innen mit „ja“.
Mehr als zwei Drittel der Befragten würden eine Verschiebung der Abiturprüfungen um beispielsweise drei Wochen begrüßen, um Unterrichtsstoff nachzuholen.
Zudem bestätigte die Umfrage die Ungleichheiten zwischen den Bezirken, berichteten Góngora und Kießling. So habe sich für Neukölln ergeben, dass jeder sechste Schüler über keine eigenen digitalen Endgeräte wie Laptop oder PC verfüge, "um sich mit allen Unterrichtsinhalten auf die Prüfungen vorbereiten zu können". Überdies habe nur jeder Fünfte angegeben,, regelmäßig Unterstützung von seinen Eltern zu bekommen.
Ein Nachteilsausgleich wird gefordert
Insgesamt hätten über 80 Prozent der Teilnehmer:innen bei der Umfrage erklärt, dass sie einen Nachteilsausgleich für Abiturienten im Schuljahr 20/21 für eine denkbare oder sogar unumgängliche Lösung hielten..
„Unter einem Nachteilsausgleich verstehen wir die Anpassung der Erwartungshorizonte, das Kürzen von prüfungsrelevanten Inhalten sowie auch die Möglichkeit eines Durchschnittsabiturs“, erläuterten Kießling und Góngora. Letzterer war von Januar bis Juli 2020 Landesschülersprecher.
Konzept zur "Wahrung der Bildungsgerechtigkeit"
Góngora legte am Montag zusammen mit dem Bezirksschülersprecher von Tempelhof-Schöneberg, Felix Koeppe, zudem ein "Konzept zur Wahrung und Stärkung der Bildungsgerechtigkeit beim Abitur 2021 in Berlin" vor. Sie fordern unter anderem:
- je nach Fach eine größere Anzahl an Auswahlmöglichkeiten bei den Abiturthemen;
- die Sicherstellung einer digitalen Mindestausstattung für alle Prüflinge. Zu diesem Zweck die Senatsverwaltung für Bildung einen "Scan" an allen Berliner Schulen durchführen, um zu ermitteln, welche Prüflinge einen besonderen Unterstützungsbedarf benötigen, um gleichberechtigt die Ablegung der Prüfungen durchführen zu können;
- die Möglichkeit einer freiwilligen Verschiebung der Abiturprüfungen auf die Nachschreibetermine und die Verlängerung des 4. Semesters, damit der Lernstoffs aus dem 2.- und 4. Semesters nachgearbeitet werden kann.
Auch um die Bedingungen für das Abitur 2020 war lange gerungen worden: Góngora und viele andere hatten zwischenzeitlich den Verzicht auf die Prüfungen gefordert. Am Ende wurden die Prüfungen bundesweit durchgezogen, und Berlin hatte den besten Schnitt der vergangenen Jahre.