Kontrapunkt: Wir brauchen Schultypen für bildungsnahe- und bildungsferne Schichten
Eine Studie belegt: Die soziale und ethnische Entmischung in den Berliner Grundschulen ist bald abgeschlossen. Das erfordert nicht nur ein paar Maßnahmen hier und da, meint Claudia Keller. Zwei grundsätzlich neue Schultypen wären notwendig.
Es wird in Berlin bald nur noch zwei Typen von Grundschulen geben. Die einen für die Kinder bildungsbewusster Eltern, die lesen und schreiben können, bevor sie eingeschult werden. Und die für den Rest, die bei der Einschulung keinen Stift halten können und deren Eltern meist zugewandert sind und schlecht Deutsch sprechen. Wie jetzt eine Studie ergeben hat, ist die soziale und ethnische Entmischung der Grundschulen bald abgeschlossen. Die Segregation ist perfekt.
Die Nachricht ist nicht so schlecht, wie sie auf den ersten Blick wirkt. Denn jetzt liegen die Dinge klar auf dem Tisch. Man braucht sich nicht mehr mit halbherzigen Maßnahmen abzugeben, mit hier einer zusätzlichen halben Sozialarbeiterstelle und dort einem neuen Fassadenanstrich oder einem Theaterprojekt, finanziert von wohlmeinenden Stiftern. Das alles kann man sich sparen, denn es bewirkt sowieso nichts.
Jetzt braucht es den großen Wurf: Die zwei Typen von Grundschulen erfordern zwei grundsätzlich unterschiedliche Schulkonzepte mit grundsätzlich unterschiedlich ausgebildeten Lehrern, Sozialpädagogen und Sozialarbeitern. Wer an einer Schule in Kreuzberg, Neukölln oder Wedding mit überforderten bildungsfernen Eltern arbeitet, muss Türkisch und Arabisch können, mit Blick auf die Kinder aus Sinti- und Roma-Familien vielleicht in Zukunft auch Rumänisch und Bulgarisch. Der muss psychologisch geschult sein und ein Fachmann in Erwachsenenpädagogik. Die Eltern nicht nur einzubeziehen, sondern mit ihnen zu arbeiten, muss selbstverständlich werden. Das sind komplexe Aufgaben, mit einer Fortbildungsmaßnahme hier und da wie in den vergangenen Jahren ist es nicht mehr getan.
Das kostet. Ja, die Schulen in den sozialen Brennpunkten werden viel mehr Geld brauchen als die anderen Schulen, um ihre Kinder so aufs Leben und die Arbeit vorzubereiten, dass sie später echte Chancen haben.
Die Zeit zurückzudrehen, ist nicht möglich. Sich zu wünschen, dass Väter und Mütter mit sozialem Gewissen ihre Kinder auf die Brennpunktschulen schicken, ist lebensfern. Natürlich wählen Eltern die möglichst beste Schule und meiden die in den Brennpunkten. Wenn in einer Klasse nur Jungen und Mädchen sitzen, die zu Hause bestenfalls schlechtes Deutsch hören und es kein besonderes pädagogisches und personelles Konzept gibt, um dies aufzufangen, fällt das Niveau ab. Das alles ist seit Jahren bekannt. Dafür wurden die bildungsfernen Migranteneltern auch schon oft angeklagt. Und es stimmt ja: Es gibt unter ihnen solche, denen egal ist, was die Kinder lernen. Aber es gibt eben auch viele, die gerne helfen würden, aber hilflos sind. Geholfen hat die Schelte jedenfalls nichts.
In den vergangenen Monaten hat die Schulverwaltung die Einzugsbereiche mancher Brennpunktschule in Kreuzberg so verändert, dass sich garantiert kein Kind aus einer bildungsbürgerlichen Familie mehr dorthin verirrt. Das ist bitter für die Schulen und die engagierten Lehrer, die gehofft hatten, vom Aufschwung ihres Viertels profitieren zu können. Sie fühlen sich von der Schulverwaltung nicht nur allein gelassen, sondern offen behindert. Das Vertrauen und die Motivation der Pädagogen erhöht man so nicht. Das alles zeigt, dass hier ein Weg an sein Ende gekommen ist und grundsätzlich neu gedacht werden muss.
Eine Alternative gibt es sowieso nicht. 43 Prozent der unter 15-jährigen Berliner kommen jetzt schon aus Einwandererfamilien. In Kreuzberg, Wedding, Nord-Neukölln sind es 70 Prozent. Auch nur die Hälfte von ihnen zu verlieren, kann sich eine Gesellschaft nicht leisten.