George Boateng: Beinahe ein Fußballstar
George Boateng hätte Fußballstar werden können. Doch anders als seine berühmten Brüder landete er im Knast. Tempelhofer Schülern erzählte er, wie er scheiterte.
„Ich bin der kleine Bruder von Mesut Özil“, stellt sich Mohamed vor und seine Augen funkeln vom Flunkern. Die Klasse 9p der Hugo-Gaudig-Schule in Tempelhof ist an diesem Montag schon ganz auf die großen Namen des deutschen Fußballs eingestimmt. George Boateng, ehemaliger Jugendspieler bei Hertha BSC und der ältere Bruder von Kevin-Prince und Jérôme Boateng, die beide in der Champions League spielen, kommt zu Besuch. Schnell wird die Klasse gefegt und als einer der Schüler vom Flur ruft „Sie kommen!“, sitzen die 14- und 15-Jährigen schon auf ihren Plätzen und warten.
Die 13 Schüler der ersten Klasse „Produktives Lernen“ an ihrer Schule haben gerade begonnen, die Biografie „Die Brüder Boateng“ zu lesen. Der Besuch soll ein besonderer Abschluss für ihr erstes Trimester sein. An zwei Tagen pro Woche haben sie Unterricht in der Schule, an drei Tagen machen sie Praktika. „Wir sind die schlimme Klasse“, erklärt ein Schüler dem Besuch. „Wir sind die, die keinen Bock auf Schule haben“, sagt ein anderer. „Boateng!“ rufen Schüler anderer Klassen während der Pause hinter der Tür. Zwischen den Hinweisschildern für Feueralarm sieht man, wie ihre Köpfe sich an das Milchglas drücken.
„Eigentlich bin ich kein Vorbild“, sagt Boateng, dafür könne er die Schüler verstehen. Nach der 9. Klasse sei er von der Schule abgegangen. „Quatsch mich nicht an!“, hätte er früher Lehrern und Pädagogen gesagt, die ihm die Hand reichen wollten. Boateng wurde 1982 geboren und lernte im Wedding Fußball zu spielen. Seinen beiden jüngeren Brüdern gelang der Sprung zum Profi-Fußball, er lebte zeitweise im Heim und musste mit 22 Jahren ins Gefängnis. Heute habe er ein Unternehmen in Berlin, mache Musik und züchte Hunde. Aber selbst sein Freund und Manager sei überrascht, dass er das Wort „Labyrinth“ richtig buchstabieren kann.
Ilka Nissen und Lisa Fudim, die beiden betreuenden Pädagoginnen der Klasse, beschäftigt der Rollenwechsel ihrer Schüler. Wenn sie die Jugendlichen in den Betrieben besuchen, würden sie mit „Wollen Sie Tee, Frau Nissen?“ begrüßt. Elf von dreizehn Schülern hätten im ersten Trimester-Zeugnis vier von vier Punkten bekommen. Kaum seien sie in der Schule, gehe es wieder darum die Hierarchien zu verteidigen. Dann seien sie nicht zu erreichen.
Im Fußball und im Rap geht es viel um Schauspielerei, meint Boateng. Wer hart tue und gut aussehe, bekomme die meiste Aufmerksamkeit. Er sei nach außen vielleicht ein wilder Typ, in Wirklichkeit höre er inzwischen beim Autofahren Klassikradio, stehe in der Früh auf und kümmere sich um seine zwei Kinder. Gegenüber der „Klientel“ setze er trotzdem immer wieder seine Fassade auf. Er klingt nicht begeistert davon.
Boateng in der Schule – das ist eine Mischung aus Coach, großem Bruder und alternativem Knigge. Nicht dauernd schwören, es sich nicht zu leicht machen im Leben und daran denken, was andere von dem Blödsinn, den man sagt oder tut, mit nach Hause nehmen. „Er hat alle meine Fragen beantwortet“, sagt Mohamed am Ende zufrieden und Boateng sagt, dass seine Mutter lachen und weinen würde. „Das sind doch liebe Kinder“, würde sie sagen. Sie sollen ihren Abschluss machen, dann komme er wieder, verspricht Boateng. Katharina Ludwig
Michael Horeni. Die Brüder Boateng. Eine deutsche Familiengeschichte, gekürzte Fassung für Schüler, Lehrerhandreichung erhältlich, Verlag Klett 2012.