Abitur im Doppeljahrgang: „Am Ende wollen alle nur noch raus aus der Schule“
Zwei Abiturienten aus dem Doppeljahrgang berichten über ihre Erfahrungen. Nils Schumann macht den Abschluss nach zwölf Jahren, Paula Sauerwein nach 13.
Die Klausuren sind vorbei, die Prüfungen gelaufen. Wie war’s?
Nils: Grausig. Ich hatte in der letzten mündlichen Prüfung Deutsch und musste ein Gedicht analysieren. Der Prüfer fragte, ob ich die These vertrete, dass der Dichter damit die menschliche Seele widerspiegelt, obwohl das im Gedicht nicht wirklich ersichtlich wurde. Na ja, Deutsch halt. Das schlimmste ist die Ungewissheit nach der Prüfung.
Paula: Ich hatte auch Deutsch in der letzten Prüfung und habe es geschafft, einen Teil der letzten Aufgabe nicht zu entdecken. Die stand auf dem zweiten Blatt.
Hatten Ihre Lehrer Verständnis?
Paula: Die haben mich ein bisschen ausgelacht. Ich habe aber auch schon von Leuten gehört, die die zweite Aufgabe komplett übersehen haben.
Haben Sie schon Ergebnisse?
Paula: Nein, die bekommen wir erst am 6. Juni. Vorher sickert nichts durch.
Nils, hatten Sie den Eindruck, dass Paula es leichter hatte, weil sie ein Jahr mehr Zeit hatte?
Nils: Natürlich kann man gucken, wo die Vor- und Nachteile liegen. Aber ob ich persönlich es schwerer hatte, kann ich nicht sagen, denn ich hatte ja das Zusatzjahr nicht.
Die beiden Jahrgänge waren in Ihrer Schule zusammen in den Kursen. Fühlten sich die Zwölfer manchmal benachteiligt?
Nils: In einigen Fächern merkte man das eine Jahr Vorsprung deutlich. Gerade in Physik, meinem Leistungskurs, gibt es einen krassen Qualitätssprung von der Sekundarstufe in die Oberstufe. Man muss erst mal ein Gefühl dafür bekommen, wie man mit den Formeln zu spielen hat. Das ist eine Frage der Übung. Da hatten die Dreizehner anfangs einen Vorteil.
Paula: In meinem Politik-Leistungskurs hat man es auch gemerkt. Das Fach kann man erst ab der elften Klasse wählen. Einige Schüler in unserem Kurs hatten es bei Beginn der Oberstufe also noch nie. Das Wissen aus der Elften wurde zwar nicht vorausgesetzt, aber wir Dreizehner wussten beispielsweise schon, wie man eine Klausur gut strukturiert. Einige der Zwölfer haben ein paar Klausuren gebraucht, bis sie das raus hatten. Bei sieben Klausuren insgesamt macht das schon etwas aus.
Besonders die schlechteren Schüler müssen sich doch darüber aufgeregt haben?
Nils: Ja, haben sie auch. Aber ich finde, es sind immer wenige Leute, die den meisten Lärm machen.
Paula: Meiner Einschätzung nach sind die Zwölfer-Schüler insgesamt aber sogar etwas besser oder zumindest gleich gut.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Haben sich die Älteren in der elften Klasse eine laschere Arbeitshaltung angewöhnt, weil das Jahr im Grunde nichts zählte?
Paula: Ja, das war schon so. Uns wurde zwar gesagt, wir sollen das nicht tun. Aber viele gingen in die elfte Klasse mit der Einstellung: Jetzt mache ich ein Jahr lang Party. Es wird schließlich fast nur Unterrichtsstoff wiederholt.
Etliche Schüler des Doppeljahrgangs haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Jahr freiwillig zu wiederholen.
Paula: Wir sind mit 200 Schülern gestartet und jetzt sind wir noch ungefähr 160. Die meisten sind nach dem zweiten Semester zurückgetreten. Einige auch deshalb, weil sie gemerkt haben, dass sie die falschen Kurse gewählt hatten. Einige haben auch ganz abgebrochen und machen jetzt eine Ausbildung. Sie haben dann ja trotzdem das Fachabitur.
War Ihre Schule gut auf den Doppeljahrgang vorbereitet?
Nils: Wir haben eine große Schule, da geht schon mal einiges drunter und drüber. Gerade in der Anfangszeit gab es oft Probleme. Es ist natürlich schon ein größerer Aufwand, 200 Schüler bei Klausuren in Räumen unterzubringen, neben den Herausforderungen, die der Alltag sonst so stellt. Insgesamt lief es aber gut.
Paula: Durch die größere Schülerzahl gab es aber auch eine bessere Auswahl an Kursen.
Würden Sie der Politik raten, wieder auf dreizehn Jahre zurückzudrehen?
Nils: Nein, wir haben einfach keine Lust mehr auf Reformen. Und ich könnte mir auch nicht vorstellen, noch ein Jahr in die Schule zu gehen. Am Ende wollen alle nur noch raus, egal ob nach zwölf oder dreizehn Jahren.
Paula: Ich bin heilfroh, dass ich dreizehn Jahre hatte. Die Zwölfer hatten deutlich mehr Unterrichtsstunden als wir.
Nils: Wir mussten mindestens 36 Wochenstunden in jedem Semester machen. Da waren auch Kurse dabei, die wir dann gar nicht für die Abiturnote einbringen konnten. Außerdem arbeitet man ja nicht eine nach der anderen Unterrichtsstunde ab, es gibt Freistunden dazwischen, die man manchmal nicht gut nutzen kann.
Paula: Ich hatte im letzten Semester nur noch 27 Wochenstunden. Das ist schon ein Unterschied.
Wie geht es für Sie jetzt weiter?
Nils: Ich möchte gleich studieren, Internationale BWL und Sinologie in Tübingen.
Machen Sie sich Sorgen, einen Platz zu bekommen?
Nils: Die Studienplatzpanik war ja ein großes Thema für den Doppeljahrgang. Und wenn ich auf der Webseite der Uni den NC vom letzten Jahr sehe, dann mache ich mir schon Gedanken, ob ich es schaffe. Ich lasse mich dann immer so verunsichern, aber verdränge das meistens wieder. Man kann nur hoffen, dass die Unis sich tatsächlich gut genug auf den Doppeljahrgang vorbereiten.
Und Sie, Paula?
Paula: Ich weiß es noch nicht. Ich wollte eigentlich ein Jahr lang beim Europäischen Freiwilligendienst arbeiten, das hat aber nicht geklappt. Jetzt fahre ich den Sommer über erst mal weg und dann überlege ich mir, was ich mache. Ich will auf keinen Fall sofort studieren. Ich habe keine Lust, nach dreizehn Jahren Schule gleich mit einem verschulten Bachelor-Studium weiterzumachen.
Das Gespräch führten Susanne Vieth- Entus und Sylvia Vogt.