Illegale Plakataktion: "Schlüssel zur Stadt": Aktivisten tauschen Werbeplakate aus
Eine Aktivistentruppe erregt Aufsehen mit Aktionen, die sie filmt. Erst öffnete die Gruppe U-Bahnhöfe für Obdachlose, jetzt zerstört sie Werbung - scheinbar.
Ende Januar öffneten sie U-Bahnhöfe für Obdachlose, jetzt tauschen sie Werbeplakate aus: eine Truppe, die sich im Video "Rocco an his brothers & Dies Irae" nennt, lässt die Stadt rätseln. Im Internet wurde nun das zweite Video veröffentlicht. Die Serie - falls man bei zwei Teilen schon von einer Serie sprechen kann - heißt "Der Schlüssel zur Stadt", das neue Video heißt "Chapter 2: Arsch bewegen, Plakate kleben!" Diesmal sieht man zunächst sehr viel Plakatwerbung in der Stadt, dazu spricht eine Frauenstimme.
Sie sagt: „Verfälschte und gephotoshoppte Frauenbilder dominieren den Ku’damm“. Sie spricht weiter von dem vielen Kommerz im öffentlichen Raum und sagt dann: „Die vielen tausend Werbeanlagen in der Stadt Berlin bieten bisher keinen Raum zur aktiven Mitbestimmung der Bevölkerung. Man wird in die Rolle der Passivität gezogen. Es sei denn … man besitzt einen Schlüssel.“
Der Schlüssel ist ein starkes Symbol
Dann sieht man, wie Plakate gedruckt und eine große Menge Sechskantschlüssel hergestellt werden, die sich zum Öffnen der Plakatvitrinen an Bushaltestellen und Straßen eignen. Und danach zwei Männer – Gesichter unscharf –, die sehr viele Werbeschaufenster öffnen und die Plakate austauschen, am helllichten Tag, mitten im Betrieb der Stadt, niemand behindert sie, dazu läuft „Der Kampf geht weiter“ von Ton Steine Scherben. Auf dem neuen Plakat ist der Berliner Fernsehturm zu sehen, stilisiert als Schlüssel, und dazu ist als Text zu lesen: „Die Stadt gehört uns – auch diese Werbefläche“. An die veränderten Schaukästen kleben die Aktivisten Beutel mit jeweils einer orangefarbenen Weste und einem der Sechskantschlüssel, um die Leute zum Mitmachen zu animieren.
Man sieht in dem Video ratlos-interessierte Bürger, die das Ganze beäugen. Ein orangefarbener Pfeil zeigt an, wo der Schlüssel angesetzt werden muss, um die Vitrine zu öffnen, und das Plakat fordert dazu auf: „Öffnen, Entfernen, Erneuern.“ Es soll wohl heißen: Jeder Bürger soll seine Stadt gestalten, ein eigenes Plakat aufhängen.
Schön und gut, aber ist das nicht Sachbeschädigung? Und haben nicht die werbenden Firmen Verträge und entsprechend Anspruch darauf, dass ihre Plakate gezeigt werden?
Das Ganze ist eine Kunstaktion
Die im Video gezeigten Schaukästen gehören der Firma Wall, die die Flächen vermietet hat. Bei Wall zeigte man sich am Freitag jedoch unbesorgt. Firmensprecherin Frauke Bank kommentierte: „Das ist eine schöne Kunstaktion, die keine weiteren Folgen hat. Wir haben aktuell keine Werbefläche, die von der Aktion betroffen ist. Bestimmte Standorte sind in dem Video ja eindeutig zu erkennen, wir haben sie überprüft. Unsere Plakate hängen da.“ Also kein Schaden, keine Konsequenzen. Aber vielleicht ein Denkanstoß.
Rocco und seine Brüder haben auch eine eigene Homepage, demnach handelt es sich bei ihnen eigentlich um Graffitikünstler. Das Kollektiv „Rocco und seine Brüder“ hat schon mehrere Aktionen, die die die Sehgewohnheiten stören, im öffentlichen Raum realisiert, zum Beispiel ein Wohnzimmer in einer Station der U-Bahnlinie 9 eingerichtet.
Die BVG wollte sich zu der aktuellen Aktion nicht äußern, da allein die Firma Wall betroffen sei. Zu verurteilen sei aber das Eindringen in U-Bahnstationen – zu gefährlich. Dort liegt Starkstrom an den Schienen.
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