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So geht's los: Irgendwelche Hippies hängen lustig-romantische Zettel in einen Baum. Wenn an gleicher Stelle fünf Jahre später ein teures Luxuswohnprojekt steht, jammern sie. Dabei sind sie selbst schuld!
© Doris Spiekermamm-Klaas

Debatte zur Gentrifizierung: Schluss mit dem ganzen Entdeckermist!

Sind sie nicht toll und kreativ, diese jungen Leute? Anstatt über schwindende Freiräume in den Szenekiezen zu mosern, nutzen sie gerade den Sommer, um immer neue Winkel der Stadt mit Musik und Kunst zu bespielen. Wer das feiert, übersieht meist eins: Er huldigt Kolonialismus und Wachstumswahn.

Auf der Radtour sahen wir sie plötzlich: Irgendwo im Niemandsland zwischen Britz und Johannisthal kamen uns die adrett heruntergekommenen Horden entgegen, jedes ungestutzte Barthaar und jede neckisch-neonfarbene Sonnenbrille ein Statement: Seht her, schienen sie zu sagen, hier kommen die coolen Kids aus dem Häusermeer, aus den WGs von Neukölln, Kreuzberg, vielleicht noch Friedrichshain. Ein M-Bus hat uns hier herausgefahren und nun erobern wir die Welt abseits der ausgetretenen Pfade, immer bereit, Neues zu entdecken. So kletterten sie eine Böschung herunter, immer auf einen im Unterholz knackenden Elektrobeat zu.

Ist das nicht toll? Wie diese Stadt lebt – und wie sich ihre Avantgarde immer neue Wege sucht? Anstatt über eng werdende Freiräume innerhalb des S-Bahn-Rings zu jammern, bleibt man erfinderisch, flexibel und zieht einfach immer weiter; im Sommer zumal, mit spontan über das Netz kommunizierten Open-Air-Partys in der Peripherie, diesem neuen, großen Ding. Eine Musikanlage, ein bisschen Wodka, ein bisschen Club Mate – vielleicht errichtet noch jemand ein temporäres Kunstwerk, und fertig ist etwas, das man als „Ausdruck der ungezügelten Freiheit – und damit als Gesellschaftskritik“ verkaufen kann. So zumindest labelten das schon im Oktober 2012 Macher derartiger Partys in der „Zeit“.

Schon damals reifte die Idee, hier auf tagesspiegel.de das ganze Gewese um die kreativen Entdecker des urbanen und – mittlerweile – suburbanen Raumes mal ein wenig verächtlich zu machen, diese Leute, die erst von „Gesellschaftskritik“ faseln, wenn sie Party meinen, und hinterher erschreckt feststellen: „Mit der Beliebtheit wächst die Gefahr, dass der freie Platz weiter schmilzt. Die Stadt wird vom Geheimtipp zum Mainstream. Das ist das Schicksal alles Schönen.“ Leider ging es in besagtem Text nicht um Berlin, sondern um Leipzig, das schon damals seit geraumer Zeit als „das neue Berlin“ gehandelt wurde, aber damit dennoch nicht als Grundlage für einen Berliner Wutausbruch an dieser Stelle taugte.

Aber, ach: Das Thema scheint gerade jetzt, wo wetterbedingt wieder wie wild entdeckt wird, auch im Längst-nicht-mehr-Geheimtipp Berlin nicht hinreichend abgehandelt. Horchen wir mal kurz in den Bauch der Stadt: Künstler aus Mitte erobern Marzahn? Das finden wir doch alle super, oder? In Neukölln kann man jetzt auf einem Parkdeck tanzen und chillen – wie lässig! Und die halblegale Feierei weiter draußen, die schafft so viele unerwartete Ein- und Durchblicke in das Gefüge Großstadt, man möchte schreien vor Glück ob dieses tollen, aus tanzenden Leibern geformten Gesamtkunstwerks. Gell?

Nein! Nein! Nein! Das muss jetzt endlich aufhören – dieses permanente Gutgefinde von Leuten, die einen neuen Winkel der Stadt entdeckt und dort ein niedliches Café, eine tolle Galerie und/oder eben eine Tanzfläche installiert haben. Denn genauso wenig, wie Feiern Gesellschaftskritik ist, ist es unter allen Umständen wünschenswert, dass Menschen permanent Orte entdecken, betreten, bespielen und damit verändern.

Im Grunde ist es erst einmal überhaupt nicht wünschenswert, dass irgendwas von irgendwem entdeckt wird. Wer das bestätigt haben möchte, der frage mal bei den Nachfahren jener nach, deren Dörfer, Länder und Kontinente einst von irgendwelchen umhersegelnden Europäern „entdeckt“ wurden. Geschmackloser Vergleich? Auf jeden Fall! Aber seltsam ist es schon: Eine Kultur, der bei der Beobachtung ihrer Vergangenheit im Großen eigentlich auffallen sollte, dass Entdecker, ob sie wollten oder nicht, den ihnen stets nachfolgenden Eroberern den Weg bereitet haben, feiert sie im Kleinen der großen Stadt als Freiheitskämpfer und Gesellschaftskritiker. Nicht zuletzt: als Alternative zu den „Gentrifizierern“. Dabei sind die Entdecker das doch in Wahrheit so sehr wie niemand sonst.

Es handelt sich um ganz banalen Kolonialismus!

So geht's los: Irgendwelche Hippies hängen lustig-romantische Zettel in einen Baum. Wenn an gleicher Stelle fünf Jahre später ein teures Luxuswohnprojekt steht, jammern sie. Dabei sind sie selbst schuld!
So geht's los: Irgendwelche Hippies hängen lustig-romantische Zettel in einen Baum. Wenn an gleicher Stelle fünf Jahre später ein teures Luxuswohnprojekt steht, jammern sie. Dabei sind sie selbst schuld!
© Doris Spiekermamm-Klaas

Damit wir uns nicht missverstehen: Es ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dass Menschen ein Geschäftsmodell daraus machen, irgendwo zuerst zu sein. Marzahn wird es nicht schaden, wenn da fortan ein paar Künstler rumwerkeln, und dass man auf dem Neuköllner Parkdeck nicht mehr wie einst, als wir noch Entdecker waren, auf dem Beton sitzen muss, das ist definitiv eine Weiterentwicklung. Aber ein bisschen Reflexion täte dem ganzen Setting gelegentlich gut. Statt sich selbst immer so aufdringlich als lebenskünstlernde Alternative zur herrschenden Gesellschaftsordnung zu inszenieren, könnte man ja auch mal sagen: Jipp, wir sind ein wichtiger Teil des kapitalistischen Verwertungssystems dieser Stadt! Uns ist bewusst, dass wir durch unser hippes und/oder alternativ-künstlerisches Sosein an einem Ort langfristig das Gegenteil der kostengünstigen Wildheit erzeugen, die wir dort suchen! Wir sind die Kraft, die stets das Gute will und – gemessen an unseren Idealen – stets das Böse schafft. Wir sind die Todesengel der Brachen, die wir auftun, und es ist unsere Schuld, wenn da irgendwann jemand eine Strandbar hinbaut, die wir uns nicht leisten können! Kurz und schlecht: Bei dem, was wir hier tun, handelt es sich um ganz banalen Kolonialismus, der, obschon als individuelle Regung kreativer Köpfe getarnt, Originäres durch Uniformes ersetzt. Das lässt sich ja schon an Formulierungen wie „AB ist das neue XY“ ablesen.

Das wäre so erholsam! Kein Gewäsch mehr vom „Schicksal alles Schönen“, stattdessen eine klare Kante, die ehrlich verletzt, anstatt nur zu verblöden. Ob daraus irgendeine Konsequenz folgen muss? Natürlich nicht! Das wäre ja noch schöner, wenn auf einmal die Gentrifizierungs-Polizei ausfährt und den Entdeckern das Entdecken verbietet. Zumal die ja selbst Getriebene sind, anderswo verdrängt von den Geistern, die sie, teils unwissend, selbst riefen. Die Künstler aus dem Tacheles in Mitte, die es nun nach Marzahn verschlagen hat, sind Archetypen einer Klientel auf der Flucht vor ihrer eigenen Macht. Das ist bitter genug, da muss man nicht noch „Haha, selbst schuld!“ hinterherrufen.

Was bleibt dann? Vielleicht dieser komplizierte Gedanke: Wenn die, die immer für „Nachhaltigkeit“ und gegen „Wachstumswahn“ plädieren, einsehen, dass ihr Lechzen nach „Freiraum“ Teil des Wahns ist, müssten wir uns nicht mehr über die missbräuchliche Anrufung des „Schicksals“ aufregen. Oder dieser einfache: Jene jungen Leute im Niemandsland zwischen Britz und Johannisthal, die, während sie auf einen schon etwas ausgelatschten Trampelpfad einbogen, irritiert aufsahen, weil wir ihnen vom Fahrrad ein halbernstes „Hört doch mal auf mit dem ganzen Entdeckermist!“ entgegenschleuderten, wissen nun, warum.

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