Neues Kleinod für Berlin: Schloss Biesdorf öffnete seine Türen
Jahrzehntelang verfiel das Herrenhaus in Biesdorf. Nun konnte man den Prachtbau am Rand von Marzahn besichtigen. In einem Jahr soll es endgültig eröffnet werden.
Das hatten die Musiker des Jugendsinfonieorchesters Marzahn-Hellersdorf perfekt ausgewählt. Die Ouvertüre von Mozarts Oper „Titus“ zur Wiedereröffnung von Berlins neuem Dornröschenschloss. Es ist Sonntagmittag, kurz nach zwölf, der Dirigent hebt den Taktstock im Lichthof des Schlosses Biesdorf, während Neugierige noch in Scharen vom nahen S-Bahnhof durch den Schlossparks zur umfassend sanierten und wieder aufgebauten Perle des Marzahner Ortsteils strömen. Schon draußen, in der prächtigen Lindenallee, werden sie von Fanfaren empfangen. Festmusik wie zu einer Krönungsmesse flutet durch die geöffneten Fenster, Mozarts Oper dreht sich schließlich um Kaiser Titus in Rom. Der galt, nachdem er 79 n.Chr. den Thron bestieg, wegen seiner Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft als idealer Herrscher.
Das passt: Biesdorfs spätklassizistischer Adelsbau wurde seit 2013, nach 80 Jahren permanenter Vernachlässigung, von vielen Gönnern und Helfern mit einem Kraftakt gemeinsam neu geadelt – und wach geküsst.
In den vergangenen drei Jahren haben das vor allem Trupps von Bauarbeitern geschafft sowie das auf historische Gebäude spezialisierte Berliner Architektenbüro Pinardi. Dass sie anrücken konnten, ist der Beharrlichkeit engagierter Bürgerinitiativen wie der Stiftung „Ost-West-Begegnungsstätte Schloss Biesdorf“ zu verdanken, die seit 2000 um den Wiederaufbau ringen. Damals platzt ihnen der Kragen. Motto: „Jetzt ist aber mal endlich Schloss!“ Sie schrieben einen Brandbrief an den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, das brachte die Stiftung Denkmalschutz auf ihre Seite und ihre Sache in Bewegung.
Zehn Millionen Euro kamen bis zum Start der Bauarbeiten zusammen, von Privatsponsoren und der Klassenlotterie gespendet sowie aus Töpfen für den Denkmalschutz. Für das Ergebnis finden die Besucher am Sonntag nur begeisterte Worte.
1868 wurde das Schloss im italienischen Villenstil errichtet
Mitten in den hügeligen Park mit seinen uralten Bäumen eingebettet, taucht das Herrenhaus plötzlich zwischen Laubwerk auf. 1868 wurde es für den Baron von Rüxleben im italienischen Villenstil errichtet. 1787 zog der Industrielle und Erfinder Werner von Siemens ein, zwei Jahre später dessen Sohn Wilhelm von Siemens. Blick zur Ostseite: Dort führt die geschwungene Freitreppe zum Wandelgang mit seinen klassizistischen Säulen und schmiedeeisernen Gittern. An der Südwestecke der Turm, geschmückt mit kleinen Balkonen. An den breiten, ziegelrot verputzen Schlossfassaden Terrassen und Loggien, von denen der Blick in den Park schweift. Fern rauscht ein Brunnen.
„Einfach fantastisch“, freuen sich Rosemarie und Alfred Linke aus Biesdorf. Sie kennen das Gebäude seit Jahrzehnten. Nach einer vermutlichen Brandstiftung während des Zweiten Weltkrieges war es durch die Flammen stark geschädigt, die zweite Etage war zerstört, wurde abgetragen. Seither schützte ein Notdach den Bau. Als erste Maßnahme des Wiederaufbaus wurden seit 2013 der zweite Stock und das ursprüngliche Dach nach dem historischen Vorbild wieder hergestellt.
Noch sind große Teile der Fassade eingerüstet
Fotografien aus dem späten 19. Jahrhundert dienten den Architekten als Vorlage. Noch sind große Teile der Fassade eingerüstet und mit Planen verhängt, aber bis zum September 2016 sollen auch die Außenarbeiten abgeschlossen sein. Im Inneren dagegen legten die Maler in den vergangenen Tagen letzte Hand an. Wer durch den nördlichen Vorhof mit seinen imposanten Säulen und dann durchs Hauptportal tritt, erlebt ein komplett neu geschaffenes Interieur. Bis die Handwerker kamen, gab es dort im Parterre und ersten Stock nur kleine, niedrige Räume im Stil von Plattenbauten. Denn bereits seit der Weimarer Republik, nachdem von Siemens das Schloss 1927 an die Stadt Berlin verkauft hatte, wurden die einst farbenfrohen hohen Gründerzeitsäle verkleinert und abgehängt. Wohnungen und ein NSDAP-Büro wurden in der Nazizeit untergebracht, in den 50er Jahren eröffnete ein Café mit Kulturtreff, das zu DDR-Zeiten und nach der Wende weiter bestand.
Als die Architekten um 2013 den Innenausbau begannen, ließen sie die einstigen Räume und Säle nach den alten Grundrissen wieder herstellen und Türen verbreitern. Auch die typische gründerzeitliche Höhe ist wieder gewonnen. Schmuckstück ist im Mittelpunkt der haushohe, achteckige Lichthof, das Oktagon, gekrönt von einer gläsernen Laterne. Wer in dessen Mitte steht, erlebt nun wieder die originalgetreuen Sichtachsen und Zimmerfluchten des Gebäudes.
Vergebens schaut man sich aber nach Stuck, Farbtönen aus den Tagen der Familie von Siemens und anderem Raumschmuck um. Schloss Biesdorf ist im Inneren ohne jede historische Reminiszenz nüchtern in Cremeweiß gemalert. Geradezu modern-minimalistisch. „Neutral“ nennt es die verantwortliche Architektin Mara Pinardi. Da es vom Inneren keinerlei Fotografien, Gemälde oder genaueren Beschreibungen gab, habe man sich für diese Variante entschieden.
200 Gemälde von DDR-Künstlern sollen später an den Wänden hängen
Enttäuscht ist deshalb am Sonntag kaum ein Besucher. „Eine historisierende Ausgestaltung hätte auch nicht gut zu den Zukunftsplänen des Bezirks für das Schloss gepasst“, sagt Marion Jarosch aus Friedrichshain, die mit ihrer sechsjährigen Tochter Lea gerade durch die gut 20 Säle spaziert. Denn Schloss Biesdorf soll ein „Bilderschloss“ werden. Rund 200 Gemälde bekannter DDR- Künstler will Kulturstadträtin Juliane Witt (Linke) dort ab Herbst 2016 in einer Schlossgalerie ausstellen. Derzeit lagern die Kunstwerke im Fundus in Beeskow. Außerdem will sie zeitgenössische Werke zeigen. Die künftigen Caféräume sind schon fertig, dort sind auch wieder Kulturveranstaltungen geplant. Unterm Dach entsteht eine Medienwerkstatt. Das alles soll aber erst im Herbst 2016 für Gäste öffnen, wenn die Baustelle endgültig Geschichte ist – betrieben von der Grün Berlin GmbH.
Dieses „neue Profil des Schlosses“ verkündet Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) vor dem ersten Fanfarenstoß. Und während sich später in allen Etagen die Menschen drängen, stellt sich Architektin Mara Pinardi mitten ins Oktagon und genießt ihr Werk. Sie könne verstehen, sagt sie, dass sich „der Herr Siemens hier wohlgefühlt hat“.
Bis zur endgültigen Eröffnung im September 2016 kann nur der Parterresaal im Schloss donnerstags genutzt werden.
Christoph Stollowsky