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Susanne Bartsch nutzt die Schlecker-Filiale an der Schönhauser Allee 127, um ihre Werke auszustellen.
© David von Becker

Berliner Kunstszene: Schlecker-Filiale als Ausstellungsraum

Viele der 187 ehemalige Schlecker-Filialen stehen in Berlin leer. In Prenzlauer Berg nutzen zwei Künstler die Fläche nun als Ausstellungsraum. So lange kein neuer Mieter gefunden ist, dürfen sie bleiben.

Über dem vergitterten Eingang hängt noch das alte Logo – der etwas sperrige weiße Schriftzug auf blauem Grund. Schlecker, das steht inzwischen hauptsächlich für Scheitern. Seit mehr als einem Jahr steht die frühere Schlecker-Filiale in der Schönhauser Allee 127 an der Ecke Gaudystraße in Prenzlauer Berg leer. Sie teilt das Schicksal von 187 Läden in ganz Berlin, von denen immer noch ein großer Teil auf neue Verwendung wartet. Wie viele es genau sind, kann seit der Insolvenz niemand sagen, sie werden nun einzeln neu vermietet – zumindest versuchen das die Vermieter. Wie viele der Filialen ist die in der Schönhauser Allee inzwischen verwahrlost. Unter dem Schriftzug eine lange Glasfront in deutscher Supermarktästhetik, zweckmäßige Nachkriegsarchitektur, die ihre besten Jahre hinter sich hat. Die in typischem Schlecker-Blau gerahmten Schaufenster verschwanden unter immer dickeren Lagen von Graffiti und Plakaten. Vor dem Haus blieb niemand mehr stehen.

Berliner Künstler nutzen die Fläche, um Fotos und Collagen zu zeigen

Seit Mitte Juni ist nun aber zumindest die Glasfront wiederbelebt. Zwei Berliner Künstler haben einen Teil der Schaufenster von den Plakaten und Aufklebern befreit und nutzen die wiedergewonnene Fläche, um Fotos und Collagen zu zeigen. Thema: Abschied. Die Idee kam Susanne Bartsch und Benjamin Renter auf einer Party. Beide kannten sich noch von der Kunsthochschule und waren auf der Suche nach einer Ausstellungsfläche. Wenig später sah Susanne Bartsch an der Filiale in der Schönhauser Allee um die Ecke von ihrer Wohnung ein Plakat mit der Telefonnummer des Vermieters. Der bot ihnen an, dass Schaufenster kostenlos zu nutzen. Sie müssten sie nur selbstständig frei bekommen.

„Vor allem die ganzen Konzert-Plakate waren direkt auf die Scheiben geklebt, das war eine Heidenarbeit“, sagt Bartsch. Doch das Ganze entwickelte sich zu einer Nachbarschaftsaktion – immer mehr Anwohner kamen vorbei und wollten helfen. Viele wollten das traurige Mahnmal der Schlecker-Pleite loswerden.

Regale im Verkaufsraum, alte Lampen an der Decke, Geruch nach billigem Putzmittel

Susanne Bartsch merkte allerdings schnell, dass sie den besonderen Ort nicht einfach unkommentiert lassen konnte. „Es kamen dauernd noch ältere Menschen vorbei und haben gefragt, was nun jetzt aus dem Schlecker würde. Da hat man gemerkt, was der Laden für die war.“ Und noch viel deutlicher merkt man drinnen, was die Pleite für die Mitarbeiter bedeutet haben muss. „Die haben am Ende alles stehen und liegen gelassen“, erzählt Bartsch. In den leeren Verkaufsräumen stehen noch Paletten und einzelne Regale. Von der Decke hängen die alten Lampen und kleine Überwachungskameras. Es riecht nach billigem Putzmittel.

Räumungspreise: „90 Prozent auf alles, außer Tabakwaren“

Hinten im Laden ist eine kleine muffige Küche, die als Aufenthaltsraum und Büro für die Angestellten diente. An der Wand hängen Vorschriften und ein vergilbtes Plakat mit Erste-Hilfe-Anweisungen. In einem Regal stehen immer noch blaue Schlecker-Ordner mit den Betriebsunterlagen. Überall lagen die Briefe des Insolvenzverwalters herum, aus denen sich die Abwicklung nachzeichnen ließ. Am Ende gab es „90 Prozent auf alles, außer Tabakwaren“ – die totale Räumung. Im Juni dann die förmliche Mitteilung, dass die Filialen am 27. Juni um 15 Uhr zu schließen und die Kassen abzurechnen seien. Danach fühlte sich niemand mehr zuständig, man ging einfach nach Hause. Was sollte man auch noch tun. Ein Betriebsrat hatte immerhin noch eine kleine Party organisiert.

Susanne Bartsch entschloss sich, für alle eine imaginäre Abschiedsparty zu feiern. Sie nahm die alten Regale und den kleinen Schreibtisch aus der Küche und stellte sie ins Schaufenster. Aus alten Kassenrollen machte sie Luftschlangen, dazu ein bisschen Lametta und Piccolo-Sekt. „Der Rest ist Geschichte“ nannte sie die Installation, mit der sie ihre Ausstellungsfläche im Juni eröffnete. Auch ein Bild von Anton Schlecker mit Ehefrau hängt hier nun, das früher in dem Hinterzimmer der Filiale hing. Er, der Patriarch, im schwarz-weißen Versace-Hemd. Seine Gattin neben ihm legt stützend ihre Hand auf seine Schulter. Dahinter eine blaue Tagesschau-Wand mit einer eingeblendeten Schlecker-Filiale. Bartsch malte ihnen Brillen und Party-Hüte auf.

Seit Mitte Juli stellen die beiden nun ihre eigenen Bilder aus. Bartsch macht Fotocollagen, in denen sie Stoffe und Bilder menschlicher Haut kombiniert. „Grenzen haben mich immer fasziniert – und die Haut stellt ja eine Grenze dar, zwischen Innen und Außen.“ Für die alte Schlecker-Filiale ist das irgendwie passend: Hinter der Fassade mit Bildern verstecken sich immer noch die Überreste der alten Schlecker-Welt, die für so viele der Angestellten ihr Leben war.

Mindestens bis September können Susanne Bartsch und Benjamin Renter die Schaufenster der Schleckerfiliale in der Schönhauser Allee 127 noch nutzen. Geplant sind wechselnde Ausstellungen mit Fotos, Collagen und Installationen. Vielleicht auch noch länger – wenn sich kein neuer Mieter findet.

Alexander Haneke

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