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 Es gibt viele schwule Amateure, die Angst haben, sich zu erklären. Homophobie im Sport.
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Homophobie im Amateurfußball: „Schiri, du schwule Sau“

„Schwul“ ist ein gängiges Schimpfwort auf Berliner Fußballplätzen. Schiedsrichter Karsten Biel ist homosexuell, er hört solche Sprüche oft - und nimmt sie einfach hin, aus Angst abgestoßen zu werden. Ein Leidensbericht.

Der Stich in sein Herz kam völlig unerwartet, seine einzige Abwehrmaßnahme war ein starrer Blick. Karsten Biel (Name geändert, d. Red.) blickte still auf den Spielberichtsbogen; der andere durfte nicht erkennen, welche Wunden sein Satz gerissen hatte. Sie waren zu dritt in der Kabine, Karsten Biel, Schiedsrichter, und seine Assistenten. Sie gingen noch mal die Partie durch, Routine. Irgendein unterklassiges Fußballspiel auf einem Berliner Sportplatz.

Aber plötzlich sagte einer der Assistenten zu Karsten Biel: „Das war ja ein schwuler Pfiff.“ Er hätte auch sagen können: Das war ’ne Fehlentscheidung, oder: Da haste Mist gebaut. Er hätte viel sagen können, aber er sagte: ey, schwuler Pfiff.

Und Biel saß vor seinem Bogen, still, starr, der Körper verkrampft, und wusste, dass sein Leidensdruck auf verquere Weise seinen Sinn hatte. Er schützte ihn auch. Er wusste jetzt wieder, warum er diesen einen Satz seit Jahren unterdrückt: Ich bin schwul.

"Ich war schockiert"

Es ist ein paar Monate her, seit Karsten Biel seelisch verwundet seinen Bogen ausfüllte. „Ich war schockiert“, sagt er. „Das hätte ich nie erwartet.“ Schiedsrichter respektieren einander, das ist ihr Kodex, sie reden nicht von schwulen Pfiffen. Karsten Biel hatte zum ersten Mal diesen Assistenten an der Seite, er wird ihn nie mehr haben. „Sollte er mir wieder zugeteilt werden, sage ich dem Spielansetzer, dass ich ihn nicht will.“ Er würde dann sagen: wegen jenes Spruchs. Er würde nicht sagen: weil ich homosexuell bin.

Er hat einfach zu viel gehört. Auf Sportplätzen, auf Schulhöfen, auf der Straße. „Schwule sind eklig.“ – „Es sind keine normalen Menschen.“ Einmal sogar: Schwule sind Außerirdische. „Es ist schwer, sich zu outen, wenn man abgestoßen wird“, sagt Karsten Biel.

Er hat keine Bilanz als Profifußballer wie Thomas Hitzlsperger, er ist Amateur, er ist einer aus der Masse der Namenlosen. Nur sein Leidensdruck ist ähnlich wie jener der Profis, die schweigen. Es gibt viele schwule Amateure, die Angst haben, sich zu erklären. Homophobie im Sport – zu diesem Thema gehören auch die Namenlosen.

Es sind Leute wie Karsten Biel, aber der ist auch schon wieder etwas Besonderes. Ein Schiedsrichter, nicht bloß ein Fußballer. Schiedsrichter sind sowieso die Buhmänner auf dem Platz, schwule Schiedsrichter aber erzeugen im Zweifelsfall völlig unkontrollierte Reaktionen.

Nur wenigen Menschen hat er sich offenbart

Karsten Biel ist jetzt 20 Jahre alt, ein hochgewachsener Mann mit wachen Augen, Mitglied in einem der vielen Berliner Fußballvereine. Er sitzt in einem Café und redet. Er will öffentlich anonym bleiben, aber über seinen Leidensdruck erzählen. Nur wenigen Menschen hat er sich offenbart.

Seit vier Jahren pfeift Biel, die E-Jugend war sein Einstieg. E-Jugendliche sind neun, zehn Jahre alt, sie produzieren sich häufig mit Kraftausdrücken, von denen sie selten genau wissen, was sie bedeuten. Aber die schlimmsten Sprüche kamen erst mal nicht von den Kindern. Sie kamen von ihren Trainern.

Einer brüllte: „Schiri, du schwule Sau.“ Karsten B. ist noch heute fassungslos. „Ich war zutiefst schockiert. Da stehen erwachsene Menschen, die Vorbilder sein sollten, und brüllen einen 16-Jährigen so an.“ Er schickte den Trainer aus dem Innenraum und schrieb einen Bericht. Mehr konnte er nicht tun. Ob und wie der Coach bestraft wurde, weiß er nicht.

Und dann kam jenes Spiel, das die tiefsten Wunden riss. Ein B-Jugend-Spiel, Karsten Biel war schnell aufgestiegen. Plötzlich beleidigte ihn ein Spieler auf übelste Weise. Karsten Biel hat die Details verdrängt, eine Schutzmaßnahme. Der Spruch war so schwulenfeindlich, dass selbst gegnerische Spieler Biel in Schutz nahmen. Und draußen stand der Trainer des Spielers, der Biel beleidigt hatte, und hörte zu. Er sagte nichts.

"Ist es nicht besser, aufzuhören?"

Das Bild des regungslosen, schweigenden Trainers, das war der schmerzhafteste von allen Schlägen in die Magengrube. „Dass er nichts gesagt hat, war ganz schlimm. Damit hatte ich gar keinen Schutz.“ Der Spieler flog vom Platz, sein Verein erhielt eine Geldstrafe.

Und in der Kabine saß Karsten Biel, „total zittrig, total neben der Spur, ganz allein“. Er hatte noch nicht mal zwei Dutzend Spiele gepfiffen. Erst nach einer halben Stunde schaffte es der 17-Jährige, den Spielbericht auszufüllen. Monatelang beherrschte ihn dann der Gedanke: „Ist es nicht besser, aufzuhören?“ Er hatte keine Antwort.

Biel suchte Hilfe beim Verband

Aber er wollte dieses Versteckspiel nicht mehr, er wollte sich outen. Karsten Biel wusste, dass der Berliner Verband einen anonymen Briefkasten für Leute wie ihn eingerichtet hat. Der Verband leitete ihn an den Schwulen- und Lesbenverband in Deutschland (LSVD) weiter. Der riet ihm: Wende dich an eine Vertrauensperson im Verein. Karsten Biel kannte den Vorsitzenden seines Vereins ganz gut. Und den Fußball-Abteilungsleiter auch. Beiden schrieb er eine Mail. „Ich bin homosexuell, möchte dies öffentlich machen und hoffe, dass ich Unterstützung erhalte, wenn es Feindseligkeiten geben sollte.“ Unterschrift: sein Name.

Und? Wie war die Reaktion? „Es gab keine. Von keinem der beiden.“

Ein Hilferufender prallt an eine Wand des Schweigens. „Das hat mich zutiefst getroffen. Da sind Funktionäre, Vertrauenspersonen, von denen man Hilfe erhofft.“ Kurze Zeit später verließ er verbittert den Verein. Kein Coming-out. Biel zog sich wieder tief in sich selbst zurück.

Aber er hörte nicht auf zu pfeifen. Er genoss es durchaus, dass 22 Spieler auf ihn hören mussten. Und inzwischen stellt er zufrieden fest, dass sein Selbstbewusstsein gewachsen ist, weil er es schafft, auf dem Platz bei diesen  Sprüche wegzuhören. Aber nur auf dem Platz. Zwei Jahre hat er dazu gebraucht.

"Schwul ist für mich ja keine Beleidigung"

Mit versteckter Freude zeigte er einem erwachsenen Spieler die Rote Karte, der ihm „schwule Sau“ zugebrüllt hatte. „Für die Sau fliegst du“, erwiderte Karsten Biel. Das „schwul“ nahm er hin. „Schwul ist für mich ja keine Beleidigung, also kann ich den Begriff auch nicht bestrafen.“ Zudem war er ja nicht persönlich gemeint, es wusste ja keiner, dass er homosexuell ist.

Der Schutzpanzer Anonymität hält andere auf Distanz, aber ihn gleichzeitig auch. Er rückt in die Außenseiterposition. Das Sportheim seines Vereins hat er noch nie betreten. Keine einzige Klubfeier hat er mitgemacht, die Atmosphäre des Klubs hält ihn auf Abstand. Er hatte gehört, wie ein Vorstandsmitglied über die eigene Herrenmannschaft gespottet hatte: „Wenn man so schwul spielt, kann man ja nicht gewinnen.“ Da kamen die Schmerzen in der Magengrube wieder.

Es war nur der dämliche Satz eines Funktionärs, aber er treibt Karsten Biel auf Abstand zum Verein. Er will dort niemanden kennenlernen. Kann ja sein, dass andere auch so denken und reden.

Vielleicht denken sie aber auch nicht so. Er vergibt doch die Chance, Leute zu treffen, die auf seiner Linie sind. Denen er vertrauen kann? Ja, sagt Karsten Biel, aber das Misstrauen ist größer. „Ich habe Angst, dass sie sagen könnten, sie wollen mich nicht im Verein haben. Dann bin ich wieder allein. Bei meinem früheren Verein war das ja auch so. Natürlich ist das belastend, aber ich kann nicht anders.“

Biel spürt wieder, dass er das Versteckspielen beenden will

Karsten Biel wird seinen Verein bald verlassen. Er hat einen Klub kennengelernt, bei dem er eine andere Atmosphäre spürt. Die Menschen dort, glaubt der 20-Jährige, haben keine Probleme mit Leuten wie ihm. Diese Atmosphäre hat wieder eine andere Entwicklung eingeleitet. Karsten Biel spürt wieder, dass er das Versteckspielen beenden will. Er ist auf dem Weg zum Coming-out. Hitzlspergers Auftritt gab einen Schub.

Nur einen Zeitplan gibt es noch nicht. Denn natürlich schwingen auch Ängste mit. Wie reagieren die Spieler? Wie reagieren die Schiedsrichterkollegen? Will noch jemand mit ihm ein Spiel leiten? Er kennt andere schwule Schiedsrichter, aber sie reden nur über Sport. Hast du dich geoutet? Wenn ja, wie waren die Reaktionen? Solche Gespräche, sagt Karsten Biel, führe er nicht.

Also blickt er zu einer anderen Gruppe. „Ein gehörloser Schiedsrichter wird von Spielern und Trainern respektiert.“ Ein Bild, an das sich Karsten Biel fast flehentlich klammert. „Wenn die Trainer und Spieler auch bei schwulen Schiedsrichtern so reagieren würden“, sagt er, „wären wir erheblich weiter.“

Frank Bachner

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