Homosexualität im Berliner Amateurfußball: "Niemand hat sein Outing bereut"
Viele schwule Amateurfußballer haben den gleichen Leidensdruck wie Thomas Hitzlsperger. In Berlin erhalten Betroffene Hilfe beim Schritt an ihre kleine Öffentlichkeit – über ein anonymes Postfach und ein Projekt des Lesben- und Schwulenverbands.
Torsten Siebert muss ein paar Sekunden überlegen. „20 Anfragen erhalte ich pro Jahr“, sagt er dann. 20 homosexuelle Hobbyfußballer aus Berlin melden sich jedes Jahr bei ihm, 20 Sportler, die sich outen wollen und nicht wissen wie. Siebert hilft ihnen, er ist Projektleiter „soccer sound“ des Berliner Büros des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD). Jetzt sitzt er im Konferenzraum seines Büros, zwei Meter neben einem Plakat mit lachenden Männern, Frauen und Kindern. „Regenbogenfamilie“ steht unter dem Foto, es sind Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern.
Seit dem Outing des früheren Fußball- Nationalspielers Thomas Hitzlsperger ist Siebert jetzt gefragt. Es wird jetzt viel diskutiert über den Leidensdruck im Profifußball. Aber Siebert kennt auch den der schwulen Amateure, die ihre sexuelle Orientierung verbergen und verzweifelt versuchen, sich unauffällig ihrem Vereinsleben anzupassen. Und die ihre Leidenszeit beenden wollen. Für Betroffene hat der Berliner Fußballverband (BFV) ein anonymes Postfach auf seiner Homepage eingerichtet. Es soll ein Anfang sein, ein Zeichen.
„Wir wollten nicht bloß Erklärungen unterschreiben“, sagt Gerd Liesegang, der BFV-Vizepräsident. „Wir wollen helfen.“ Das Postfach existiert seit Anfang 2011, es ist die Reaktion auf schwule Fußballer, die den Fußballverband 2010 anonym um Hilfe gebeten hatten. Der bat seinerseits den Lesben- und Schwulenverband um Unterstützung. Die Postfach- Nachrichten werden an Siebert weitergeleitet, anonym natürlich. Der jüngste Betroffene war 16 Jahre alt, der bislang älteste 41. Im Oktober 2013 lief sein Hilferuf ein.
Die häufigste Frage an Siebert lautet: Wie kann ich mich am besten outen? Wie gehe ich mit meiner Mannschaft um? Sieberts Antwort lautet im Prinzip immer gleich: Suchen Sie sich eine Vertrauensperson – einen Mitspieler, den Kapitän oder Trainer, egal wen. Weihen Sie diesen Menschen ein. Dann der nächste Schritt: das Outing vor dem Team. „Dann hat man zumindest eine oder mehrere Personen, die einen dabei unterstützen.“
„Ich hatte nur positive Rückmeldungen“
Möglich, dass es jetzt, nach dem Schritt Hitzlspergers, mehr Anfragen bei Siebert gibt. Vielleicht trauen sich Betroffene sogar ohne seine Hilfe an die Öffentlichkeit. Gerd Liesegang, der BFV-Vizepräsident, „hofft, dass es einen Schub geben wird“.
Siebert kann sich denken, wie erleichtert viele Betroffene nach ihrem Schritt sind. Mitunter hört er das von den Betroffenen sogar. „Ich hatte nur positive Rückmeldungen“, sagt der 39-Jährige. Niemand habe sein Outing bereut, jedenfalls kenne er keinen Fall. Auch die Teamkollegen des 41-jährigen Alt-Herren-Fußballers sind nun informiert. Siebert hat es von ihm erfahren. Und? „Alles lief gut.“
Manchmal erfährt der Projektleiter die Dankbarkeit freilich erst auf Umwegen. Zweimal hatte er auf Facebook Freundschaftsanfragen von Unbekannten. Die fragte er erst einmal misstrauisch: „Wer bist Du eigentlich?“ Die Antwort: „Ein Schwuler, dem Du beim Outing geholfen hast.“