Modernes Arbeitsleben: "Schickt mich nicht nach Hause!"
Das Homeoffice wird zum Panikraum. Am Ende des Tages überkommt dich der Horror vor dem Scheitern und Versagen. Eine Polemik.
Na klar, erst denkst du, sie wollten dir was Gutes tun. Homeoffice: Das klingt, als solltest du es leicht und angenehm haben. Sie bieten dir die Freiheit des Autors bei festen Bezügen.
Homeoffice – das ist Arbeit, Freizeit und Freiheit in einem. Der Weg ins Büro? Bloß ein paar Meter statt, wie sonst, 24 Kilometer in der Kolonne der Genervten, die durch Schlaglöcher holpern, vorbei an Baustellen, die es schon immer gab. Die Arbeitskluft? Jogginghose, die von gestern, mit den Kaffeeflecken. Die Arbeitsatmosphäre? Selbstbestimmt. Der Tag beginnt mit einem Anderthalb-Stunden-Techno-Track, langsam hochkommen auf Betriebstemperatur. Soziale Kontrolle? Interessiert dich nicht.
Die heimische Wirklichkeit ist voller Fallen
Aber so ist es nicht. Je freier der Beruf, je weniger formalisiert die Arbeit, je stärker der Druck, kreativ zu sein, desto gefährlicher wird es im Homeoffice. Wie viele Steuererklärungen man pro Tag bearbeiten kann, lässt sich beziffern. Mathearbeiten kann man schematisch korrigieren. Doch wer schreibt, wer Häuser entwirft oder Mode, der merkt bald: Die heimische Wirklichkeit ist voller Fallen und Gefahren.
So groß wie die Freiheit ist die Freiheit zum Kontrollverlust. Wenn alles fehlt, was das Office zum Office macht, sprich: zu einem Raum mit Regeln, Konventionen und eingeübten Arbeitsabläufen, zu einem Raum der Mehr-oder-weniger-Profis, dann brauchst du ein sehr diszipliniertes und entscheidungsfreudiges Über-Ich. Sonst ist dein Homeoffice bald ein Panikraum, in dem dich am Ende des Tages der Horror vor dem Scheitern und Versagen überkommt.
Jetzt hast du Hunger. Und brauchst einen Kaffee, musst dazu einkaufen
Du bist immer noch nicht auf Betriebstemperatur? Du musst dir Ideen und Gedanken ergehen. Also raus aus der selbstbestimmten Arbeitsatmosphäre, ab in den Park oder in den Wald – schließlich bist du die ganze Zeit telefonisch erreichbar. Eine Stunde später ist dein Kopf frei, du hattest ein paar Gedanken – jetzt hast du Hunger. Und brauchst einen Kaffee. Dazu musst du einkaufen, Waschmittel für die heruntergekommene Jogginghose fehlt auch …
Aber wenn du Kinder hast – dann ist das Homeoffice doch das Richtige? Von wegen. Du wirst zum Multitasker und Manager in eigener Sache. Kaum hast du angefangen, ist es Nachmittag, die Tochter oder der Sohn ist von der Kita abzuholen und will jetzt noch zu Paula oder Anton oder auf den Spielplatz. Die Schulkinder haben Mathe nicht verstanden oder müssen Spanischvokabeln abgefragt werden. Und du? Kannst deine Arbeit auch noch heute Abend machen. Wenn du Ruhe hast.
Dann lieber lange Wege. Du kannst Inforadio hören oder Musik, du kannst auf dem Fahrrad deinen Kreislauf in Schwung bringen. Im Büro kümmern sich Techniker um deinen Rechner, wenn er nicht läuft. Du triffst deine Lieblingskollegen, mit denen du über die Arbeit reden und über das streiten kannst, was Theresa May antreibt, über Bücher, die man lesen muss, und über Filme, die man nicht zu sehen braucht. Daraus entsteht die optimale Arbeitsatmosphäre. Geh bloß nicht ins Homeoffice – du bist doch noch gesellschaftsfähig!