SPD-Ausschlussverfahren: Sarrazin sucht das offene Gefecht
Der Ex-Senator und umstrittene Buchautor Thilo Sarrazin wünscht sich ein Parteiausschlussverfahren in der Öffentlichkeit – und düpiert damit die SPD.
Der Buchautor und Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin macht es seiner Partei, die ihn loswerden will, nicht leicht. Er will das Parteiordnungsverfahren, das der SPD-Parteivorstand Ende 2018 gestartet hat, möglichst in der breiten Öffentlichkeit ausfechten. Sein Anwalt Andreas Köhler, Sozialdemokrat und bis 2011 Mitglied des Abgeordnetenhauses, habe beantragt, bei der Verhandlung vor dem Kreisschiedsgericht der SPD Charlottenburg-Wilmersdorf die „Öffentlichkeit des Verfahrens“ herzustellen, sagte Sarrazin dem Tagesspiegel. Das wäre pikant.
Normalerweise werden Parteiordnungsverfahren diskret behandelt. Unterlagen und Protokolle gelten als vertraulich. Allerdings erlaubt es die Schiedsordnung der SPD, dass nicht nur Parteimitglieder, sondern auch Nichtmitglieder als „Zuhörende“ an der mündlichen Verhandlung teilnehmen dürfen. Jedenfalls dann, wenn die Schiedskommission dies zulässt und der vom Ordnungsverfahren betroffene Antragsgegner nicht widerspricht. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, „wenn es das Parteiinteresse oder das Interesse der Beteiligten gebietet“. Der SPD-Kreischef in Charlottenburg-Wilmersdorf, Christian Gaebler, äußerte sich am Donnerstag dazu nicht.
Partei reizt vorgeschriebene Frist aus
Die SPD-Gremien, die gegen den ungeliebten Genossen vorgehen, setzen dagegen auf Diskretion und Zeit. Ende 2018 hatte der Parteivorstand ein Ordnungsverfahren gegen Sarrazin eingeleitet. Die erstinstanzliche Verhandlung vor dem Kreisschiedsgericht soll aber erst in der letzten Juniwoche dieses Jahres stattfinden, wie Sarrazin bestätigte. Damit reizt die Partei die vorgeschriebene Frist voll aus.
Laut Schiedsordnung der SPD dürfen zwischen dem Beginn des Parteiordnungsverfahrens und der mündlichen Verhandlung nicht mehr als sechs Monate liegen. Sarrazin mutmaßt, dass der Termin mit Absicht erst nach der Europawahl und der Wahl zur Bremer Bürgerschaft stattfinden soll. Der Verfasser umstrittener Bücher zum Islam in Deutschland und Europa hätte gegen zusätzliche Publizität natürlich nichts einzuwenden.
SPD will Definition der Parteischädigung erweitern
Anlass des Verfahrens, das auf den Ausschluss Sarrazins aus der SPD abzielt, ist sein Buch „Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“. Es erschien im August 2018 und wurde auf Empfehlung einer internen Untersuchungskommission vom SPD-Bundesvorstand als parteischädigend eingestuft. Sarrazin propagiere Thesen, die mit sozialdemokratischen Grundsätzen unvereinbar seien.
Mitte Januar wurde dem Ex-Finanzsenator die Einleitung des Ordnungsverfahrens durch den SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil schriftlich mitgeteilt. Sarrazins Anwalt beantragte daraufhin die Zurückweisung des Antrags und erbat Akteneinsicht. „Mir wurde inzwischen ein langer Schriftsatz zugestellt, auf den ich vor der mündlichen Verhandlung ausführlich antworten werde“, kündigte Sarrazin an. Schon 2011 war ein Ausschlussverfahren gegen ihn gescheitert – und er hält auch den neuen Versuch für aussichtslos.
Sollte der Betroffene durch alle Instanzen gehen – Partei- und ordentliche Gerichte – könnte das mehrere Jahre dauern. Offenbar will die SPD die Zeit nutzen, um mit einer Änderung des Parteistatuts den Rauswurf Sarrazins zu erleichtern. Auf dem Landesparteitag Ende März soll eine erweiterte Definition der Parteischädigung beschlossen werden: „Ein schwerer Schaden entsteht insbesondere dadurch, dass öffentlich … Menschen ihre Gleichwertigkeit … abgesprochen wird“. Das sei doch, bezogen auf seine Publikationen, „eine schwachsinnige Behauptung“, sagt Sarrazin. Er habe niemals die Gleichwertigkeit der Menschen in Zweifel gezogen.