Jugendwort des Jahres: Sagt man das jetzt so?
Langenscheidt sucht den Superstar - unter den Jugendwörtern. In der diesjährigen Wahl stehen die Top 30 bereits fest. Kreativ und unterhaltsam sind die Wortschöpfungen ohne Frage. Doch sind sie wirklich ein Spiegel der Jugendsprache? Fünf Favoriten im Realitätscheck.
„Swaggetarier“, „merkeln“ oder vielleicht „Tinderella“? In der Wahl des Jugendwortes 2015 hat der Langenscheidt Verlag bereits die nächste Runde eröffnet. Nachdem die Jury unter den eingesendeten Vorschlägen 30 Favoriten gekürt hatte, wird nun das Gewinnerwort gesucht. Noch bis zum 31. Oktober kann jeder, egal welchen Alters, auf jugendwort.de an der Abstimmung teilnehmen.
So alt wie die Wahl des Jungendwortes ist auch die Frage, ob die angeblichen Jugendwörter wirklich benutzt werden und kennzeichnend für die Jugendsprache sind. Eingesendet wurden die Vorschläge nur von wenigen Jugendlichen. Die Online-Abstimmung sagt außerdem nichts über den Verbreitungsgrad der Wörter aus, sondern spiegelt eher die Begeisterung für kreative Sprache wieder. Hören wir uns also mal um.
„Swaggetarier“
Der erste Begriff auf der Liste ist der „Swaggetarier“ – eine Ableitung aus den Wörtern „Swag“ und Vegetarier. „Swag“, Jugendwort des Jahres 2011, steht für eine beneidenswerte, lässige und coole Ausstrahlung. Die hofft der Swaggetarier durch Fleischverzicht zu gewinnen. Er lebt somit nur aus Imagegründen vegetarisch und ist vermutlich dem Hype um healthy Lifestyle, Fitness, Smoothies und was sonst noch dazugehört verfallen. Schaut man sich die ganzen Facebook-Communities zu den Themen an, scheint er kein Einzelgänger zu sein. Der „Swaggetarier“ wäre massentauglich, aber spricht man deswegen auch von ihm? Umgeben von Tabletts mit Buletten, die sich „Gemüse-Bratlinge“ nennen, höre ich mich mal in der Unimensa um. Hier ist der Swaggetarier zwar als Phänomen bekannt und sorgt für Unterhaltung, den Begriff haben die Studenten aber noch nie gehört.
„Discopumper“
Im Fitnessstudio gehört „pumpen“ definitiv zum Fachjargon, deshalb probiere ich es hier mal mit dem „Discopumper“. Während Nicki Minaj im Hintergrund trällert, entdecke ich einen durchtrainierten Typ, der seine Muskeln vorm Spiegel bewundert. Den frage ich, ob er sich selbst als Discopumper bezeichnen würde, mal ehrlich. „Hä, was willst du?“, antwortet er irritiert. „Das ist jemand, der nur trainiert, um im Club gut auszusehen“, sage ich schmunzelnd. Da er das offensichtlich nicht so witzig findet und ihm der Begriff unbekannt ist, beende ich das Gespräch lieber. Im Studio wird kräftig weitergepumpt. An diesem Abend kann ich dennoch keinen bekennenden „Discopumper“ finden.
„Tinderella“
Weiter geht‘s mit „Tinderella“, eine weibliche Person, die exzessiv Online-Dating-Plattformen wie zum Beispiel Tinder nutzt. Sie ist nicht zu verwechseln mit Cinderella, der englischen Version von Aschenputtel. Eines haben beide aber gemeinsam: Sie verstehen es, Männern den Kopf zu verdrehen. Im Gegensatz zu Cinderella reicht der „Tinderella“ ein einziger Prinz aber nicht – oder sie hat ihn auf Tinder einfach noch nicht gefunden.
„Das soll ein Jugendwort sein?“, fragt mich eine Freundin, mit der ich in der Schlange vorm Club anstehe. „Ist zumindest nominiert“, antworte ich. In der Schlange ist gute Stimmung. „Ey das werd ich auf jeden Fall einführen“, sagt ein schlaksiger Typ mit Bierflasche, als wir ihn auf das Wort ansprechen. Bekannt ist „Tinderella“ hier noch nicht, kann es aber offensichtlich noch werden.
„Merkeln“
Mit dem nächsten Kandidaten wende ich mich an eine Schülergruppe der „Generation Merkel“. „Merkeln“ bedeutet Nichtstun, keine Entscheidungen treffen, keine Äußerungen von sich geben. Die Kritik am politischen Vorgehen der Kanzlerin hat ein eigenes Wort gefunden. Eine Schülerin bezeugt, „merkeln“ schon mal gelesen zu haben, und findet das Wort sehr gelungen. Sie streicht ihre blonden Haare zurück und sagt nachdenklich: „Aber bis in den Medien über die Jugendwörter berichtet wurde, habe ich „merkeln“ noch nie gehört. Wenn da viel auf etwas aufmerksam gemacht wird, dann kann sich das aber schon irgendwann einprägen.“ Auf der Chartliste der derzeitigen Jugendwörter steht das Wort schon mal auf Platz Eins. „Merkeln“ ist ein heißer Kandidat auf den Titel.
„Alpha-Kevin“
Einen haben wir noch – obwohl er eigentlich nicht mehr zu den Favoriten der diesjährigen Wahl zählt. Aufgrund möglicher Diskriminierung wurde der Begriff „Alpha-Kevin“ nämlich bereits disqualifiziert, wofür die Kevins dieser Welt sicher dankbar sind. Die Bezeichnung steht für den „Dümmsten von allen“ und hat im Kontext der Wahl bereits mehr Aufsehen erregt als die Wahl selbst. Das bestätigt auch die Schülergruppe. Alpha-Kevin ist hier geläufig und wird schon mal als Schimpfwort benutzt, sagen die Jugendlichen.
Noch 1991 führte Kevin die Hitparaden männlicher Vornamen an und erfreute sich aufgrund populärer Filme wie „Kevin allein zu Haus“ großer Beliebtheit. Die Begeisterung ist in den vergangenen Jahren aber gewaltig umgeschlagen. Einen Beitrag dazu hat aber auch die im Netz verbreitete Definition von „Kevinismus“ geleistet, bezeichnend für eine „Störung, menschlichem Nachwuchs sozialverträgliche Namen zu geben.“ Kevin hat die Leinwand nicht verlassen, er tritt aber eher als Anführer der tollpatschigen Minions auf – als Alpha-Kevin.
Fazit: Was nicht ist, kann ja noch werden
Ausgerechnet der disqualifizierte „Alpha-Kevin“ hätte also das Zeug gehabt, als Jugendwort aus der Mitte der jungen Gesellschaft die ihm gebührende Würde zu erlangen. Zwar schneiden die übrigen Wörter in Hinblick auf die Kreativität und den Unterhaltungswert ebenso gut ab, als Spiegel der Jugendsprache kann man sie deswegen aber noch lange nicht bezeichnen, denn dafür sind sie noch zu wenig verbreitet.
Doch ausgereiftes Marketing und die Medien werden auch wieder als Promoter mitmischen: Vor allem Hip-Hop-Größen machten Wörter wie „Läuft bei dir“, „YOLO“ und „Gönn dir“ zu Gewinnern der vergangenen Jahre. Wenn also diesmal das ganze „Gemerkel“ in den aktuellen Nachrichten beim (Jugend)Namen genannt wird, hätten wir jetzt schon einen klaren Gewinner.
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Lena Leisten
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