Spitznamen in Berlin: Sagt hier irgendjemand Telespargel?
Bierpinsel, Wasserklops, Waschmaschine - und jetzt auch noch "Max und Moritz". Andreas Conrad wundert sich über den Versuch, Berlin etwas in den Mund zu legen.
Mach dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino – demnächst auch wieder ins Bikino. Das kennen Sie nicht? Aber diese drei Silben gehörten doch zum Sieger-Trio im Namenswettbewerb, der 1957 vor der Eröffnung des neuen Lichtspieltheaters am Zoo veranstaltet wurde. Bikino sollte demnach das gesamte Haus mit seinen zwei Sälen heißen, Zoo-Palast nur der große, Atelier am Zoo der kleine Saal. Der Berliner Witz war herausgefordert worden, er kreiste und gebar neben den Siegernamen auch Ungetüme wie Klappstulle, Zwo am Zoo, Bambi und Bambino oder Großer Bär – Kleiner Bär. Sie alle haben sich nicht durchgesetzt, das prämierte Bikino aber auch nicht – ein Musterbeispiel für die Vergeblichkeit, der Berliner Schnauze etwas in den Mund legen zu wollen.
Vielleicht hätte sich ja der ebenfalls vorgeschlagene Doppelname Max und Moritz durchgesetzt, wäre er nur gekürt worden, aber so versank auch er im Dunkel der Geschichte, jedenfalls bezogen auf die Kinolandschaft. Das nach Wilhelm Buschs Lausebuben benannte Kreuzberger Lokal gibt es dagegen schon viel länger.
Kann gut sein, dass auch der aktuelle Versuch einer Namensgebung für das Hochhaus-Doppel an der O2 World sang- und klanglos versandet. Max und Moritz aus Beton? Nich’ naheliegend. Es wäre auch nicht das erste Mal in Berlin, dass solche vermeintlich volkstümlichen Wortschöpfungen dem Volk dann schnurzpiepegal waren. Wer sagt schon Waschmaschine zum Kanzleramt, obwohl eine gewisse Ähnlichkeit nicht ganz zu leugnen ist? Lippenstift und Puderdose? Kein Berliner, der auf sich hält, nähme dies in den Mund, wenn es ihm um die neue Gedächtniskirche geht. Telespargel, Langer Lulatsch? Die Reiseführer versuchen dies den Touristen als inoffizielle Namen für Fernseh- und Funkturm einzureden. Aber ob ihnen das wirklich irgendjemand glaubt?
Immerhin, es gab Erichs Lampenladen, den Palast der Republik, mit seinen mehr als 1000 Kugellampen im Foyer – eine sprachgewordene Respektlosigkeit gegenüber der Macht, die selbst sich dergleichen nie ausgedacht hätte, ein authentisches Zeugnis des Berliner Witzes also, kein konstruierter Jux. Selbstironie spricht auch aus der Hungerharke, obwohl das Luftbrückendenkmal doch eher gebraucht wird. In Goldelse schwingt fast so etwas wie eine recht despektierliche Zärtlichkeit mit. Bierpinsel für das seltsame Bauwerk in der Schloßstraße, Raumschiff Orion fürs ICC, Schwangere Auster für die Kongresshalle, Wasserklops für den Brunnen am Europa-Center – die Entstehung solcher Spitznamen ist kaum noch zu rekonstruieren. Und es ist tendenziell rätselhaft, warum gerade sie sich mehr oder weniger durchgesetzt haben und halbwegs glaubhaft als Beispiele für hiesigen Sprachwitz durchgehen können. In eine andere Kategorie fällt der Steglitzer Kreisel: Eine lange abgehakte Verkehrsplanung leuchtet hier der Ferne.
Andreas Conrad