Personalmangel beim Naturschutz: Sachverständige rügen grün geführte Berliner Umweltverwaltung
Ein Beirat kritisiert die Senatsverwaltung deutlich. Die Ausweisung von Naturschutzgebieten dauert ihm zu lange. Der Personalmangel wird bald noch dramatischer.
In ungewöhnlich deutlicher Form hat der unabhängige Sachverständigenbeirat für Naturschutz und Landschaftspflege die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Landschaftsschutz kritisiert. Anlass ist die verzögerte Ausweisung des Vogelschutzreservats am Flughafensee in Tegel als Naturschutzgebiet.
Für den Beirat sei „offensichtlich, dass die gewollten und notwendigen Ziele der Schutzgebietsausweisungen nicht in absehbarer Zeit erreichbar sind“, teilte Ingo Kowarik, der Vorsitzende des Beirats, mit. „Der Beirat ist in großer Sorge darüber, dass in den vergangenen Jahren versäumt wurde, die notwendigen Personalkapazitäten im zuständigen Referat der Senatsverwaltung bereitzustellen, um die vorgesehenen neuen Schutzgebiete auch tatsächlich ausweisen zu können.“
Kowarik, Stadtplaner an der TU Berlin, sagte dem Tagesspiegel: „In dieser Form haben wir die Senats-Umweltverwaltung noch nie kritisiert. Wir wollen ihr jetzt einen Spiegel vorhalten und zeigen, dass nichts passiert.“ Die Politik wolle Naturschutz, „aber man schafft dafür nicht die Voraussetzungen“.
Die Kritik ist deshalb bemerkenswert, weil der Beirat die Aufgabe hat, die Senatsumweltverwaltung, die von der Grünen-Politikerin Regine Günther geführt wird, zu beraten. In dem Gremium sitzen Experten aus verschiedenen Fachbereichen, zum Beispiel Botanik, Zoologie, Hydrologie oder Gewässerschutz.
Personalmangel verhindert schnelle Umwidmung zum Naturschutzgebiet
Nach Kowariks Angaben arbeiten derzeit in der Obersten Naturschutzbehörde nur zwei Personen in dem Referat, das für die Ausweisung von Naturschutzgebieten zuständig ist. „Und eine Mitarbeiterin geht spätestens in 18 Monaten in Rente und wird nach jetzigem Stand nicht ersetzt“, sagte der Beirats-Vorsitzende. Die Mitarbeiterin sei ohnehin aus einer anderen Senatsverwaltung, aus dem dortigen Überhang, in das Referat abgestellt worden.
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Jan Thomsen, Sprecher der Senatsumweltverwaltung, bestätigte die Personalsituation in dem betreffenden Referat. Mit "personellen Engpässen" begründete er unter anderem auch, dass "das eigentliche Unterschutzstellungsverfahren noch nicht begonnen" habe. Dieses Verfahren dauert zwei bis drei Jahre. Allerdings hätten auch umfangreiche, zeitaufwendige naturschutzrechtliche Belange geprüft werden müssen.
Zudem betrachte die Senatsumweltverwaltung die Fläche "auch nicht solitär, sondern zusammen mit benachbarten Flächen, die als Landschaftsschutzgebiet und Pufferzone der „Tegeler Stadtheide“ angegliedert werden sollen", sagte Thomsen. Ziel sei es, für alle Flächen ein einheitliches Verfahren anzustreben. Wann das Verfahren abgeschlossen sein wird, konnte Thomsen nicht sagen.
Vogelschutz am Flughafensee: "Jeder will das Projekt, aber nichts passiert"
Das Vogelschutzreservat wird seit 37 Jahren vom Naturschutzbund Berlin (Nabu) ehrenamtlich betreut und soll schon seit einigen Jahren unter Schutz gestellt werden. Der Nabu hat inzwischen eine digitale Petition gestartet, um die Umwidmung zu beschleunigen.
In einem nahezu einstimmigen Beschluss (16 Ja-Stimmen, eine Enthaltung) hat der Sachverständigenbeirat die Forderung nach einer Umwidmung zum Naturschutzgebiet ausdrücklich unterstützt. „Jeder will das Projekt, aber nichts passiert, und es ist auch absehbar, dass in absehbarer Zeit auch nichts passieren wird", sagte Kowarik. Dabei ist für den Stadtplaner gerade dieses wertvolle Biotop, in dem sehr seltene Vögel brüten, ein „Vorzeigeprojekt“. Hier seien alle Aspekte berücksichtigt, sowohl der Wohnungsbau als auch der Naturschutz.
"Die Ausweisung des Areals als Naturschutzgebiet wird bereits seit 2009 vorbereitet und steht insofern fest", teilte Verwaltungssprecher Thomsen dazu mit.
Nur fünf von 16 geplanten Naturschutzgebieten verwirklicht
Aber nicht nur beim Vogelreservat gibt es Verzögerungen. Im Landschafts- und Artenschutzprogramm von 2016 sind 16 Gebiete aufgeführt, die unter Naturschutz gestellt werden sollen. Bisher sind davon nur fünf verwirklicht worden.
In elf Fällen fand noch keine Umwidmung statt, dazu zählen die Tiefwerder Wiesen (Spandau), die Wuhlheide und Östliche Berliner Spreetalniederung (Treptow-Köpenick) oder auch die Nördliche Wuhle (Marzahn-Hellersdorf). Wann sie als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden, ist völlig unklar.
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Der Sachverständigenbeirat fordert deshalb von der Senats-Umweltverwaltung „unverzüglich wenigstens zwei zusätzliche Stellen zur Bearbeitung von Schutzgebietsausweisungen und die spätestens in 1,5 Jahren wegfallende Stelle erneut zu besetzen“.
Deutlicher Gegensatz zu Verpflichtungen der Politik
Die geringe Personalausstattung steht nach Einschätzung des Beirats „im deutlichen Gegensatz zum ,Handlungsprogramm Berliner Stadtgrün 2030’". In dem hätten sich Senat, Bezirke und Abgeordnetenhaus dazu verpflichtet, „eine Task Force für die beschleunigte Ausweisung der geplanten Schutzgebiete mit der Zielperspektive 2030 einzurichten“. Für Kowarik stellt erst die Ausweisung eines wertvollen Biotops zum Naturschutzgebiet ein entscheidender Schritt dar. „Wenn das mal passiert ist, sind die Hürden, den Schutz wieder aufzuheben, doch sehr hoch.“
Immerhin macht Thomsen dem Beiratsvorsitzenden zumindest theoretisch Hoffnungen. Die Senatsumweltverwaltung plane "den Bereich der Unterschutzstellungsverfahren zu beschleunigen und hierfür den erforderlichen Personalkörper auf insgesamt vier Stellen zu verstärken". Entsprechende Anmeldungen seien für den kommenden Doppelhaushalt vorgesehen. Doch ob diese Stellen tatsächlich kommen, vor allem vor dem Hintergrund der Neuverschuldung wegen Corona, ist eine ganz andere Frage.