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Portalpraxen sollen die Notaufnahmen entlasten.
© Sven Hoppe/dpa

Überlastete Krankenhäuser in Berlin: Retten Portalpraxen die Notaufnahmen?

Patienten überlaufen am Wochenende die Notaufnahmen. Die Lösung könnten Portalpraxen sein. Wie im Jüdischen Krankenhaus in Wedding.

Ja, Brit Ismer ist am Freitag eine unaufgeregte Freude anzusehen – und zwar nicht, weil die Sonne auch über dem Jüdischen Krankenhaus in Wedding scheint, dessen Chefin Ismer ist. Sondern weil Ismer die örtliche Portalpraxis vorstellen konnte. Seit Ostermontag gibt es am Eingang der Rettungsstelle des Jüdischen Krankenhauses eine Praxis, also einen Mediziner, der am „Portal“ arbeitet – dabei allerdings nicht im Krankenhaus angestellt ist, sondern als niedergelassener Arzt auf sozusagen fremden Territorium tätig wird. Eine Praxis in der Klinik – ist das nicht, nun ja, doppelt gemoppelt?

Gesundheitspolitiker und Krankenhausleiter hatten solche Einsätze niedergelassener Ärzte, die eigentlich Selbstständige sind, in Kliniken gefordert. Hintergrund ist folgende, zunehmend fragwürdige Regel: Die Krankenkassen bezahlen die Kliniken für stationäre Fälle, die Praxen für ambulante Fälle. Die Kliniken bekommen von den Kassen zu wenig Geld, wenn dort ein Patient bloß ambulant behandelt wurde – denn er hätte, so die Lesart der Versicherungen, eine kostengünstigere Praxis aufsuchen können.50

Viele Patienten in der Notaufnahme sind keine Notfälle

Seit Jahren aber gehen immer mehr Patienten mit banalen Alltagsbeschwerden in die überlasteten Rettungsstellen. Ein Grund dafür ist, dass die Sprechzeiten der Praxen oft nicht zu den Gewohnheiten der Berliner passen. Dazu kommen Jüngere und Flüchtlinge, die keinen festen Hausarzt im Kiez haben.

In den Krankenhäusern arbeiten zudem Ärzte fast aller Disziplinen, was vielen Patienten praktisch erscheint. Und auch wenn man das im Gesundheitswesen ungern anspricht, eine gewisse Bequemlichkeit gibt es eben auch: Wer leichtes Unwohlsein verspürt, schaut in einer der 39 dauergeöffneten Rettungsstellen Berlins vorbei, statt sich um einen Termin beim Hausarzt zu bemühen. Einer früheren Einschätzung der Senatsgesundheitsverwaltung zufolge sind mindestens 50 Prozent der Patienten in den Rettungsstellen keine Notfälle.

Einige in den überlasteten Kliniken waren nicht gut auf die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zu sprechen: Der öffentlich-rechtlichen KV müssen alle rund 9.000 in Berlin niedergelassenen Mediziner angehören, die gesetzlich Versicherte versorgen. Und die KV hat somit formal das Monopol bei der ambulanten Versorgung, erreicht aber offenbar viele Patienten nicht. Durch die Portalpraxen sollen nun Notfälle leichter von den harmloseren Fällen getrennt werden.

Auch im Jüdischen Krankenhaus hat man festgestellt, dass die Hälfte der Männer und Frauen, die in die Notaufnahme kommen, in der neuen Praxis versorgt werden können. Doch wirklich banale Fälle seien, hieß es am Freitag, kaum dabei gewesen.

Die Portalpraxis hat geöffnet, wenn viele niedergelassene Ärzte geschlossen haben: Mittwoch, Freitag, an Wochenenden und Feiertagen. Man versuche, sagte KV-Vizechef Burkhard Ruppert, das Personal nicht dauernd wechseln zu lassen – also tatsächlich eine Art Praxis aufzubauen.

Fachleute fordern generell mehr Einsatz

Die erste Portalpraxis wurde 2016 am Unfallkrankenhaus Berlin (UKB) eröffnet. Darüber hinaus gibt es an zwölf Krankenhäusern sogenannte Notdienstpraxen, die aber von den Kliniken selbst betrieben werden: In diesen Praxen arbeiten Krankenhausärzte, also keine von der KV entsandten Kollegen. In den kommenden zwei Jahren will die KV selbst acht weitere Portalpraxen eröffnen.

Es gibt aber auch Kritiker. Wolfgang Albers ist Chirurg und als Linken-Politiker derzeit Chef des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus: Statt derartige Konstruktionen zwischen Kliniken und KV voranzutreiben, sollten die Krankenhäuser lieber ausreichend finanziert werden. Sie versorgten am Ende sowieso auch viele ambulante Patienten.

Nicht in der Debatte um die Portalpraxen, sondern mit Blick auf den 70. Weltgesundheitstag, der an diesem Samstag begangen wird, forderten allerlei Fachleute am Freitag generell mehr Einsatz. Die Bundesärztekammer möchte für Asylbewerber und Obdachlose einen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung. Der Berufsverband für Pflegeberufe DBfK erklärte, die Versorgung in Deutschland orientiere sich zu oft an ökonomischen Anreizen statt am Patientennutzen. Und die Berliner Selbsthilfekontaktstelle Sekis fragt: Wer alles in Berlin kennt eigentlich die Angebote zur Selbsthilfe?

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