Blitzerquote viel zu gering: Raser und Rotfahrer werden kaum erfasst
Raser und Rotfahrer haben in Berlin nicht viel zu befürchten, denn sie bleiben häufig unterm Radar. Der Grund: Die Blitzer funktionieren nicht.
Zehn stationäre Rotlicht-Blitzer hat Berlin im vergangenen Jahr an unfallträchtigen Kreuzungen installiert. Mitte 2019 funktionierte erst ein einziges dieser zusammen rund 1,2 Millionen Euro teuren Geräte, inzwischen sind es nach Auskunft der Polizei vier, die geeicht und aktiviert sind. Mehrere ältere Anlagen wiederum waren zeitweise abgeschaltet, weil das Landesamt für Mess- und Eichwesen ihre Nutzung untersagt hat. Dieses Problem besteht weiterhin am Innsbrucker Platz, weil das Bezirksamt dort laut Polizei erst noch die Haltelinie erneuern muss – wenn das Wetter passt. Seit 2018 und bis auf Weiteres blitzt die Säule dort keine Rotfahrer mehr.
Alles in allem funktionieren demnach etwa 15 von 26 Geräten. Und mehr als 99 Prozent der stadtweit etwa 2100 Ampeln werden gar nicht überwacht.
Von den 29 Tempo-Blitzern – von denen die meisten mit Rotlichtüberwachung kombiniert sind – haben im ersten Halbjahr 25 zumindest zeitweise funktioniert. Rechnerisch steht demnach alle 220 Straßenkilometer eine intakte stationäre Geschwindigkeitskontrolle. Zwei Blitzer sind langfristig außer Gefecht: Der von Vandalen beschädigte am Halleschen Ufer soll laut Polizei noch in diesem Jahr reaktiviert werden, der an der Oberlandstraße – den im März ein Lieferwagen umgefahren hatte – erst 2020.
Wie gering die Berliner Blitzerquote ist, zeigt ein Blick ins nahe Umland: Die Gemeinde Schönefeld mit ihren acht Ortsteilen betreibt nach Auskunft von Bürgermeister Udo Haase (parteilos) zwölf stationäre Blitzer, von denen einer auch Rotfahrer erfasst. Berlin hat also reichlich doppelt so viele feste Blitzer wie Schönefeld – bei 225-mal so vielen Einwohnern.
„Erziehung geht in diesem Fall nicht ohne Strafen“
In der Berliner Politik stößt die Ausfallquote auf Unverständnis: „Es kann doch nicht sein, dass wir Blitzer haben, die nicht funktionieren“, sagt SPD-Verkehrsexperte Tino Schopf. Sein CDU-Kollege Oliver Friederici sekundiert: „Wie kann es sein, dass Blitzer erst nach vielen Monaten in Betrieb genommen oder repariert werden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in anderen Städten auch so lange dauern würde.“
Dabei besteht parteiübergreifend Einigkeit, dass der Kontrolldruck erhöht werden muss: Im August hat das Abgeordnetenhaus einen Antrag für mehr stationäre und mobile Blitzer an Unfallschwerpunkten und vor sozialen Einrichtungen beschlossen.
„Gerade die Rotlichtverstöße nehmen ja sowohl objektiv als auch subjektiv zu“, sagt Friederici. Er hätte auch gern mehr Fahrradpolizisten und mehr als die bisher sechs Streifenwagen mit eingebauten Blitzern – für den Erziehungseffekt, damit niemand zu schnell an einem als solchen erkennbaren Polizeiwagen vorbeifährt. „Erziehung geht in diesem Fall nicht ohne Strafen“, sagt Friederici.
Siegfried Brockmann, der die Unfallforschung der Versicherer (UDV) leitet, bestätigt das: „Von den kombinierten Anlagen kann es aus meiner Sicht gar nicht genug geben.“ Nur durch permanenten Kontrolldruck gewöhne sich jeder daran, stets korrekt zu fahren. „Es geht dabei nicht um Wegelagerei, sondern um die Einhaltung von Gesetzen. Da kann von Abzocke gar keine Rede sein.“
Der FDP-Verkehrspolitiker Henner Schmidt sieht den größten Bedarf zur Druckerhöhung nicht gegenüber Rasern, sondern gegen illegales Halten und Parken etwa in zweiter Reihe und auf Radwegen. Gegen die vorhandenen Säulen und die beiden Blitzer-Anhänger, die die Polizei seit Januar jeweils für ein paar Stunden oder Tage an neuralgischen Stellen parkt, hat Schmidt aber nichts einzuwenden.
Die beiden Anhänger werden nun für zusammen 200 000 Euro gekauft, wobei die Miete für den im Januar begonnen Testbetrieb angerechnet wird. Nach Auskunft der Innenverwaltung sind im Entwurf des nächsten Doppelhaushalts jeweils zwei weitere Anhänger eingeplant. Außerdem werden demnächst stationäre Tempoblitzer im Tiergartentunnel und im Autobahntunnel am Flughafen Tegel installiert.
Fürs Land sind stationäre Blitzer lukrativ, sofern sie funktionieren: Mehr als sieben Millionen Euro nahm die Bußgeldstelle 2018 allein durch sie ein. Nach Abzug aller laufenden Betriebskosten blieb unterm Strich ein Plus von gut 6,9 Millionen Euro für die Landeskasse.