Energieversorgung in Berlin: Ramona Pop will das Stadtwerk entfesseln
Beim Fachforum Energie des Tagesspiegels ging es um Berlins Energiepolitik, um die Klimapolitik von Wien und die Frage, wie aus Windkraftgegnern AfD-Wähler werden können.
Das hätten die Energiepolitiker der Regierungskoalition auch gerne: Ein Stadtwerk, das die Bürger mit Wärme und Strom versorgt, und genug Gewinne abwirft, um den öffentlichen Nahverkehr zu subventionieren. Das ist die Basis der Klimapolitik in Wien. Bernd Vogl, der in der Hauptstadt Österreichs für die Energieplanung zuständig ist, beschrieb beim Fachforum Energie des Tagesspiegels am Dienstag im Verlagshaus in Berlin-Kreuzberg, wie konsequent Klimapolitik sich umsetzen lässt, wenn eine Stadt über ein starkes Stadtwerk verfügt.
Das Berliner Stadtwerk dagegen soll nun „zügig entfesselt“ werden, wie es Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) ausdrückte. Die rot- rot-grüne Koalition wolle in den kommenden zwei Wochen das Betriebegesetz so ändern, „dass das Stadtwerk überhaupt an den Markt gehen kann“, sagte Daniel Buchholz (SPD). Das habe die CDU jahrelang verhindert, klagte er. Jürn Jakob Schultze-Bernd (CDU) warnte dagegen vor einer „Verstaatlichung“ und bezweifelte, dass ein Stadtwerk „mit Frauenquote und Vergaberecht“ überhaupt in der Lage sein könnte, innovative Lösungen zu finden. Stephan Taschner (Grüne) beschrieb die Aufgabe des Stadtwerks dagegen als Chance für mehr Wettbewerb. Auch deshalb wollen die Energiepolitiker das Stom- und das Gasnetz zurückkaufen, sagte Buchholz.
Bei der Fernwärme lässt sich die Koalition Zeit
In Sachen Fernwärmenetze will sich die Koalition dagegen Zeit lassen, sagte Taschner. Denn das sei nicht so einfach, weil daran ja auch die Kraftwerke zur Wärmeerzeugung dran hängen, betonte auch Buchholz. Gunther Müller, Chef der Berliner Wärme bei Vattenfall nahm die Diskussion gelassen. Es sei „nicht ausschlaggebend“ für das Geschäft der Wärme AG, „wer Anteilseigner ist“. Er kündigte den Ausstieg aus der Braunkohle für dieses Jahr an. Ein weiteres Steinkohlekraftwerk solle durch eine große Power-to-Heat-Anlage ersetzt werden. Dort soll Überschussstrom aus Windparks in Brandenburg Wasser aufheizen, um den Dampf dann durch die Fernwärmerohre zu schicken.
Die Koalitionäre kündigen jedenfalls einen Kohleausstieg bis 2030 an, den sie noch dazu im Einvernehmen mit dem Land Brandenburg ansteuern wollen. Vattenfall will mit einer „Machbarkeitsstudie“ klären, ob ein Kohleausstieg bis 2030 – wie von der Koalition gewünscht – möglich ist, ohne dass die Wärmepreise in der Stadt steigen, sagte Müller. Die Energiepolitiker der Regierungskoalition kündigten sicherheitshalber auch noch ein Wärmegesetz an.
Vattenfall will mit einer „Machbarkeitsstudie“ klären, ob ein Kohleausstieg bis 2030 – wie von der Koalition gewünscht – möglich ist, ohne dass die Wärmepreise in der Stadt steigen, sagte Müller. Ramona Pop betonte, die Regierung „sucht den Dialog“, denn die Befreiung der Stadt vom Kohlendioxidausstoß, also die Dekarbonisierung, sei nicht nur Sache der Politik sondern der ganzen Gesellschaft.
Auf die Städte kommt es an
Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt in Städten und 75 Prozent der Treibhausgasemissionen entstehen in den Städten. Deshalb kommt es beim Umbau zu einer klimaverträglichen Wirtschaft „entscheidend auf die Städte an“. Das sagte Bernd Vogl, Chef der Energieplanung in Wien, beim Fachforum Energie des Tagesspiegels am Dienstag in Berlin. „Deshalb brauchen wir ambitionierte Ziele“, sagt er. Und genau das hat die neue rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin auch vor: das Berliner Energiewende-Gesetz soll mit einem verbindlichen Klimaziel versehen, ein Wärmegesetz erdacht werden. Aber eines soll sofort passieren: Das Berliner Stadtwerk soll arbeitsfähig werden.
Wien ist mit seiner Klimapolitik schon weit gekommen. Die 1,8 Millionen-Einwohner-Stadt wächst jedes Jahr um etwa zwei Prozent. Der Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen liegt mit 5,5 Tonnen im Jahr etwa halb so hoch wie in Österreich mit elf Tonnen. Zum Vergleich: Auch in Berlin liegt der Pro-Kopf-Ausstoß niedriger als im deutschen Durchschnitt: In Berlin sind es 7,8 Tonnen Kohlendioxid (CO2) pro Kopf und Jahr, in Deutschland sind es 12 Tonnen.
Was hat Wien Berlin voraus?
Wien hat zwei große Treibhausgasquellen: die Wärmeversorgung und den Verkehr. Neben dem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr, der sich nach Vogls Auskunft vor allem den fetten Gewinnen des Wiener Stadtwerks im Strom- und Wärmegeschäft in der Vergangenheit verdankt, ist der Energieplaner überzeugt, dass Autos künftig elektrisch fahren müssen. „Es wird auch in Zukunft Autos geben“, sagte er. Man solle nicht so tun, als könnten Autos abgeschafft werden, sagte er.
Für Neubauten in Wien – und die Stadt plant ganz neue Stadtvierteln mit Zehntausenden Wohnungen – „gelten strenge Bauvorschriften“. Der Energieverbrauch pro Quadratmeter Nutzfläche darf nicht mehr als 25 Kilowattstunden betragen. Seit dem Jahr 2000 werden in Wien auch im großen Stil und mit Hilfe von Bundeszuschüssen Häuser saniert, insgesamt 208 000 Wohnungen, berichtet Vogl. Im Gebäudebestand sei der CO2-Ausstoß um 20 Prozent gesunken.
Vogl will bei der Planung neuer Stadtteile viel mehr als bisher Abwärme für die Wärmeversorgung nutzen. „Jedes Geschäft hat Abwärme“, sagt er. Mit der in einem Supermarkt entstehenden Wärme ließen sich leicht 50 Wohnungen heizen. Das gelte erst recht für große Rechenzentren oder auch die Kläranlage Wiens. Die soll sich demnächst aus dem Faulgas aus dem Prozess selbst mit Strom versorgen. Der Stromverbrauch der Wiener Kläranlage liege bei einem Prozent des Gesamtverbrauchs, sagte Vogl. Die Kläranlage in der zweitgrößten Stadt Kolumbiens, Medellín, die kurz vor der Fertigstellung steht, versorgt sich übrigens auch komplett selbst mit Strom – und versorgt in Zukunft auch noch die umliegenden Wohngebiete mit. Gute Planung würde Vogl sagen.
Wie aus Windkraftgegnern AfD-Wähler werden
Akzeptanzforschung zur Energiewende hat Fritz A. Reusswig längst aufgegeben. Beim Fachforum Energie des Tagesspiegels berichtete der Soziologe, der am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) arbeitet, von seinen Erfahrungen im Forschungsprojekt „Energiewendekonflikte“. In einer Umfrage unter Gegnern von Windparks oder Stromtrassen antworteten 44 Prozent der Befragten – „es war eine repräsentative Umfrage“ betont Reusswig – dass sie die rechtspopulistische AfD wählen würden, zehn Prozent würde ihre Stimme trotz ihrer Gegnerschaft den Grünen geben.
Reusswig berichtete von den Konflikten, die eine 100-prozentige Versorgung von Berlin mit erneuerbaren Energien in Brandenburg mit sich bringt. Angebote, sich an Windparks zu beteiligen, empfänden die Gegner als Bestechungsversuche. Sie fühlen sich ungerecht behandelt und nicht Ernst genommen. Juli Zeh hat das in ihrem Roman „Unterleuten“ eindrucksvoll beschrieben. Als Rat hatte Reusswig nur eines zu bieten: Es müsse auf „die Qualität des Beteiligungsprozesses geachtet werden“. In der Politik „zählen Fakten unter anderem“, betonte er. Und musste dafür gar nicht über den Atlantik nach Washington schauen, sondern einfach in die Nachbarschaft.