Anklage wegen Mordversuchs: Rache unter Rockern
Zwei Anhänger der Hells Angels stehen in Frankfurt (Oder) vor Gericht: Sie sollen versucht haben, den geschassten Ex-Boss der Bruderschaft zu töten.
Ein vom Thron gestürzter Rockerboss, zwei eifrige Hells-Angels-Soldaten, drei Jahre intensiver Ermittlungen – vor dem Landgericht in Frankfurt (Oder) hat Mittwoch der Prozess um eine Tat begonnen, die einige als versuchten Fememord, andere als szeneübliche Abrechnung beschreiben. Wegen Verdacht des versuchten Mordes an dem gestürzten Alt-Rocker sind zwei Männer, 33 und 38 Jahre alt, angeklagt. Sie gelten als Anhänger des Ost-Berliner Hells-Angels-Präsidenten André S., dessen Crew auch in Brandenburg die Szene dominierte.
Ex-Hells-Angel als Anschlagsziel bekannt
Sein vom Thron gestürzter Amtsvorgänger bat bei S. um Rehabilitierung, im macholastigen Milieu gibt schließlich niemand gern Macht ab: Holger „Hocko“ B., heute 53, wurde 2008 wegen Streits um Geld und Respekt mit dem Segen des nordamerikanischen Rockeradels aus dem berüchtigten Bikerclub geworfen. Weil er in „bad standing“ – Szeneterminologie für „unehrenhaft“ – entlassen wurde, galt Hocko als mögliches Anschlagsziel ehemaliger Mitstreiter. Sein Bitten um Wiederaufnahme in die militante Bruderschaft hat ihm nicht geholfen.
Baseballschläger, Messerstiche, Not-OP
Im Mai 2011 sollen die einschlägig bekannten Angeklagten vor seinem Haus bei Strausberg auf ihn gelauert haben. Sie hätten der Anklage zufolge den kräftigen Holger B. mit Baseballschlägern verprügelt, „tiefe Messerstiche“ zugefügt, schließlich fast mit einem Auto überfahren. Hocko habe sich nur knapp retten können, per Handy rief er einen Bekannten, eine Not-OP rettete sein Leben. Als Opferzeuge sagte er nun: „Ich bin grundlos rausgeschmissen worden.“ Und: Er sei sich sicher, dass André S. den Überfall in Auftrag gegeben habe.
Erst Opfer, dann Täter, erst Angeklagter, nun Nebenkläger
Anders als im Milieu üblich, rächt sich Holger B. nicht nur szeneintern, sondern nutzt auch den Rechtsstaat: In Frankfurt (Oder) tritt er als Nebenkläger auf, zuvor hatte er Ermittlern gesagt, einen der Angeklagten bei der Tat erkannt zu haben. Diese – genau genommen zweifache – Kooperation mit der Justiz gilt selbst unter ausgeschiedenen Rockern als Tabu, das Hocko aber kalkulierend gebrochen hat. Mit der Szene habe er nichts mehr zu tun, seine von ihm geschiedene Frau und seiner Tochter lebten in den USA.
Er selbst hatte schon 2013 mit dem Kooperieren angefangen. Denn Hocko hatte, und das ist mit Blick auf den Konkurrenzgebaren unter Rockern kaum überraschend, einen Attentäter angeheuert, der Amtsnachfolger André S. im Sommer 2012 in Berlin niederschoss. Jene Tat war aus Wut auf den nun in Frankfurt (Oder) verhandelten Überfall geplant worden. Im Verfahren zu den Schüssen auf S., in dem Hocko seinerzeit vor dem Berliner Landgericht saß, erhoffte sich der geschasste Alt-Rocker durch Aussagen eine Strafmilderung. Im Dezember 2013 wurde Hocko zu siebeneinhalb Jahren Haft wegen Anstiftung zum versuchten Mord verurteilt.
Hells Angels auch vor Berliner Landgericht
Vor dem Berliner Landgericht läuft in diesen Tagen – und den kommenden Monaten, wenn nicht Jahren – wieder ein Rockerprozess. Und zwar einer, auf den tatsächlich das Schlagwort vom „Mammutverfahren“ zutrifft. Es geht um die Erschießung eines Berliner Türken in einem Wettcafé vor einem Jahr: Zehn der elf Angeklagten gehören zur Hells-Angels-Crew des umtriebigen Kadir P., der trotz seiner erst 30 Jahre europaweit für Unruhe unter Alt-Rockern gesorgt hatte. Auch P. wird ein Mordauftrag aus Vergeltung vorgeworfen. Insgesamt 24 Anwälte vertreten die Angeklagten, aus deren Reihen sich zur Freude der Staatsanwaltschaft ein Kronzeuge offenbart hatte.
Schweigen in Frankfurt (Oder)
Der jüngere der beiden Angeklagten in Frankfurt (Oder) sitzt derzeit übrigens wegen anderer Delikte eine Strafe ab. In Untersuchungshaft befindet sich aber auch der ältere der beiden Rocker nicht – für einen „dringenden Tatverdacht“ hat es trotz Anklage nicht gereicht. Die beiden Männer haben am Mittwoch vor Gericht wie zu erwarten geschwiegen.