Praxislernen in Marzahn-Hellersdorf: Projekt soll Jugendarbeitslosigkeit auf null senken
In Marzahn-Hellersdorf läuft ein Programm für Jugendliche, die entweder in der Schule oder im zwischenmenschlichen Bereich Defizite haben. Der Bezirksbürgermeister erhofft sich von dem Projekt, das an ein Fach in der DDR erinnert, eine große Wirkung.
Die Schule soll junge Leute fit machen fürs wahre Leben – und hat doch oft wenig damit zu tun. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Praxislernen, bei dem Neunt- und Zehntklässler mit Lernschwierigkeiten oder sozialen Defiziten an zwei bis drei Tagen pro Woche arbeiten, statt in der Schule zu sitzen. Nur tun sie das bisher in aller Regel in schulischen Werkstätten oder bei Bildungsträgern, aber nur selten in Unternehmen. Zumindest in Marzahn-Hellersdorf soll sich das nun ändern. Im vergangenen Schuljahr seien 90 Neuntklässler bei solchen Trägern zum Praxislernen geschickt worden, sagt Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD). "Nun ist unser Anspruch, die Hälfte von denen als Zehntklässler in echte Unternehmen zu bringen."
Parallelen zur DDR
Von 200 im bezirklichen Wirtschaftskreis vertretenen Firmen hätten sich 50 bereit erklärt mitzumachen, sagt Komoß, der früher Bildungsstadtrat des Bezirks war. Alles schon mal dagewesen, mögen Menschen denken, die zu DDR-Zeiten als Schüler im "PA-Unterricht" in Betrieben an Gitarrenständern feilten oder Gehäuse zusammenlöteten. Das Kürzel stand für "Produktive Arbeit", die im wöchentlichen Wechsel mit "ESP", also der theoretischen "Einführung in die sozialistische Produktion" stattfand.
Aber jetzt geht es um jene, die ohne Hilfe nicht die Kurve kriegen würden. Damit die Chefs ihre oftmals schwierigen Schützlinge nicht am ersten unentschuldigten Fehltag auf Nimmerwiedersehen vor die Tür setzen, sei im Rathaus eine "Matchpoint" genannte Zentrale eingerichtet worden: Darin säßen je ein Kollege aus Jobcenter, Bezirksamt und Arbeitsagentur – als Ansprechpartner für die Unternehmen und Adressat für Rückmeldungen.
Verbesserte Chancen für Jugendlichen
Das Novum sei bewusst für Zehntklässler gedacht, die im Schuljahr zuvor von einem Träger – also gewissermaßen im geschützten Biotop – auf die Anforderungen der Wirtschaft vorbereitet wurden. In der Regel richte sich das Praxislernen an etwa zehn Prozent eines Sekundarschul-Jahrgangs. Adressaten seien jene, deren Schulabschluss bereits zum Ende der 8. Klasse erkennbar gefährdet sei – durch schwache schulische Leistungen ebenso wie durch fehlende soziale Kompetenz.
Nach Auskunft der Senatsbildungsverwaltung gab es im abgelaufenen Schuljahr stadtweit 46 Praxislerngruppen mit 640 Schülern. Marzahn-Hellersdorf hat mit sieben Gruppen die meisten, während es in Spandau nur eine ist. Zusätzlich gibt es "Produktives Lernen" für jene, die mit dem normalen Unterricht wenig anfangen können, aber eigentlich in der Lage sind, selbstständig zu lernen.
Für Bezirksbürgermeister Komoß könnte sein Praxis-Projekt im Idealfall in einen Ausbildungsvertrag für die Kandidaten am Ende der 10. Klasse münden – inklusive Chance auf Übernahme, die Bildungsträger naturgemäß nicht bieten können.
Ein "selbstmörderisches politisches Ziel"
Er habe sich "das selbstmörderische politische Ziel" gesetzt, die Jugendarbeitslosigkeit im Bezirk bis 2016 auf null zu senken, sagt Komoß. Zurzeit liege man bei zwölf Prozent bei klar sinkender Tendenz, was im Bezirksvergleich "sehr gut" sei. Parallel zur Förderung wird gefordert: Seit Juni betreibe das Jobcenter das Projekt "Work First". Wobei die Bezeichnung nicht ganz zutrifft, als das Jobangebot nicht zuerst kommt. Aber immerhin zeitgleich mit dem ersten Geld, während früher nach Auskunft von Komoß oft sechs Wochen zwischen dem Hartz-IV-Antrag und dem ersten Termin beim Arbeitsvermittler vergingen.
Stefan Jacobs